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Veröffentlicht am 07­.02.2010

7.2.2010 - epd

Skandal um Missbrauch durch Priester weitet sich aus

Bischofskonferenz erwägt Korrekturen - Canisius-Rektor: Vertuschung thematisieren

Berlin (epd). Der Skandal um den sexuellen Missbrauch von Kindern durch katholische Priester weitet sich aus. Nach Informationen des "Spiegel" vom Wochenende stehen derzeit mindestens zehn Kirchendiener unter Missbrauchsverdacht. Derweil erwägt die katholische Deutsche Bischofskonferenz unter anderem Änderungen bei der Ausbildung von Pfarrern. Die Basisbewegung "Kirche von unten" forderte hingegen tiefgreifende Strukturreformen. Der Rektor der Berliner Jesuitenschule Canisius-Kolleg, Klaus Mertes, plädierte indes dafür, die jahrelange Geheimhaltung stärker in den Mittelpunkt zu stellen.

"Das Problem ist, dass sich die öffentliche Debatte schnell zuspitzt auf die Täter und dadurch der zweite Aspekt des Missbrauchs überhaupt gar nicht in den Blick kommt", sagte er in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Es werde vertuscht, weil "das vertuschende System" Interessen und Ängste habe. "Die große Schuld, die die Institution auf sich geladen hat, ist, dass sie nicht genauer hingeschaut hat, als sie etwas davon hörte", so Mertes.

Mertes hatte die ihm bis dahin bekannt gewordenen Missbrauchsfälle an seiner Schule Ende Januar durch einen Brief an ehemalige Schüler öffentlich bekannt gemacht. Die Ordensleitung war allerdings mindestens seit 1991 über Verfehlungen von Jesuitenpatern informiert gewesen.

Inzwischen hätten sich 30 ehemalige Schüler des Kollegs gemeldet, die zwischen 1960 und 1980 Opfer von Übergriffen wurden, zitiert der Berliner "Tagesspiegel" (Sonntagsausgabe) die Missbrauchsbeauftragte des Ordens, Ursula Raue. Hinzu kämen bis zu zehn weitere Fälle in Bonn, Hamburg, Hannover und St. Blasien (Schwarzwald). Am Bad Godesberger Aloisiuskolleg gebe es einen zweiten Fall. Bereits 2004 habe ein ehemaliger Schüler ein Buch veröffentlicht, in dem er den Missbrauch durch Priester schildert.

Dem "Spiegel" zufolge haben sich seit 1995 bundesweit mindestens 94 Kleriker und Laien in der katholischen Kirche des Missbrauchs verdächtig gemacht. Dies habe eine Umfrage bei allen 27 deutschen Bistümern ergeben.

Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, sagte der "Frankfurter Rundschau" (Sonnabendssausgabe), wo Studenten und Priester noch nicht ausreichend unterstützt würden, "in ihre sittliche Weiterentwicklung auch die Sexualität einzubeziehen, müssen wir nach Verbesserungen suchen". Auch müsse gefragt werden, "ob die Leitlinien der Bischöfe von 2002 zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch durch Geistliche bereits optimal umgesetzt werden», fügte der Jesuit hinzu.

Langendörfer wehrte sich jedoch dagegen, die katholische Moral und den Zölibat der Priester für den Kindesmissbrauch verantwortlich zu machen. "Der Zölibat schafft keine Missbrauchstäter", betonte er.

"Am wenigsten ist die Sexuallehre der Kirche verantwortlich", erklärte auch der Sprecher des CDU-Arbeitskreises Engagierter Katholiken (AEK) und Vorsitzender des Bundesverbandes Lebensrecht, Martin Lohmann. Pädophilie und Homosexualität seien kein Spezifikum der katholischen Kirche, sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Sonnabendsausgabe).

Nach Einschätzung von "Wir sind Kirche" begünstigen hingegen die strikte Sexualmoral, ein überhöhtes männliches Priesterbild und autoritäre hierarchische Strukturen in der katholischen Kirche sexuellen Missbrauch. "Wenn es nicht zu einem Pauschalverdacht gegenüber allen Priestern, Ordensleuten und kirchlichen Einrichtungen kommen soll, muss die angstbesetzte kirchliche Sexuallehre und müssen die kirchlichen Strukturen auf den Prüfstand", forderte die Bewegung am Sonntag.

Im katholischen Bistum Hildesheim wurde in den Gottesdiensten ein Brief von Bischof Norbert Trelle verlesen. Darin sprach er den Opfern sein Mitgefühl aus. Die Fälle erfüllten ihn mit Scham und Empörung, heißt es darin. Trelle versprach für Aufklärung zu sorgen und bat gleichzeitig darum, nicht den ganzen Berufsstand zu verdächtigen.

Die deutsche Jesuitenprovinz kritisierte unterdessen scharf einen Judenvergleich, den der frühere Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, Eberhard von Gemmingen, angestellt hatte. Mit Blick auf die Missbrauchsfälle an Schulen seines Ordens hatte der Jesuit in einem Zeitungsinterview vor einem Generalverdacht gewarnt. Zugleich zog er seine Äußerung zurück, wonach auch in der Nazizeit Verfehlungen einzelner Juden zur Verfolgung einer ganzen Bevölkerungsgruppe geführt hätten.

Sein nur im Internet veröffentlichter Nazivergleich hatte noch am Freitagabend für Wirbel gesorgt. Er sei "vollkommen inakzeptabel", erklärte der Leiter der deutschen Jesuitenprovinz, Stefan Dartmann.

(0622/07.02.2010)

Zuletzt geändert am 09­.02.2010