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Veröffentlicht am 07­.02.2010

7.2.2010 - rp-online.de

ZdK-Chef Glück: Kirche tabuisiert Sexualität

Nach Missbrauchfällen durch Geistliche

Berlin (RPO). Der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, sieht einen generellen Zusammenhang zwischen den aktuellen Missbrauchs-Vorwürfen gegen Geistliche und dem Verdrängen und Tabuisieren von Sexualität in der katholischen Kirche.

Zugleich warnte Glück im Gespräch mit unserer Redaktion davor, Priester und Ordensleute einem Generverdacht auszusetzen. Auch bestehe kein Zusammenhang zwischen der Verpflichtung der Geistlichen zum Zölibat und dem Missbrauch pubertierender Jugendlicher.

Die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen sei in kirchlichen Einrichtungen „eher deutlich geringer” sei als in anderen Einrichtungen. Allerdings stellte der oberster Repräsentant katholischer Laien in Deutschland die Gefahr eines großen Glaubwürdigkeitsverlustes der Kirche fest, falls sie den Menschen nicht zügig den begründeten Eindruck vermittle, dass die Missbrauchs-Fälle mit vorbehaltloser Offenheit untersucht werden.

„Die Kirche versteht sich als moralische Autorität, und sie zeichnet gerne ein nahezu perfektes Bild von sich selbst; deshalb gerät sie noch stärker als andere Institutionen bei vergleichbaren Vorwürfen in Glaubwürdigkeits-Probleme, wenn sie nicht mit Offenheit reagiert”, sagte Glück gegenüber unserer Redaktion.

Zahl der Missbrauchs-Opfer steigt

Im Missbrauchsskandal um den katholischen Jesuiten-Orden nahm die Zahl der Opfer derweil weiter zu. Inzwischen hätten sich rund 30 ehemalige Schüler des Berliner Canisius-Kollegs gemeldet, sagte die Ansprechpartnerin des Jesuitenordens für Opfer sexuellen Missbrauchs, Ursula Raue.

Gegen Mitglieder des katholischen Jesuiten-Ordens waren in den vergangenen Tagen zahlreiche Vorwürfe ehemaliger Schüler wegen sexuellen Missbrauchs erhoben worden. Dabei geht es um Schulen in Berlin, Hamburg, Hannover, Bonn und im baden-württembergischen Sankt Blasien.

"Der Spiegel" berichtete im Zusammenhang mit dem Skandal, dass in der katholischen Kirche seit 1995 mindestens 94 Kleriker und Laien unter Missbrauchsverdacht geraten sind. Dies habe eine Umfrage des Nachrichtenmagazins bei allen 27 deutschen Bistümern ergeben.

Raue berichtete von täglich eingehenden Anrufen und E-Mails. "Das Ganze ist wie eine Lawine", sagte die Rechtsanwältin. Es meldeten sich auch viele Personen mit Berichten über Missbrauch in anderen Institutionen in der katholischen Kirche.

Hinweise darauf, dass es auch zu Vergewaltigungen und damit zu Fällen von schwerem sexuellen Missbrauch gekommen ist, habe sie bislang nicht erhalten, sagte Raue weiter. Es gehe derzeit immer um Situationen, in denen psychisch Druck ausgeübt worden sei. "Es geht um unangenehme Gespräche und Berührungen und darum, dass Jugendliche auf dem Schoß eines Patres sitzen mussten und gestreichelt wurden. Oder um Schläge", schilderte die Mediatorin.

Zwei der drei bislang bekannten mutmaßlichen Täter seien geständig, fügte Raue hinzu. Der dritte, Pater Peter R., sei für sie im Moment nicht erreichbar.

Bei den vom "Spiegel" genannten Personen sind dem Magazin zufolge 30 in der Vergangenheit juristisch belangt und verurteilt worden. Viele Fälle seien zum Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens jedoch bereits verjährt gewesen, heißt es in dem Beitrag. Aktuell stünden den Angaben zufolge mindestens zehn Kirchendiener unter Missbrauchsverdacht.

Kirche will Thema offen angehen

Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Jesuitenpater Hans Langendörfer, sagte: "Die Enthüllungen zeigen ein dunkles Gesicht der Kirche, das mich erschreckt. Wir wollen das Thema offen angehen." Bei der am 22. Februar beginnenden Frühjahrs-Vollversammlung der Bischofskonferenz wollen sich die Oberhäupter der katholischen Bistümer den Angaben zufolge mit dem Missbrauchsskandal auseinandersetzen.

Langendörfer sagte, es müsse gefragt werden, "ob die Leitlinien der Bischöfe von 2002 zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch durch Geistliche bereits optimal umgesetzt werden". "Vielleicht muss die Prävention trotz aller Fortschritte noch besser werden", sagte Langendörfer. Das könnte auch die Priesterausbildung und die Fortbildung von Lehrern und Erziehern betreffen. Allerdings seien jetzt "angstgeprägte oder von Ressentiments geleitete Überreaktionen gewiss nicht hilfreich".

Das Erzbistum Berlin will eine Kommission zur Aufklärung von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche einsetzen. Dompropst Stefan Dybowski, bisher im Bistum alleiniger Ansprechpartner für Opfer, sagte ind er "Berliner Morgenpost", das geplante mehrköpfige Gremium solle sich aus Personen "aus den verschiedensten Bereichen zusammensetzen, aus der Psychologie, aus der Beratung, aus der rechtlichen Welt".

Die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" forderte: "Wenn es nicht zu einem Pauschalverdacht gegenüber allen Priestern, Ordensleuten und kirchlichen Einrichtungen kommen soll, muss die angstbesetzte kirchliche Sexuallehre und müssen die kirchlichen Strukturen auf den Prüfstand." Eine Zölibatsdebatte alleine würde zu kurz greifen.

Zuletzt geändert am 07­.02.2010