6.2.2010 - welt-online.de
Justizminister wirft Kirche "Vertuschungsmentalität" vor
Kritik von CDU-Politiker Busemann nach Bekanntwerden sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester - Neue Sexualmoral gefordert
Hannover - Die Kirche gerät in die Kritik, nachdem immer mehr Fälle, bei denen katholische Geistliche Kinder missbraucht haben sollen, bekannt werden. Selbst konservative Politiker wie Niedersachsens Justizminister Bernd Busemann (CDU) beklagen eine "Vertuschungsmentalität". Experten warnen unterdessen, Pädophilie sei kein spezifisches Problem der katholischen Kirche und werde auch nicht vom Zölibat, dem Eheverbot für katholische Geistliche, ausgelöst. Kirchliche Laienverbände geben sich jedoch mit dem Ruf nach schonungsloser Aufklärung nicht mehr zufrieden. "Wir brauchen eine Wende in der katholischen Sexualmoral", fordert Christian Weisner von der Bewegung "Wir sind Kirche".
"Die Kirche kann nicht länger den Reflex haben ,Wir reden nicht darüber, das schadet dem Ruf der Kirche'", sagt Weisner. "Wir stehen kurz davor, dass es einen Generalverdacht gegen die katholische Kirche gibt." Dennoch gebe es bei den Katholiken nach wie vor ein großes Interesse, die Problematik möglichst unter Verschluss zu halten. So sei eine für den Ökumenischen Kirchentag in München vorbereitete Podiumsdiskussion kurzfristig abgesagt worden.
"Auch die Zölibatsdebatte reicht nicht mehr aus." Vielmehr gehöre die Einstellung der Kirche zur Sexualität - auch in Priesterausbildung und Schulunterricht - auf den Prüfstand. Teils seien die Täter selbst Opfer strenger Sexualmoral, die verdränge und verbiete - etwa Sex vor der Ehe oder homosexuelle Handlungen.
"Das Neue ist, dass die Systemfrage gestellt wird", sagt der Geschäftsführer der "Initiative Kirche von unten", Bernd Hans Göhrig. Denn sexuelle Gewalt in der Kirche sei ein strukturelles Problem, das autoritäre und streng hierarchische Kirchenbild fördere sie. "Es ist damit zu rechnen, dass weitere Fälle ans Tageslicht kommen, das ist immer das gleiche Schema." Wie auch Weisner fordert er bei den Kirchen unabhängige Ansprechpartner und Beratungsstellen für Menschen, die Opfer von Missbrauch geworden sind. Auch die Verantwortung der Bischöfe für Fälle, die in der Vergangenheit "intern geregelt" wurden, müsse endlich geklärt werden. "Dies betrifft insbesondere den Straftatbestand der Strafvereitelung."
Missbrauch sei nicht kirchenspezifisch, sondern komme in allen Berufen vor, in denen Erwachsene mit Jugendlichen zu tun haben, sagt der renommierte Chefarzt Manfred Lütz vom Kölner Alexianer Krankenhaus, das Therapiemöglichkeiten für Kirchenmitarbeiter bietet. Zugleich gebe es kein Untersuchungsverfahren etwa für Priesteramtskandidaten, mit dem pädophile Neigungen schon im Vorfeld entdeckt werden könnten. "Ganz ohne Frage und wissenschaftlich unstreitig gibt es an allen Schulen - ob nun in staatlicher oder evangelischer oder katholischer oder privater Trägerschaft - pädophile Lehrer", sagt der Leiter des Instituts für Forensische Psychiatrie an der Charité in Berlin, Professor Hans-Ludwig Kröber.
Zuletzt geändert am 07.02.2010