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Veröffentlicht am 02­.02.2010

2.2.2010 - NDR info

Kartell des Schweigens

Mindestens 25 Schüler an katholischen Gymnasien sollen von zwei Jesuiten-Patres sexuell missbraucht worden sein. Der Orden hat offenbar jahrzehntelang davon gewusst und trotzdem geschwiegen. Die mutmaßlichen Täter wurden nicht aus dem Verkehr gezogen sondern einfach an andere Schulen versetzt. Auch in Göttingen, Hildesheim und Hamburg soll es sexuellen Missbrauch an katholischen Schulen gegeben haben.

Friedrich Stolze, heute Direktor an der Hamburger St. Ansgar Schule, berichtet von drei bislang bekannten Fällen: "Ich habe eine Mutter eines Opfers am Telefon gehabt, die mir erzählte, dass der Junge, der nun fast 40 Jahre alt sein muss, eine schwere psychische Krankheit hat, und ich habe auch mit einem Opfer direkt gesprochen. Ich schäme mich für die Schule, und es ist einfach nur fürchterlich."

"Die Täter sind viel zu lange geschützt worden"

Der Jesuitenorden wusste von dem pädophilen Priester und vertuschte den Fall. Der Orden habe da ein Problem, räumt Jesuitenpater Bernd Hagenkord ein. Er hat selbst bis vor einigen Jahren als Jugendseelsorger gearbeitet - auch an den betroffenen Schulen in Hamburg und Berlin - allerdings viele Jahr nach den Vorfällen.

Hagenkord sieht die Vorfälle als Ergebnis eines "Kartells des Wegguckens, des Sich-nicht-drum-kümmerns." In der Hoffnung: "Mit dem Willen Gottes geht das alles schon irgendwie!" habe man ignoriert, ob es vielleicht einen Mitbruder oder einen Priester mit einem Problem gäbe. Aber: "Es geht nicht irgendwie. Und die Opfer haben das zu spüren bekommen. Und die Täter sind viel, viel zu lange geschützt worden", meint Hagenkord. Niedrigschwellige Angebote für Opfer vermisst

Eine Entschuldigung allein reiche nicht mehr, erklärt Christian Weisner von der kritischen Laienbewegung "Wir sind Kirche". Er fordert jetzt ein klares Signal vom Vatikan. Es gäbe Regeln, dass alle Missbrauchs-Fälle dem Vatikan gemeldet werden müssen. Aber die dürften dann nicht im Geheimarchiv verschwinden fordert Weisner: "Daraus müssen auch wirklich Taten folgen."

Die Deutsche Bischofskonferenz hat schon vor acht Jahren Leitlinien zum Umgang mit Fällen sexueller Gewalt veröffentlicht. So soll in jeder Diözese ein Ansprechpartner bereitstehen. Das sind oft Personalreferenten und Domkapitulare. Weisner vermisst ein niedrigschwelliges Angebot: "Wenn ich ein Schüler bin, dann werde ich doch nicht den Personalreferenten anrufen, der möglicherweise mit dem Täter im selben Jahr zum Priester geweiht worden ist."

Entwicklung wie in den USA?

Die restriktive Sexualmoral der Kirche sei schuld, glaubt Weisner. Sie verhindere eine normale Auseinandersetzung der Priester mit ihrer Sexualität. Die katholische Kirche in den USA und in Irland steht nach Missbrauchs-Skandalen wirtschaftlich und moralisch am Abgrund. Dort sei am Anfang nur von Einzelfällen die Rede gewesen, genauere Nachforschungen hätten aber gezeigt, dass die Zahl in die Hunderte und Tausende ginge. Weisner befürchet, der Skandal könne sich in Deutschland ähnlich entwickeln.

Die Jesuiten gelten als Elite der katholischen Kirche. Dieses Bild bekommt jetzt Risse. Der Jesuitenpater Bernd Hagenkord, der heute das deutsche Programm von Radio Vatikan leitet, sieht in dem Skandal einen Einschnitt in der Geschichte seines Ordens: "Das verändert uns in der Wahrnehmung und in der Selbstwahrnehmung. Es gibt halt sehr viel mehr Verborgenes, Tiefes, Dunkles in uns drin, das wir gar nicht wahrhaben wollen." Die Aufarbeitung werde viel Zeit brauchen, glaubt Hagenkord: "Eine Generation haben wir noch vor uns, bevor wir sagen können: Das ist Vergangenheit. Im Augenblick ist das alles noch Gegenwart."

Autor: Daniel Kaiser

Zuletzt geändert am 02­.02.2010