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Veröffentlicht am 02­.02.2010

2.2.2010 - HNA - Hessische/Niedersächsische Allgemeine

Viele Täter waren früher selbst Opfer

Missbrauch an Jesuiten-Schule ist kein Einzelfall, sagt Christian Weisner vom Bündnis „Wir sind Kirche“

Von Judith Féaux de Lacroix

BERLIN/HAMBURG. Der Missbrauchsskandal an einer Berliner Jesuiten-Schule schlägt weiterhin hohe Wellen. Nicht nur am Berliner Canisius- Gymnasium haben Lehrer in den 70er- und 80er-Jahren Schüler missbraucht (wir berichteten) - auch in Hamburg, St. Blasien, Göttingen und Hildesheim habe es ähnliche Fälle gegeben, sagte der deutsche Ordenschef, Provinzial Stefan Dartmann, gestern bei einer Pressekonferenz im Canisius- Kolleg. Zugleich entschuldigte er sich bei Opfern, Lehrern und Eltern für das jahrelange Schweigen.

Missbrauch kommt im Umfeld der katholischen Kirche immer wieder vor. Das sei kein Zufall, sagt Christian Weisner von der Volksbewegung „Wir sind Kirche“. Dies sei die Folge eines „Systemfehlers“ in der katholischen Lehre und Praxis. „Die katholische Sexuallehre und das hierarchische Autoritätssystem verhindern bei vielen jungen Menschen eine Reifung der Sexualität. Diese Menschen, auch wenn sie vom Alter her erwachsen sind, sind auf einer kindlichen Sexualität stehen geblieben“, sagt Weisner. Das führe bei einigen dazu, dass sie ein „gefährliches Interesse an Kindern und Jugendlichen“ entwickelten.

Strenge Sexuallehre

In der katholischen Kirche fehle die Auseinandersetzung mit Sexualität. „Die katholische Sexuallehre basiert auf einem ‘Du darfst nicht’. Das fängt bei der Selbstbefriedigung an“, sagt Weisner. Dadurch bestehe die Gefahr, dass Menschen sich in ihrer Sexualität nicht frei entwickeln könnten. Er wolle das Zölibat zwar nicht infrage stellen, sagt Weisner. „Aber das Pflichtzölibat für Priester treibt die Leute dahin.“

Viele Täter seien selbst früher Missbrauchsopfer gewesen. „Deshalb wird die Sache von der katholischen Kirche oft nicht so hart angegangen, weil man denkt, es gehört dazu“, sagt Weisner.


Eine andere Auffassung vertritt Pater Bernd Hagenkord, Chefredakteur des deutschen Senders von Radio Vatikan. Missbrauchsfälle wie der an der Jesuiten-Schule hingen nicht mit der katholischen Sexualerziehung zusammen.

„Ich glaube nicht, dass das mit dem Zölibat zu tun hat. Das sind krankhafte Strukturen in den Menschen, die ausbrechen“, sagt Hagenkord. Allerdings werde auf Missbrauch in der katholischen Kirche mehr Aufmerksamkeit gelenkt. Für die Kirche, die einen besonders hohen moralischen Anspruch an sich selbst stelle, seien Missbrauchsvorwürfe besonders schockierend, sagt Hagenkord. „Die Kirche verliert so an Glaubwürdigkeit.“

Zuletzt geändert am 02­.02.2010