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Veröffentlicht am 29­.09.2009

29.9.2009 - Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Kirchensteuer: Neun Prozent für das Seelenheil

Von Melanie Amann und Lisa Nienhaus

29. September 2009 Der Fall, der die Kirchensteuer ins Wanken brachte, war für Sabine Leimenstoll reine Routine. Dutzende Kirchenaustritte hat die Standesbeamtin in dem kleinen Ort Staufen im Breisgau schon registriert. An diesem Donnerstag im Juli 2007 öffnete sie das Austrittsformular auf ihrem Computer für Hartmut Zapp. „Hätte ich geahnt, was das später für einen Aufruhr gibt, hätte ich mich lieber erst mit den Kollegen beraten“, sagt sie heute.

Denn der freundliche alte Herr hatte einen kleinen Sonderwunsch. Die Beamtin solle doch bitte in die Spalte „Erklärungen“, in der steht, aus welcher Religionsgesellschaft man austritt, hinter „römisch-katholisch“ noch vier Worte notieren: „Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Leimenstoll füllte aus, druckte aus, und Hartmut Zapp trat offiziell aus.

Wer austritt, ist davon befreit

Doch der 70 Jahre alte emeritierte Professor für Kirchenrecht an der Universität Freiburg wusste genau, was er mit seinem Zusatz sagte. Er wollte die öffentlich-rechtliche Körperschaft, das juristische Konstrukt katholische Kirche, verlassen und aus der Gemeinschaft der Kirchensteuerzahler austreten - keinesfalls aber aus der spirituellen Gemeinschaft, die ihn mit der Taufe aufgenommen hatte.

Zapp wollte weiter beten, beichten, die heilige Kommunion empfangen und irgendwann von der Kirche beerdigt werden. Doch sein Glaube, sein Seelenheil sollte nicht an seine schnöde Eigenschaft als Steuerzahler gekoppelt sein.

Eigentlich ist das in Deutschland nicht möglich. Wer in der Kirche ist, zahlt Kirchensteuer, sofern er genug verdient. Acht bis neun Prozent der Lohn- oder Einkommensteuer zieht der deutsche Staat monatlich für die Kirchen ein. Wer austritt, ist davon befreit, muss nicht mehr zahlen, gehört aber eben auch nicht mehr dazu.

„Schmerzliche Zahlen“

Zapp will es anders. Er ist nicht der Erste, der sein Ziel mit juristischen Spitzfindigkeiten durchzusetzen sucht. Aber er ist der Erste, der damit durchkommen könnte. Juristisch hat er die erste Runde schon gewonnen. Das Verwaltungsgericht Freiburg hat seinen Teilaustritt für wirksam erklärt. Beim Austritt nur zu sagen, dass die Kirche eine Körperschaft ist, das sei erlaubt, entschied das Verwaltungsgericht Freiburg, und ergänzte kühl: „Die für die Kirche damit möglicherweise verbundenen Schwierigkeiten . . . kann der Staat nicht verhindern.“ Damit ist der Pensionär schon weiter gekommen als jemals ein Kirchensteuergegner vor ihm.

Das Ganze klingt nach juristischer Kleinkrämerei. Doch es steckt viel mehr dahinter. Zapp ist einer von vielen Kirchgängern, die sich fragen: Wieso wird mein Glaube an einen Zwangsbeitrag gekoppelt, über dessen Verwendung ich nicht bestimmen kann? „Mich stört, dass ein Mitglied in der Kirche Christi sein Seelenheil verliert als Folge einer Erklärung vor einer Behörde“, sagt er. Was habe denn der deutsche Fiskus bitte mit seiner Religion zu tun? „Diese Meinung wird in der ganzen Welt nur von den deutschen Bischöfen vertreten.“ Und die Bischöfe stellten sich auch noch ausdrücklich gegen den Willen Roms.

Anderen Kirchenmitgliedern wird ihr Glaube einfach zu teuer. Allein 2007 haben 130.000 Deutsche der evangelischen Kirche den Rücken gekehrt. Auch Robert Zollitsch, Vorsitzender der katholischen Bischöfe, vermeldete in der vergangenen Woche „schmerzliche Zahlen“: 121.155 Katholiken seien 2008 ausgetreten.

Wer nicht zahlt, der glaubt nicht?

„Die Kirchensteuer kann ein Anlass für den Austritt sein“, gibt Thomas Begrich zu, der die Finanzabteilung der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) leitet. „Aber nicht der Grund.“ Viele Menschen hätten einfach den Bezug zur Kirche verloren und würden nicht groß über ihre Mitgliedschaft nachdenken. „Aber wenn sie erstmals Kirchensteuer zahlen müssen, dann entscheiden sie sich zum Austritt.“

Noch mehr Sorgen bereiten den Kirchenoberen aber die echten Gläubigen wie Zapp. Unter ihnen finden sich die vehementesten Gegner der Kirchensteuer. Sie kritisieren, dass die Kirchen dank ihrer geballten Finanzkraft aus Steuer, Subventionen und Pflegebeiträgen zu omnipräsenten, gewinnorientierten Sozialkonzernen mutieren. Die Kernkompetenz, die Glaubensarbeit, bleibe dabei auf der Strecke.

Besonders empört es die Rebellen, dass dieses System auch noch mit dem religiösen Druckmittel der Exkommunikation gestützt wird. Wer nicht zahlt, der glaubt nicht? „Das ist eine Drohbotschaft, nicht die Frohe Botschaft des Evangeliums“, schäumen Organisationen wie „Wir sind Kirche“.

Brummt die Wirtschaft, klingeln die Kirchenkassen

„Diese Menschen könnte das Beispiel von Hartmut Zapp zum Austritt ermutigen“, fürchtet Hans Langendörfer, Generalsekretär der Deutschen Bischofskonferenz. „Sie könnten jetzt den falschen Eindruck gewinnen, dass die Institution Kirche und die Glaubensgemeinschaft doch trennbar sind.“ Dabei müsse man den Austritt vor dem Hintergrund des Kulturkampfes im 19. Jahrhundert sehen, sagt Jesuitenpater Langendörfer. Wer damals ausgetreten sei, habe ganz klar seinen „Abfall vom Glauben“ kommunizieren wollen. „Wenn sich jemand derart von der Glaubensgemeinschaft distanziert, muss es darauf eine kirchliche Reaktion geben.“

Kein Wunder, dass die katholische Kirche jetzt zurückschlägt: Um den Austritt von Zapp kassieren zu lassen, setzt sie zunächst auf die weltlichen Gerichte. Falls Zapp auch in der letzten Instanz mit seiner Strategie durchkommt, wäre das wohl der Anfang vom Ende von 5 Milliarden Euro Kirchensteuer, die der Staat jedes Jahr für die katholischen Bistümer einzieht. Die evangelische Kirche könnte sich dann kaum einer Debatte um ihre 4,5 Milliarden Euro entziehen.

Dabei könnten die Bischöfe den Zwist auch als Chance sehen. Denn die Kirchensteuer vertreibt nicht nur die Mitglieder. Sie macht beide Glaubensgemeinschaften auch enorm abhängig von Kräften, die sie nicht beeinflussen können. An erster Stelle: der Zyklus der Konjunktur. Da die Kirche acht bis neun Prozent der Einkommensteuer erhält, spüren die Religionsgemeinschaften jedes volkswirtschaftliche Auf und Ab. Wenn die Wirtschaft brummt, sind auch die Kirchenkassen gut gefüllt - wie im vergangenen Jahr. Steigt die Arbeitslosigkeit, erleben die Kirchen magere Jahre. Diese Effekte kosten sie mehr als alle Zapps zusammen.

Noch dazu spüren sie jede Einkommensteuerreform. Jeder neue Steuersatz, jedes neue Steuersparmodell schlägt sich in ihren Finanzen nieder. „Wir sind nicht die Herren des Geldes“, konstatiert EKD-Finanzchef Begrich. „Das ist blöd für die Kirchen. Aber einen eigenen Steuertarif einzuführen ist auch nicht ganz einfach.“

Auf jeden Fall ist das System bequem und ein gutes Geschäft für beide Seiten: Die Kirche muss keine teure Beitragserhebungsstruktur aufbauen. Und der Fiskus wird für seine Tätigkeit als Inkassobetrieb gut entlohnt: Im Schnitt bleiben drei Prozent der erhobenen Kirchensteuer beim Staat.

In Frankreich und Amerika überleben die Kirchen dank Spenden

Nur der Dritte im Bunde bleibt auf der Strecke: der Gläubige. Der finanziert seine Kirche in der Regel gerne, aber nur ungern unter Zwang. Der Finanzwissenschaftler Kai Konrad sagt: „Dass die Kirchenmitglieder ihren Obolus zwangsweise entrichten, nimmt ihnen sicher ein Teil des guten Gefühls, das sie hätten, würden sie das Geld der Kirche freiwillig geben“.

Dabei gibt es auf der ganzen Welt Modelle, die mit weniger Staat oder weniger Zwang auskommen. In Frankreich oder den Vereinigten Staaten überleben die Kirchen dank privater Spenden.

In Österreich wird der Glaubensbeitrag, 1,4 Prozent ihres Einkommens, direkt von der Kirche erhoben. In Italien gibt es eine Kultussteuer. Jeder Steuerzahler muss sie entrichten, kann sich aber aussuchen, welcher wohltätigen Organisation der Betrag zukommen soll. Die Kirche erfährt nichts von seiner Entscheidung.

Natürlich beobachte die Bischofskonferenz die anderen Modelle, sagt Hans Langendörfer. „Schließlich leben wir nicht im luftleeren Raum.“ Aber von einem freiwilligen Spendensystem hält der Pater nichts. „Das würde die Kirche nur in Abhängigkeit von großen Spendern bringen.“ Viele Gläubige seien vielleicht bereit, Hilfswerke der Kirche zu unterstützen, zum Beispiel in Afrika. „Aber für ganz alltägliche Investitionen, zum Beispiel für ein Priesterseminar in Osteuropa, würden wohl nur wenige spenden“, fürchtet er.

Die Kirche will sich weder davon abhängig machen, wie spannend oder sinnvoll die Gläubigen ihre Projekte finden. Noch sollen die Gläubigen nach einer brisanten Papst-Rede zur Geburtenkontrolle ihre Spenden streichen können. Und so kämpfen die beiden Glaubensgemeinschaften um ihre einigermaßen berechenbare Kirchensteuer - und um ihre paternalistische Entscheidungsallmacht.

Doch die Kirchen bereiten sich auf andere Zeiten vor. Von Demoskopen lassen sie untersuchen, in welchen Situationen und aus welchen Gründen die Menschen austreten. Von Demographen lassen sie berechnen, wie ihre Mitgliederstruktur und damit ihr Budget wohl in 50 Jahren aussieht. Und für ihre Haushaltsplanung holen sie sich Finanzexperten an Bord.

„Ich wollte eine innerkirchliche Debatte anstoßen“

Im Kirchensteuerrat des Erzbistums Köln sitzen Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Anwälte und Unternehmer, gewählt von Vertretern der Kirchenvorstände im Bistum. Für dieses Jahr rechnet Finanzdirektor Hermann Josef Schon mit knapp 440 Millionen Euro aus der Kirchensteuer, sein Gesamtetat beträgt 782 Millionen Euro. „Für die Gläubigen klingt ein freiwilliger Beitrag vielleicht sehr verlockend“, sagt der Rheinländer. „Aber sie machen sich nicht klar, dass sich dann das Gesicht ihrer Kirche ändern würde.“ Man möge nur mal durch die französischen Städte spazieren, sich die maroden Kirchen ansehen oder nach katholischen Kindergärten und Schulen suchen. „Nur in unserem System kann die Kirche ein pastorales und karitatives Angebot in dieser Breite anbieten.“

Schons Bistum betreibt 31 Schulen und beschäftigt 1800 Lehrer. Allerdings, das muss der Finanzchef einräumen: „94 Prozent der Schulkosten trägt der Staat. Aber der will seinen Bürgern ja auch ein plurales System anbieten.“ Sein Bistum gebe im Jahr 20 Millionen Euro für den Unterricht aus und bis zu 10 Millionen Euro für die Gebäude oder pastoralen Dienste. Ohne Kirchensteuer zahle der Staat alles - oder niemand zahle.

Hartmut Zapp findet, dass er den ganzen Krach um seinen Austritt eigentlich schon gewonnen hat: „Ich wollte vor allem eine innerkirchliche Debatte anstoßen. Es war etwas dumm vom Erzbistum Freiburg, vor Gericht zu ziehen. Sonst hätte sich wahrscheinlich niemand für meinen Fall interessiert.“

Zuletzt geändert am 05­.10.2009