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Veröffentlicht am 12­.06.2009

12.6.2009 - Publik-Forum

Die Reformer am Scheideweg

Ob der aktive Katholik und bayerische Kommunalbeamte Fritz Wallner mit diesem niederschmetternden Urteil der obersten vatikanischen Richter gerechnet hat? Insgesamt 24 Jahre lang war er Pfarrgemeinderat. Doch als die Regensburger Bistumsleitung dem 57-Jährigen das passive Wahlrecht für den Pfarrgemeinderat seines 7000 Bürger zählenden Wohnortes Schierling absprach, protestierte Wallner gegen den Regensburger Generalvikar. Bischof Gerhard Ludwig Müller stellte sich flugs hinter seinen Mann fürs Grobe. Der rechtlich denkende Wallner beschwerte sich darauf in Rom bei der Kleruskongregation, doch die stellte sich hinter den umstrittenen Bischof. Schließlich erhob Wallner Klage – »hierarchischen Rekurs« – beim obersten Gericht im Vatikan, der Apostolischen Signatur, gegen den Abweis durch die Kleruskongregation. Die Apostolische Signatur entschied am 14. März »nach Anrufung des Namens Christi« – so steht es im »abschließenden Dekret«: Wallners Klage wird abgelehnt. Dagegen gibt es keine Einspruchsmöglichkeit. Denn der Vatikan hat keine Verwaltungsgerichtsbarkeit, die wie beim Staat die Urteile der Gerichte kontrolliert. Oberster Richter, Ankläger und Rechtgeber ist ein einziger Mann: der Papst. Wegen dieses monarchischen Rechtssystems besitzt der Vatikan keine Aussicht auf Vollmitgliedschaft etwa im Europarat.

Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller bekommt durch das Urteil Recht. Der Kirchenmachthaber, dem Wallner soziale Kompetenz abspricht, findet – wen wundert dies? – römischerseits volle Unterstützung für seinen Kurs, die Laienräte an die kurze Leine zu nehmen und unbotmäßige Pfarrgemeinde- oder Diözesanräte aus ihrem Wahlamt zu mobben.

Das Urteil, dessen Veröffentlichung am 5. Mai vom Sekretär der Apostolischen Signatur verfügt wurde, ist auf Lateinisch abgefasst. Die Übersetzung setzte Bischof Müller triumphierend auf die Webseite seines Bistums. »Die unterzeichneten Richter, die nur Gott vor Augen haben«, sind der Kardinal von Budapest, Péter Erdö – ein Opus-Dei- Mann; Kardinal Carlo Caffarra, vatikanintern ein Scharfmacher besonders in Frauen-, Familien- und Verhütungsfragen, sowie drei weitere bischöfliche Vatikanjuristen. Auch der schwäbische Kurienkardinal Walter Kasper ist Mitglied der Apostolischen Signatur, also des »Bundesgerichtshofs« im Vatikan.

In eine Notlage, ja möglicherweise in eine Zerreißprobe gerät nun die Bewegung Wir sind Kirche. Denn das vatikanische Urteil gibt fortan jedem Bischof die Möglichkeit, gewählte Pfarrgemeinde- oder Diözesanratsmitglieder, die Wir sind Kirche nahestehen oder gar Mitglieder der Reformbewegung sind, hinauszuwerfen. Weil die fünf Forderungen der Bewegung Wir sind Kirche – laut Urteil – »zum Teil der kirchlichen Lehre« widersprächen.

Was tun? Die inkriminierten Forderungen nach Frauenpriesterweihe und Demokratisierung preisgeben und in den Räten realitätsbezogen weiterarbeiten – oder aber den offenen, prophetischen Protest wagen?

Thomas Seiterich

Zuletzt geändert am 15­.06.2009