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Veröffentlicht am 17­.04.2008

17.4.2008 - Süddeutsche Zeitung

Schuld und Sühne (zur USA-Reise des Papstes)

Von Matthias Drobinski

Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist ein furchtbares Verbrechen, es mordet die Seele der Opfer, es quält sie ein Leben lang; dass die Täter selber krank sind, macht die Tat nicht weniger schrecklich. Sexueller Missbrauch kann überall vorkommen, wo Kinder in die Hände von Erwachsenen gegeben sind, in der Schule, im Sport, in Jugendverbänden: Erwachsene haben eine Macht, gegen die Kinder sich nicht wehren können. Priester der katholischen Kirche haben eine besonders große Macht, weil Eltern und Kinder ihnen vertrauen und weil sie die Autorität der Religion nutzen können, um ihre Taten zu begehen und dann zu vertuschen. Sie können im Namen Gottes Hand an Kinder legen. Sie haben das in den USA, in Europa und überall auf der Welt tausendfach getan; nie wird man wissen, wie viele Kinderseelen sie damit zerstört haben.

Die Vertreter der missbrauchten Kinder und Jugendlichen haben gefordert, dass Papst Benedikt XVI. sich mit den Opfern katholischer Priester trifft – dazu hat der Vatikan sich nicht durchringen können. Aber der Papst hat sich mit klaren Worten für das, was geschehen ist, entschuldigt; es ist gut, dass er es getan hat und wie er es getan hat. Er hat sich tief beschämt gezeigt und von dem „großen Leiden” gesprochen, dass die Kirchenvertreter zu verantworten hätten, er hat keine Verteidigungslinien aufgebaut, wie das mancher Bischof in den USA (und leider auch in Deutschland) getan hat und tut. Er hat klargemacht, dass Pädophile nicht Priester werden können (und Pädophilie Gott sei Dank von Homosexualität unterschieden). Er bekennt sich zur Schuld und verspricht Sühne.

Das gefällt nicht allen. Vor allem denen nicht, die daran interessiert sind, dass der Papst für eine strahlende Kirche steht, die Stärke zeigt, der die böse Welt mit ihren Vorwürfen und Anschuldigungen nichts anhaben kann. Warum sich noch einmal entschuldigen, wo doch seit 2002, als die Missbrauchsfälle in den Vereinigten Staaten an die Öffentlichkeit kamen und zum Skandal wurden, alles gesagt und vor allem so viel gezahlt wurde? Sollte Benedikt XVI. sich nicht lieber auf die großen weltpolitischen Auftritte konzentrieren, auf die Rede vor den Vereinten Nationen, auf den bewegenden Auftritt am Ground Zero?

Die Antwort lautet: Nein – weil beides zusammengehört. Weil der Papst nicht vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen von Menschenrechten reden kann, wenn den Missbrauchsopfern nicht Gerechtigkeit zuteil wird. Weil der Papst nicht weltweite soziale Gerechtigkeit, den Schutz der Familien, des geborenen und ungeborenen Lebens fordern kann, wenn innerhalb seiner Kirche die Menschenrechte missachtet, die Opfer übersehen, ihre Leidensgeschichten ignoriert werden. Wer der Welt ins Gewissen reden will, muss sein eigenes Gewissen prüfen. Der muss eigene Schuld eingestehen können, der muss wissen, dass er als Sünder spricht.

Die Welt braucht einen wie den Papst, der ihr ins Gewissen redet. Gerade der USA-Besuch des Papstes zeigt das, wo der Präsident der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Weltmacht den Vertreter einer geistlichen, geistigen und moralischen Weltmacht trifft. Die politische, militärische und wirtschaftliche Weltmacht setzt auf Durchsetzungskraft, Stärke, die Wucht der eigenen Interessen. Sie braucht Kräfte der Begrenzung, die auf Ausgleich, Gerechtigkeit, Solidarität mit den Armen und Schwachen setzen, um sie nicht im Allmachtswahn selber zu zerstören. Die Kirchen sind da zu den wichtigsten (wenn auch nicht einzigen) Korrekturmächten geworden, nachdem sie sich jahrhundertelang selber als politische Weltmächte begriffen – ein bemerkenswerter Wandel.

Doch wie sehr die katholische Kirche zur Vertreterin einer globalen Moral wird, hängt von ihrer inneren Glaubwürdigkeit ab. Deshalb ist es nicht egal, wie sie mit den Missbrauchsopfern umgeht. Deshalb ist es auch nicht egal, wie sie mit den Männern umgeht, von denen sie das Versprechen der sexuellen Enthaltsamkeit fordert: mit den Priestern. Es gibt, das legen neue Untersuchungen nahe, Zusammenhänge zwischen einer unreifen, unfreien Homosexualität und der Entscheidung, Priester zu werden – in der Hoffnung, mit dem Zölibatsversprechen alle sexuellen Probleme lösen zu können.

Die Forderung, den Zölibat aufzuheben, ist so oft wie erfolglos vorgebracht worden. Doch dass die Lebensform der katholischen Priester, die vielfach geprägt ist von Einsamkeit und Außenseitertum, reformiert gehört, sollten nicht erst die Opfer sexueller Gewalt deutlich machen müssen. Es ist das Missverhältnis zwischen Anspruch und gelebter Wirklichkeit, das die katholische Kirche viel von ihrer Glaubwürdigkeit kostet; viele Frauen nehmen eine Kirche nicht mehr ernst, in der ihnen ehelose Männer Vorschriften im Ehe- und Sexualleben machen. Auch hier gibt es Schuld, auch hier wäre Sühne vonnöten.

Am Freitag wird Papst Benedikt XVI. vor den Vereinten Nationen reden. Es wird eine kluge, wichtige, bewegende Ansprache werden, die den Papst einmal mehr als Weltintellektuellen zeigen wird. Auch die Opfer des sexuellen Missbrauchs durch Priester werden ihm dabei zuhören.

Zuletzt geändert am 18­.04.2008