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Veröffentlicht am 10­.03.2008

10.3.2008 - Rheinpfalz

"Priesteramt und Pflichtzölibat trennen"

Der katholische Religionslehrer zur kirchlich verordneten Enthaltsamkeit und den umstrittenen Aussagen von Erzbischof Zollitsch

Katholische Pfarrer, die heiraten dürfen? Für Katholiken wäre es eine Revolution, so die Einschätzung von Erzbischof Robert Zollitsch. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz spricht sich gegen Denkverbote beim Zölibat aus und stuft ihn als „nicht theologisch notwendig“ ein. Über Sinn und Unsinn der kirchlich verordneten Enthaltsamkeit sprachen wir mit Studiendirektor Norbert Lindemann, katholischer Religionslehrer am Kurfürst-Ruprecht-Gymnasium (KRG).

Herr Lindemann, über die Zahl der Priester, die nicht im Zölibat leben, aber auch nicht heiraten, gibt es zwar keine offiziellen Zahlen, aber Eingeweihte gehen davon aus, dass das bei etwa der Hälfte der amtierenden Priester so ist. Dürfen die lügen?
Nein. Das dürfen weder Priester, noch Journalisten, noch Lehrer. Zerstörtes Vertrauen mindert die Glaubwürdigkeit. Die Zahlen sind reine Spekulation und einer gewissen Sensationsgier verpflichtet. Wer sind die Eingeweihten? Doppelmoral und Heuchelei sollten nicht die Grundlage für eine Gemeinschaft unter Menschen sein.

Es gibt weder im Alten noch im Neuen Testament deutliche Hinweise auf das Gebot der Ehelosigkeit für kirchliche Amtsträger. Der verheiratete Petrus gilt der in der katholischen Kirche als erster Papst. Weshalb halten die Kirchenvorderen trotz dramatisch rückläufiger Zahlen beim Pfarrernachwuchs so eisern am Zölibat fest?
Das ist eine Frage an die Kirchenleitung in Speyer und Rom. Als kleiner Teil der kirchlichen Laienbasis stelle ich verstärkt die Tendenz fest: Viele Pfarrer fühlen sich mit mehreren Gemeinden überfordert. Die Zahlen für 2006 besagen deutschlandweit, dass 121 Männer die Priesterweihe empfangen haben, aber 664 Priester aus dem aktiven Dienst ausgeschieden sind. Jeder Neupriester muss somit den Dienst von fast sechs anderen Priestern übernehmen.

Und das bedeutet?
Es darf nicht der Eindruck entstehen, die wichtigste Aufgabe der Kirche sei die Einhaltung des Zölibatsgesetzes. Die Kirche kann bald ihren Auftrag die Heilszeichen Gottes zu verkünden, die Sakramente zu spenden, nicht mehr erfüllen, wenn das in den meisten Fällen nur zölibatäre Priester tun dürfen. Ist der katholischen Kirche das Zölibatsgestz wichtiger als die Erfüllung ihrer Grundaufgaben?

Alle angehenden Priester legen ein Zölibatsversprechen ab, wobei suggeriert wird, sie täten das freiwillig. Ohne dieses Versprechen war ihnen aber bislang nach gültigem Kirchenrecht der Weg zum Priestertum versperrt. Kann man da überhaupt von einer freien Entscheidung sprechen?
Frei ist die Entscheidung insofern, als niemand von den jungen Männern zum Priesteramt gezwungen wird. Akzeptieren sie das ehelose Priestertum nicht, dann müssen sie sich nach einem anderen Beruf umsehen. Allerdings ist die Bindung des Priesteramtes an die ehelose Lebensform kein kirchlicher Glaubenssatz, sondern geschichtlich entstanden und daher auch heute veränderbar. Ich plädiere für eine Trennung von Lebensform und Beruf. Die traditionsbewußten Kreise in der Kirche können die Kirchengeschichte nicht erst im 12. Jahrhundert mit dem Zölibatsgesetz beginnen lassen. Die orthodoxe Kirche kennt bis heute den verheirateten Priester. In meinen Beruf als Lehrer wird die Qualität der Erziehung und des Unterrichtes nicht an der Lebensform festgemacht.

Wenn Erzbischof Zollitsch ausdrücklich betont, dass die Verbindung von Priesteramt und Ehelosigkeit nicht „theologisch notwendig“ sei, muss man daraus nicht den Schluss ziehen, dass die Suspendierung aller verheirateten Priester theologisch fragwürdig ist?
Für die Sanktionen gegen die verheirateten Priester gibt es keine theologische Begründung. Der Verstoß gegen das Kirchenrecht zieht harte und unbarmherzige Strafen nach sich.

Tausende Priester haben wegen Heirat Berufsverbot. Kann das praktizierende Nächstenliebe sein, Verzweiflung und Glaubenskonflikte der Betroffenen zu ignorieren?
Von praktizierter Nächstenliebe kann keine Rede sein. Papst Johannes Paul II. Hat die Regeln verschärft, verheiratete Priester in den Laienstand zurückzuversetzen. Dadurch war ihnen – bis auf wenige Ausnahmen – verwehrt, einen Beruf im Dienst der Kirche auszuüben, etwa als Religionslehrer. Am KRG unterrichtete ein Kaplan von St. Josef gerne und erfolgreich Religion. Als er heiratete und sein Priesteramt aufgeben musste, gab es für ihn in der institutionell verfassten Kirche keine Möglichkeit seine Qualifikationen einzubringen. Hier urteilt die Kirche hart und grenzt Menschen aus, die an anderen Stellen in der Kirche dringend benötigt würden.

Einmal angenommen, die Kirche würde sich öffnen und auch verheiratete Expfarrer dürften ihr Amt wieder ausüben: Würde das die Nachwuchsprobleme lösen?
Die pastorale Notlage würde sich allmählich entspannen. Aber damit wären noch nicht alle Probleme gelöst. Mein Vorschlag, Priesteramt und Pflichtzölibat zu trennen, sollte flankiert sein, „bewährte Männer und Frauen“ in die Gemeindeleitung zu berufen mit dem Recht der Eucharistiefeier vorzustehen. In den vergangenen 30 Jahren ging aus dem katholischen Religionsunterricht des KRG ein Priester hervor, aber jede Menge Religionslehrer, Gemeinde- und Pastoralreferenten. Warum könnten theologisch anspruchsvoll ausgebildeten Männer und Frauen nicht Gemeindeleitungsaufgaben gleichberechtigt mit oder an Stelle des Pfarrers übernehmen?

Um einen Vergleich zu ziehen: Mit dem Fall der Mauer hatte 1989 auch niemand wirklich gerechnet. Glauben Sie an ein Zollitsch-Wunder?
Bei allem Respekt: Bischöfe, die Wunder wirken? Da vertraue ich mehr dem heiligen Geist, der schon Dinge vollbracht hat, von denen Bischöfe nur träumen können. Vielleicht sind die Zollitsch-Äußerungen erst ein leichtes Säuseln des Windes, ehe die Sturmkraft des Pfingstgeistes nicht nur die Mauer des Zölibatsgesetzes einstürzen lässt, sondern auch die Mauer, Frauen nicht zum Priesteramt zuzulassen oder die Mauer wiederverheirateten Geschiedenen nicht den Empfang der Sakramente zu erlauben. Die Apostel haben zuerst die Macht des Geistes gespürt. Ihren recht-mäßigen Nachfolgern wünsche ich die gleiche Sensibilität die Zeichen der Zeit zu erkennen. Ein drittes Vatikanisches Konzil könnte neue Fakten schaffen.

Zuletzt geändert am 12­.03.2008