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Veröffentlicht am 12­.02.2008

12.2.2008 - Financial Times Deutschland

Die Herde sucht einen Hirten

von Henning Jess (Berlin)

Die katholische Kirche in Deutschland steht vor einer Richtungsentscheidung: In Wiesbaden sind 69 Bischöfe und Weihbischöfe zu ihrer Vollversammlung zusammengekommen, um aus ihren Reihen einen Nachfolger für Kardinal Karl Lehmann als Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz zu wählen.

Der neue Vorsitzende entscheidet maßgeblich über den Kurs der katholischen Kirche hierzulande und wie eng sie sich an den Vatikan anlehnt. Karl Lehmann hatte Mitte Januar seinen Rückzug vom Amt aus gesundheitlichen Gründen bekannt gegeben. Er stand den deutschen Bischöfen 21 Jahre vor und hat sich in dieser Zeit den Ruf eines Vermittlers erworben. Dabei geriet er oft mit dem Vatikan in Konflikt - ob im Streit um die Schwangerenkonfliktberatung oder in Fragen der Ökumene. "Das war's, jetzt soll das ein anderer machen", sagte der Bischof von Mainz am Montag. "Es ist eine wichtige Aufgabe, dass der neue Vorsitzende die deutschen Bischöfe zum Konsens führt", sagte Christian Weisner von der katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche". Diesen Konsens hätten konservative Bischöfe in der Vergangenheit verhindert.

Die Wahl des neuen Vorsitzenden ist geheim. Er muss in den ersten beiden Wahlgängen eine Zweidrittelmehrheit auf sich vereinen. Danach reicht für weitere Wahlgänge die einfache Mehrheit.

Zwei Geistliche haben sich als mögliche Nachfolger herauskristallisiert: Zum einen der Erzbischof von München, Reinhard Marx. Der 54-Jährige gilt als schlagfertig, redegewandt und medienkompetent. Doch schon vor der Wahl schlägt ihm leichtes Misstrauen von "Wir sind Kirche" entgegen. "Bisher hat er sich freundlich im Ton, doch hart in der Sache gezeigt", sagte Weisner. Ein kürzlicher Besuch im Vatikan lasse vermuten, dass Marx voll auf Linie des Papstes liege. Die Organisation befürchtet, dass die Kirche in Deutschland "mit Brachialgewalt auf den Kurs Roms" gebracht werden soll. "Wir kennen und schätzen Marx als jemanden, der auf das Erbe des sozialen Katholizismus in Deutschland Wert legt", sagte hingegen Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), der FTD.

Ein anderer Kandidat ist der Bischof von Freiburg, Robert Zollitsch. Er könnte ein Kompromisskandidat zwischen verschiedenen Strömungen innerhalb der Bischofskonferenz sein. Er ist zwar in der Öffentlichkeit noch nicht so bekannt wie Marx, aber auch kaum durch innerkirchliche Auseinandersetzungen belastet.

Meyer erwartet von dem neuen Vorsitzenden, dass die bewährte und belastbare Zusammenarbeit mit dem ZdK fortgesetzt werde. "Es stellt eine große Herausforderung dar, das 20-jährige Erbe von Lehmann anzutreten", sagte Meyer.

Lehmann zog am Montag vor Beginn der Bischofsversammlung Bilanz seiner 21-jährigen Amtszeit: Die deutsche Wiedervereinigung und damit die Einigung der katholischen Kirche im Osten und Westen Deutschlands nannte er als einen der Höhepunkte seiner Amtszeit. Auch in der Ökumene der christlichen Kirchen sei in den zwei Jahrzehnten seiner Amtszeit viel erreicht worden. Es bleibe aber noch viel zu tun.

Zuletzt geändert am 12­.02.2008