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Veröffentlicht am 07­.02.2008

7.2.2008 - Rheinischer Merkur

„Fast ein echter Bayer“

Den Leuten gefällt, dass Reinhard Marx bodenständig ist. Der neue Erzbischof von München will sich politisch und gesellschaftlich einmischen.

VON MICHAELA KOLLER

In Bayern kommt das Wortspiel mit dem Namensvetter des neuen Erzbischofs gut an. Gleich in seiner ersten Predigt im Liebfrauendom stellte er klar: Begegnung mit Gott sei keine Illusion – „wie der alte, der andere Marx gemeint hat“. Und den Religionskritikern entgegnet er: „Die Frage nach Gott wird lebendig bleiben.“ Selbstbewusst kündigte der neue Oberhirte von München und Freising an, er werde sich „politisch und gesellschaftlich einmischen und zu Wort melden“. Die Verkündigung gehört für Marx in die Mitte der Gesellschaft. Als er dann seinem Vorgänger für den „beispielhaften bischöflichen Dienst“ dankte, unterbrach die Gemeinde die Predigt mit kräftigem Applaus. Kein Zweifel, der gebürtige Westfale schlug den richtigen Ton in seiner neuen bayerischen Heimat an.

Das zeigte sich auch nach dem feierlichen Gottesdienst, den 1200 im Dom versammelte und weitere 1500 Menschen vor den Übertragungswänden in der nahe gelegenen Kirche St. Michael verfolgten. Trotz eisigen Windes warteten 4000 Schaulustige an den Straßenrändern auf dem Weg zur einstigen königlichen Residenz. Kirchliche Bewegungen und Verbände sowie geistliche Gemeinschaften darunter gaben sich durch Spruchbänder und Fahnen zu erkennen: Von „Wir sind Kirche“ über Kolping bis zum Neokatechumenat – ein breites Spektrum war vertreten. Eine Gruppe skandierte „Erzbischof Reinhard, Erzbischof Reinhard“.

Keiner dachte mehr an das „Fettnäpfchen“, in das Marx vermeintlich getreten war. Sein Umzug von Trier nach München sei nicht mit dem Auszug aus Ägypten zu vergleichen, hatte der 54-Jährige gleich nach seiner Ankunft in Bayern gescherzt. Paderborn und Trier seien nicht Ägypten und Bayern nicht „das gelobte Land“. „Ho, ho, ho”, hatten die Einheimischen ihm da lauthals entgegnet. Die Bayern haben dem Zugereisten, erfrischend direkt wie er ist, das nicht nachgetragen.

Salut der Schützen

Marx ist nun Oberhirte von 1,8 Millionen Katholiken in 755 Pfarrstellen. 1200 Priester, rund 2800 Ordensschwestern und 890 Ordensmänner wirken in seiner Ortskirche. Der Etat des Erzbistums betrug im Jahr 2006 mehr als 400 Millionen Euro. Marx ist der 73. Nachfolger des heiligen Korbinian, der im 8. Jahrhundert den Glauben nach Altbayern brachte. Seit rund 100 Jahren ist der Münchner Bischofsstuhl mit der Kardinalswürde verbunden. Marx wird also wohl zum nächsten Konsistorium nach Rom reisen.

Endlich, nach mehr als zweieinhalb Stunden feierlicher Zeremonie und Gottesdienst, konnte der Landeshauptmann der bayerischen Gebirgsschützen dem neu eingeführten Erzbischof Meldung machen. Beim gewaltigen Salut zuckte dieser etwas zusammen. Als schließlich die Schützen aus seiner westfälischen Heimat kräftig „Horrido“ riefen, grüßte er mit energisch geschlossener Faust zu ihnen herüber, um darauf die Bayernhymne auswendig mitzusingen. „Heimatverbunden“ und „bodenständig“ sei er, hörte man immer wieder. „Für Heimatverbundene hat Erzbischof Marx großes Verständnis“, stellte auch Ministerpräsident Günther Beckstein beim Festakt in der Münchner Residenz fest. „Das macht Sie schon fast zu einem echten Bayern.“ Starker Applaus.

Auf dem Weg dorthin, der von jubelnden Menschen gesäumt war, machte der Münchner Erzbischof vor der Salvatorkirche halt. Dort überreichte ihm der griechisch-orthodoxe Metropolit von Deutschland, Augoustinos, ein Brustkreuz mit dem Segenswunsch des Patriarchen BartholomaiosI. von Konstantinopel, des Ehrenoberhaupts der orthodoxen Christenheit. Zudem empfing ihn dort Erzpriester Apostolos Malamoussis, Bischöflicher Vikar der griechisch-orthodoxen Metropolie von Deutschland, mit einem kostbaren Evangeliar und bekundete damit nach griechischer Tradition seine Verehrung gegenüber dem Erzbischof als Apostelnachfolger. Einige Münchner griechischer Herkunft legten zu diesem Anlass Trachten aus Kreta, Mazedonien, Thessalien und Athen an, Gegenden, in denen der Apostel Paulus gewirkt hat.

Die Symbolik war mehrdimensional: Erstens hat nach Schätzungen allein die Stadt München eine stattliche griechische Gemeinde von rund 26000 Angehörigen. Zweitens haben Bayern und Hellas eine gemeinsame Geschichte: König Ludwig I. hatte die Unabhängigkeit Griechenlands unterstützt, 1832 wurde sein Sohn Otto zum ersten König des modernen Griechenlands ernannt. Drittens verband den bisherigen Münchner Erzbischof Friedrich Kardinal Wetter eine langjährige Freundschaft mit Erzpriester Malamoussis. Marx war also nicht nur in seiner Diözese, sondern auch im multikulturellen München angekommen.

„Das Eis war schon am Mittwoch gebrochen, als der Erzbischof sagte, wir sollten nach Hause gehen und einen Tee oder Obstler trinken“, erinnert sich der Münchner Christian Hoffmann vom Bayerischen Trachtenverband. Er und andere „Trachtler“, wie sie sich selbst nennen, hätten einen „sehr guten Eindruck“ von dem neuen Oberhirten. In der Tat war Erzbischof Marx bereits seit seiner Ankunft drei Tage vor der feierlichen Amtseinführung von einer Welle optimistischer Erwartungen aus unterschiedlichen Richtungen empfangen worden, so auch auf dem Münchner Marienplatz anlässlich des Gebets an der Mariensäule.

Trotz feuchter Kälte hatten sich auch dort mehrere tausend Menschen versammelt. Jubel und Applaus brandeten auf, als er, aus dem Norden der Stadt kommend, dort eintraf. Vom Stehvermögen und der Begeisterungsfähigkeit der Münchner sichtlich gerührt, rief er ihnen zu: „Ihr seid Spitze.“ Wie symbolreich die Szene war, erkannte der neue Oberhirte von München und Freising selbst: Den aufkommenden Regen interpretierte er als gutes Zeichen „wie bei einer verregneten Hochzeit“, die einer Redensart zufolge als Beginn einer fruchtbaren Ehe gelte.

„Mit dem Wetter hatten wir bisher keine Probleme“, spielte Oberbürgermeister Christian Ude doppeldeutig auf die vorausgegangenen Sonnentage und zugleich auf die vergangene 25-jährige Amtszeit von Kardinal Wetter an. „Dank Ihrer spürbaren Lebensfreude und sichtbaren Fußballbegeisterung werden Sie hier nicht lange fremdeln, sondern schon bald als Personifizierung bayerischer Frömmigkeit und barocken Lebensgefühls gelten“, so lautete die Prognose des SPD-Politikers, der ebenso wie Marx Fußballvereinsmitglied ist: Ude bei 1860 München und Marx bei Borussia Dortmund.

Auftakt in Scheyern

Der Vorsitzende des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum München und Freising, Alois Baumgartner, wünschte, der neue Erzbischof in München möge „tiefe Wurzeln“ schlagen und als Bischof das Leben mit den Gläubigen teilen. Lauten Widerspruch erntete der oberste Laienvertreter mit seinem Satz „Wir begrüßen Sie, Herr Bischof, auf dem bayerischsten aller bayrischen Plätze.“ Offenbar waren viele Gläubige von außerhalb der Stadt zu diesem Ereignis angereist und harrten hier auf ihren „Herzbischof“, wie ihn tags darauf eine große Boulevardzeitung nannte. Päpste, zuletzt Benedikt XVI. bei seinem Bayernbesuch 2006, Fürsten und Vertreter des katholischen Widerstands gegen die Nationalsozialisten hatten unter dieser Säule mit der Patrona Bavariae gebetet. Im Jahr 1638 hatte sie Kurfürst Maximilian am metrischen Nullpunkt Altbayerns errichten lassen.

Nicht weniger altehrwürdig ist die Heilig-Kreuz-Abtei Scheyern, wo Marx am Morgen den Fuß auf den Boden des Erzbistums München und Freising setzte. Scheyern ist der alte Stammsitz der Schyren, wie die Wittelsbacher hießen, bevor sie 1116 Wittelsbach zu ihrer neuen Stammburg machten. Nicht weniger symbolträchtig ist das dort verehrte Heilige Kreuz, das Benediktiner-Abt Engelbert Baumeister nach dem Mittagsgebet dem Erzbischof zum Segen auflegte. Der Überlieferung nach soll die Mutter Kaiser Konstantins, die heilige Helena, im vierten Jahrhundert das Kreuz Christi wiederentdeckt haben. Über Umwege sei ein Stück aus dem Kreuz im 12.Jahrhundert schließlich nach Scheyern gelangt.

Das als Reliquie verehrte Holzstück wird heute in einer Monstranz aus dem 18. Jahrhundert mit doppeltem Querbalken und Schmucksteinen aufbewahrt. Es ist zugleich ein Stück, das Marx' Ankunftsort mit seiner bisherigen Wirkungsstätte Trier verbindet: In der Stadt Konstantins, in der Benediktinerabtei St. Matthias, befindet sich ebenfalls eine Kreuz-Christi-Reliquie.

Nach der Andacht und einem Mittagessen in Scheyern ging es im Polizeikonvoi in den Norden Münchens, zur Pfarrgemeinde St. Peter und Paul im Stadtteil Feldmoching. Erzbischof Marx genoss sichtbar das Bad in der Menge und setzte sogar einem kleinen Jungen sein Birett auf. „Es war eine herzliche Begegnung, wie wir uns das erhofft hatten“, bilanziert Pfarrgemeinderatsvorsitzende Monika Pech. Die Frage, ob ihm nicht der Ruf eines kirchlich Konservativen vorauseile, verneinte Pech. Viel eher kennzeichne ihn der Einsatz für soziale Themen. „Wir möchten erst einmal wissen, was er für ein Mensch ist. Das Inhaltliche muss man dann erst anschauen.“

Bei seiner frei gehaltenen Rede nach dem Treueeid auf die Bundesrepublik Deutschland und den Freistaat Bayern zeigte sich Marx in der Tat ganz als politischer Kopf: Die katholische Kirche stehe zwar zum weltanschaulich offenen Staat, betonte er. Dieser dürfe aber nicht indifferent sein. Er habe Verantwortung für die Voraussetzungen, von denen der Staat lebe. Dazu gehöre es, die Bereiche zu schützen, in denen Menschen in Freiheit „private Entscheidungen von höchstem öffentlichen Interesse“ fällten, zum Beispiel zur Gründung einer Familie. Die Kirche wiederum habe sich nicht nur um die eigene Herde zu kümmern, sondern daran zu erinnern, dass alte, kranke und behinderte Menschen in die Mitte der Gesellschaft gehörten. Klare Worte, die man von ihm schon gewohnt ist, nur jetzt mit noch mehr Gewicht. Ob es bei der Deutschen Bischofskonferenz demnächst auch einen Neuanfang mit ihm geben könnte, darüber wurde während der feierlichen Tage in München nur am Rande spekuliert.

Zuletzt geändert am 07­.02.2008