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Veröffentlicht am 01­.09.2023

September 2023 – Kirche In (Kolumne „Unzensiert“)

Kirche und Demokratie brauchen einander

„Den Nationalsozialismus und den Sozialismus hat die katholische Kirche überlebt, sie wird auch die Demokratie überleben“, sagte der Chefredakteur einer rechtskonservativen Zeitung im Herbst 1995 als Argument gegen das KirchenVolksBegehren. Hatte er nicht mitbekommen, dass sich das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) bereits zur Partizipation bekannte, als in vielen Ländern noch Militärdiktaturen herrschten?

Vielleicht behält der Chefredakteur jetzt aber doch Recht. Denn aktuell müssen wir erleben, dass die Staatsform Demokratie weltweit kein Selbstläufer ist. Es braucht gemeinsame Grundlagen und Gewaltenteilung. Demokratie ist mehr als ein Zählprinzip, bei dem es nur um Mehrheiten geht. Wenn heutzutage gelenkte oder illiberale Demokratien von Autokraten missbraucht werden und nationalistische Parteien – in Deutschland ist es die AfD – bei Wahlen „demokratisch“ gewinnen, kann einem schon Angst und Bange werden. Deshalb brauchen wir eine wertegeleitete Demokratie. Die Aussage des Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde (aus der Zeit des Konzils!) „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ gilt heute mehr denn je.

Der Soziologe Hartmut Rosa sagt es noch kürzer: „Demokratie braucht Religion“. Angesichts der aktuellen Kirchenaustrittszahlen in Deutschland in nie dagewesener Höhe stellt sich immer mehr die Frage, was die Gesellschaft, was die Demokratie verliert, wenn Religion darin keine Rolle mehr spielt. Nicht einmal die Hälfte der deutschen Bevölkerung gehört jetzt noch der katholischen oder evangelischen Kirche an.

Dass die katholische Kirche nicht demokratisch, sondern trotz des Konzils hierarchisch verfasst ist, hat das Verhalten einiger Bischöfe und auch des Vatikans gegenüber dem Synodalen Weg in Deutschland überdeutlich werden lassen. Ja, unsere Kirche ist eine der letzten absolutistischen Monarchien der Welt. Aber dieses Kirchenverständnis kann sich nicht auf Jesus von Nazareth berufen. Diesen Widerspruch spüren die Glaubenden, die in einer demokratischen Gesellschaft leben, immer deutlicher. Wo Macht ausgeübt wird, muss es Kontrolle geben. Wo entschieden wird, ist die Beteiligung der mündigen Christinnen und Christen erforderlich.

Deshalb ist es unverständlich, dass der Synodale Ausschuss, der mithelfen soll, den Synodalen Weg in Deutschland dauerhaft wirksam zu machen, von einer bischöflichen Minderheit (vier von 27!) und auch vom Vatikan so sehr blockiert wird. Viel zu lange hat sich die Kirche mit demokratischen Beteiligungsverfahren schwergetan. Jetzt wäre es dringend an der Zeit, demokratische Bewegungen in aller Welt zu unterstützen und selbst auch innerhalb der eigenen Kirche zu praktizieren. Es ist das Modell, das dem christlichen Menschenbild von der Gleichheit aller auf praktikable Weise am ehesten entspricht. Also: Auch in der Kirche mehr Demokratie wagen, damit die Staatsform Demokratie gestärkt wird!

Christian Weisner 
Wir sind Kirche Deutschland

Zuletzt geändert am 22­.07.2023