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Veröffentlicht am 09­.03.2018

9.3.2018 - epd

"Visionär im Dialog mit der Welt"

Reformbewegung "Wir sind Kirche" würdigt Hans Küng zum 90. Geburtstag (19. März 2018)

epd-Gespräch: Stephan Cezanne

Frankfurt a.M./München (epd). Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" hat Hans Küng zum 90. Geburtstag (19. März) als einen der einflussreichsten Theologen der jüngsten Kirchengeschichte gewürdigt. Küng habe wie kein anderer Wissen über die großen Weltreligionen vermittelt und damit zum interreligiösen Dialog beigetragen, sagte der katholische Theologe Magnus Lux vom "Wir sind Kirche"-Bundesteam (München) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dies sei auch ein Beitrag für mehr Frieden in der Welt.

epd: Hat Hans Küng die römisch-katholische Kirche verändert?

Magnus Lux: Seit seiner ersten Veröffentlichung zur Ökumene im Jahr 1957 hat Hans Küng starke Impulse gesetzt, die wichtige Dimensionen von Kirche und Kirchenreform beeinflussten: Ökumene, innerkirchliche Strukturreformen, ein erneuertes Christus- und Gottesbild, ein intensiver Dialog mit den Weltreligionen sowie das Projekt Weltethos. Je mehr Johannes Paul II. und Benedikt XVI. seine Impulse blockierten, desto mehr wurde Küng zur geheimen Leitfigur an der Basis reformorientierter Katholiken. Der Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis (1979/80) hat seine Wirksamkeit enorm gestärkt. Je mehr er offiziell verschwiegen wurde, umso mehr sind die Verkaufszahlen seiner Bücher gestiegen.

epd: Wie groß ist Küngs Einfluss in die Kirchen hinein?

Lux: Küngs ökumenische These zur Rechtfertigungslehre wurde 1999 durch die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" von Lutherischem Weltbund (LWB) und Vatikan bestätigt. Seine zahlreichen Vorschläge zur Kirchenreform sind aktueller denn je. Seine Rückkehr zum geschichtlichen Jesus in seinem Buch "Christ sein" von 1974 bestimmt das allgemeine Glaubensverständnis in hohem Maße und hat zu einer Erneuerung des Religionsunterrichts beigetragen. Bis heute ist er ein oft ungeliebter, aber unvermeidlicher Gesprächspartner der Kirchenleitungen geblieben. Benedikt XVI. empfing ihn 2005 zu einem Gespräch und mit Papst Franziskus steht er in regelmäßigem Briefkontakt.

epd: Was ist der Grundgedanke im Werk von Hans Küng?

Lux: Das Leitmotiv im Werk von Hans Küng war nie eine selbstgefällige Kritik an der Kirche, sondern von Anfang an das vorurteilsfreie, notfalls selbstkritische Gespräch mit der Welt. Seine Forderungen nach einer schriftgemäßen und zugleich zeitgemäßen Theologie haben sich weitgehend durchgesetzt, konkret heißt das: im Dialog mit anderen Kirchen sowie mit den Human-  und Naturwissenschaften auf der Basis einer kritischen Schriftauslegung - und dies alles in einer leicht verständlichen Sprache.

epd: Wie stark hat sein Denken die Theologie des 20. und 21. Jahrhunderts beeinflusst?

Lux: Seine Untersuchungen zur kirchlichen Unfehlbarkeit sowie zum fortgesetzten Paradigmenwechsel in Kirchen und Theologie haben die theologischen Illusionen einer überzeitlichen, für immer gültigen Glaubenslehre nachhaltig erschüttert und das theologische Denken zukunftsfähig gemacht. Mit seinen umfassenden Arbeiten zur Auseinandersetzung mit anderen Religionen und seinen Impulsen zum interreligiösen Gespräch war er den aktuellen Entwicklungen weit voraus. Vorbildlich dafür sind auch seine Arbeiten mit großen Figuren der Kunst und Literatur. Nach wie vor stehen im Zentrum seines Denkens die Sinn- und Zukunftsfragen, die Mensch und Gesellschaft stellen. Dieses konsequente Leitmotiv kann auch zeigen, warum die Werke von Hans Küng immer noch an Aktualität gewinnen.

epd: In seinem Weltethos-Projekt wirbt Küng unter anderem für eine Ökumene der Religionen und für Frieden zwischen den Nationen. Wie sieht die Bilanz nach fast einem Vierteljahrhundert Stiftung Weltethos aus?

Lux: Nach wie vor lässt sich das Projekt Weltethos von der großen Vision eines Weltfriedens und von der Überzeugung leiten, dass dabei die Weltreligionen eine Schlüsselrolle spielen. Die Erfolge dieser Vision lassen sich kaum bilanzieren. Das Projekt Weltethos sieht seinen Erfolg darin, dass es immer noch expandiert und in der Öffentlichkeit auf größtes Interesse stößt. Es begann mit der Bündelung von global wirksamen grundlegenden Werte- und Moralvorstellungen in den Weltreligionen und philosophisch-humanistischen Ansätzen. Es hat also eine ethische und interreligiöse Dimension und stellt ein Orientierungswissen über andere Kulturen und Religionen sowie über interkulturelle und interreligiöse Verständigung bereit. Seine wichtigsten Tätigkeitsgebiete sind: Religion, Politik, Wirtschaft, Recht, Schule und Bildung. Auf dieser Basis engagiert sich die 1995 gegründete Stiftung Weltethos mit vielfachen Einzelprojekten für interkulturelle und interreligiöse Forschung, Bildung und Begegnung und zur Wertevermittlung auf unterschiedlichen Ebenen für unterschiedliche Zielgruppen.

epd: Trägt das Weltethos-Projekt Früchte?

Lux: Die aktuellen Auseinandersetzungen um Migrationspolitik und wachsende Ängste vor einem gefährlichen Fundamentalismus haben zu einem stärkeren Interesse geführt. Besonders zu erwähnen ist das Interesse für weltethische Fragen im Bildungssektor. Inzwischen haben sich in Deutschland 15 Schulen den offiziellen Titel einer "Weltethos-Schule" erworben. Das 2012 gegründete Weltethos-Institut an der Universität Tübingen widmet sich zudem in Forschung und Lehre Fragen der Wirtschafts-, Unternehmens- und Globalisierungsethik und bringt die Weltethos-Thematik in den internationalen philosophischen Diskurs ein. An seinem 85. Geburtstag hat sich Hans Küng aus dem operativen Geschäft der Stiftung Weltethos zurückgezogen, und es hat sich inzwischen gezeigt, dass die Stiftung die Impulse ihres Stifters selbstständig weitertragen und weiterentwickeln kann.

Zuletzt geändert am 20­.03.2018