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Veröffentlicht am 14­.11.2012

14.11.2012 - Münchner Merkur

„Benedikt XVI. ist ein einsamer Führer"

Ein Pontifikat der Stagnation - Vatikan-Experte sieht den Papst als tragische Figur

München - Es ist ein wenig wie ein „Nachhausekommen", dieser Besuch des Vatikanexperten Marco Politi in München. Doch der langjährige Vatikan-Korrespondent, der 20 Jahre für „La Repubblica" über Kirchenthemen geschrieben hat, ist nicht in die Landeshauptstadt gereist, um über seine Kinder- und Schulzeit in Schwabing zu berichten. Politi hat eine Zwischenbilanz des Pontifikats von Benedikt XVI. gezogen - und findet dabei klare Worte. Krise, Stagnation, Führungsschwäche, diese Wörter bestimmen sein Buch „Joseph Ratzinger: Krise eines Pontifikats", das am 28. November auf Deutsch erscheint. Die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche" hat im Vorfeld Politi zu einem Vortrag nach München eingeladen.

„Das Gefühl der Stagnation ist in Rom weit verbreitet", resümierte der Journalist. Das Pontifikat sei überschattet von Problemen: „Es ist eine Serie von Krisen, so wie es sie in den vergangenen 200 Jahren in keinem anderen Pontifikat gegeben hat." Angefangen habe es mit der Islam-Krise nach der Regensburger Rede 2006, dann der Streit mit dem Judentum wegen der Karfreitagsbitte, der Konflikt über die Piusbrüder und den Missbrauchsskandal bis hin zur Dokumenten-Affäre im Vatikan.

Voller Widersprüche sei das Pontifikat, zwiespältig auch die Person des Papstes. „Persönlich ist Benedikt XVI. ein freundlicher, zugewandter Gesprächspartner. Er ist sehr bescheiden", betont Politi. Auch sei er ein großer Prediger, ein tiefgründiger Redner, ein großer Intellektueller. Doch zugleich attestiert der Vatikan-Experte dem Papst eine eklatante Führungsschwäche. Es "fehlten in Rom der Raum für Diskussionen und die Dynamik, um die Probleme in der Kirche anzupacken. Joseph Ratzinger, so beschreibt Politi; sei eine tragische Figur. Er habe nicht Papst werden wollen.

Eine starke konservative Lobby vor allem aus Südamerika habe ihn in Position gebracht. Das erste Jahr des Pontifikats sei ein „Jahr der Gnade" gewesen. „Die schlichte, demütige Art Benedikts hat überzeugt - auch seine intellektuelle Persönlichkeit. Doch dann kam die Kette der Krisen." Politi vermisst ein geopolitisches Fingerspitzengefühl beim Papst-gerade im Kontakt zum Islam oder Judentum. Benedikt lasse sich zu wenig beraten, sei pessimistisch in der Weltbetrachtung. „Der wunde Punkt ist: Die Entscheidungsgewalt liegt immer noch in den Händen eines einsamen Papstes." Die Kirche könne nicht mehr monarchistisch regiert werden - mehr Mitsprache der Kardinäle und der Bischofskonferenzen sei dringend erforderlich.

CLAUDIA MÖLLERS

Zuletzt geändert am 14­.11.2012