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Veröffentlicht am 05­.11.2010

5.11.2010 - Publik-Forum

Katholischer Hahnenschrei

Die Kirchenvolksbewegung ruft die Katholiken in den Gemeinden auf, selbstbewusst das zu tun, was sie für richtig halten

Von Hartmut Meesmann

Der Tenor ist eindeutig, die Marschrichtung klar: »Nehmt das kirchliche Leben selbst in die Hand, tut selbstbewusst das, was ihr als richtig erkannt habt, lasst euch nicht bevormunden, übernehmt Verantwortung, seid kreativ, nehmt euch der Sorgen und Probleme der Menschen an!« Was nichts anderes heißt als: Setzt die hierarchische Struktur der römisch-katholische Kirche außer Kraft!

So lautet die Botschaft der Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche nach ihrer Bundesversammlung in Essen an die Katholiken. »Essener Hahnenschrei« ist dieser »Weckruf« überschrieben; war es doch ein Hahn, der im Mittelalter - so erzählt die Legende - frühmorgens die nach einem Fest noch benebelten Bürger Essens mit seinem Gekrähe auf eindringende Räuberbanden aufmerksam machte und die Stadt so vor der Zerstörung bewahrte.

Mit ihrem Aufruf gemäß der Devise »Auftreten, nicht austreten« wollen die Reformer der Resignation entgegentreten, die vielerorts eben auch spürbar ist und das gemeindlich-kirchliche Leben lähmt. Christian Weisner, der unermüdliche Sprecher der Bewegung, zeigt den Brief eines Münchner Pfarrgemeinderats, der nach der Visitation durch den Weihbischof an die Gremien der vier Gemeinden, die jetzt fusioniert sind, schreibt: Die Bischöfe hätten offenkundig kein Zukunftskonzept und seien »unfähig und unwillig«, grundlegend etwas zu ändern, der Betrieb werde wegen des Priestermangels einfach heruntergefahren. Deshalb sei die einzige Alternative, dass die Gemeinden »selbstständig Entscheidungen treffen und machen, was sie vor Ort für richtig halten«. Denn vor Ort müssten die Probleme gelöst werden.

Auch alte Kämpen der Reformbewegung sind ratlos, entsetzt oder »irritiert«, wie sich der Dortmunder Pastoraltheologe Norbert Mette in Essen ausdrückt, wie sehr der inspirierende Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils inzwischen aus der römischkatholischen Kirche vertrieben worden ist. Jetzt komme es darauf an, kleine Gemeinschaften des Glaubens zu bilden, die sich vor allem um die Sorgen und Probleme der Menschen kümmern sollten, empfiehlt der Theologe. Man müsse jetzt die bestärken, die sich noch in der Kirche engagieren, sorgt sich Mette.

Man dürfe die fast durchgängig von oben verordneten Zusammenlegungen von Gemeinden nicht nur negativ sehen, findet Edgar Utsch, Mitglied eines Pfarrgemeinderates in Gelsenkirchen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Priester- und Solidaritätsgruppen. Denn: »Größere Strukturen bieten immer auch Chancen für ganz neue Wege.« Und die müsse man jetzt eben gehen, so Utsch.

Wie dies die Mitglieder des Freckenhorster Kreises im Bistum Münster tun, die zum Beispiel seit Jahren schon zu ökumenischen Mahlfeiern einladen und sich nicht weiter um das kirchenoffizielle Njet kümmern. Denn sie halten es für theologisch falsch. Was Selbermachen heißen kann, zeigten Vereine wie Donum vitae oder Frauenwürde, erläutert der frühere Pfarrer und alte Fahrensmann des Kreises, Ferdinand Kerstiens. Hier beraten katholische Christinnen Schwangere innerhalb des staatlichen Beratungssystems, weil sie die Position der Bischöfe für falsch halten, die das staatliche Konzept als unethisch ablehnen.

Andere sind zorniger. So fordert Magdalene Bußmann, Vorsitzende des Vereins zur Umwidmung der Kirchensteuer, »mehr zivilen Ungehorsam« und empfiehlt den Austritt aus der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts, um beim Geldhahn anzusetzen. Der frühere Religionslehrer Bruno Hessel propagiert mit seiner Initiative Ökumene 2017 den vorübergehenden Kirchenaustritt, um so Druck auszuüben. »Und das wirkt«, berichtet er, »die Bistumsleitung kam sofort zu mir zum Gespräch.« Hessel bekam starken Beifall von den rund hundert allesamt älteren Delegierten der Wir-sind-Kirche-Gruppen; doch wer von ihnen tritt am Ende tatsächlich aus? Die meisten sind ihrer Kirche dann doch viel zu sehr verbunden, um diesen Schritt zu tun.

Zu Gast ist in Essen auch Stefan Bölts, Referent für Kirchenreform am Institut für Wirtschafts- und Sozialethik Marburg und Mitglied des evangelischen Netzwerks Kirchenreform. Der 31-Jährige berichtet, dass es auch in seiner evangelischen Kirche einen unverkennbaren Trend zur Zentralisierung gebe sowie eine Pfarrerzentrierung in den Gemeinden, die dem evangelischen Selbstverständnis vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen völlig widerspreche. Und so fordert auch Bölts im Einklang mit den katholischen Reformgeschwistern, »stärker die Schätze zu heben«, die in den sogenannten Laien schlummern. Deren Zahl aber nimmt kontinuierlich ab - in beiden Kirchen. Auch deshalb, weil man sie nicht wirklich ernst nimmt.

Zuletzt geändert am 05­.11.2010