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Veröffentlicht am 24­.05.2006

24. Mai 2006 - Saarbrücker Zeitung

„Die Kirchen befinden sich in einer epochalen Umbruchsituation“

Gespräch mit Christian Weisner von der Reform-Bewegung „Wir sind Kirche“ – Für mehr Gerechtigkeit innerhalb der katholischen Konfession

Saarbrücken. Die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ hat mehr innerkirchliche Gerechtigkeit angemahnt. Die „überaus harte Abstrafung“ des vom Priesteramt suspendierten Saarbrücker Theologen Gotthold Hasenhüttl sei „nicht nachvollziehbar“, sagte „Wir sind Kirche“-Mitbegründer Christian Weisner (Foto: SZ). Mit ihm sprach im Vorfeld des Katholikentages (24. bis 28. Mai) SZ-Redakteur Guido Peters.

Die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ ist mit drei Veranstaltungen im offiziellen Katholikentags-Programm vertreten. Sind die Kritiker der Amtskirche handzahm geworden?

Weisner: Nein, die Kirchenvolksbewegung ist ganz und gar nicht zahm geworden. Mit unseren Veranstaltungen zur Freiheit in der Kirche, zur Zukunft der Gemeinden angesichts des dramatischen Priestermangels und zur Ökumene greifen wir die aktuellen innerkirchlichen Problempunkte auf. Da die Verantwortlichen des Katholikentags uns aber von einer Veranstaltung mit Professor Hasenhüttl „abgeraten“ haben, haben die Reformgruppen nun eine Podiumsdiskussion mit ihm außerhalb des offiziellen Programms am Samstagabend im Saarbrücker Staatstheater organisiert.

„Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht“, so das Thema des Laientreffens. Wie ist es um die Gerechtigkeit in der Kirche bestellt? Beispielsweise im Fall Hasenhüttl.

Weisner: Das ist genau der blinde Fleck dieses Katholikentages. Es ist gut, wenn Kirche die soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit thematisiert, ein zentraler Begriff in der jüdisch-christlichen Tradition. Aber Gerechtigkeit von anderen kann nur dann glaubwürdig eingefordert werden, wenn man sie auch selber praktiziert. Die überaus harte Abstrafung von Professor Hasenhüttl, dem das Priesteramt und die Lehrbefugnis entzogen wurden, ist nicht nachvollziehbar. Das, wofür Hasenhüttl so hart bestraft wurde, wurde schon von Kardinälen in Rom und Taizé praktiziert. Und sogar die Eucharistie-Enzyklika von Papst Johannes Paul II. lässt diese Ausnahmen zu.

Der katholischen Kirche kommen immer mehr „Schäfchen" abhanden. Ist diese Abwärtsbewegung zu stoppen?

Weisner: Die Kirchen befinden sich in einer epochalen Umbruchsituation. Ich sehe diese Entwicklung aber nicht nur negativ, denn die Menschen kommen jetzt aus freier Entscheidung zur Kirche und nicht, weil sie Angst vor Höllenstrafen haben. Aber Werbekampagnen oder Großaktionen wie Weltjugendtage oder Papstbesuche allein helfen nicht weiter und bringen keine wirkliche Wiederkehr des Religiösen. Wichtiger wäre es, auf die konkreten Fragen und Nöte der Menschen einzugehen und zeitgemäße Antworten aus dem Glauben heraus zu geben.

Was ist gegen den Priestermangel in der katholischen Kirche zu tun? Manche Diözesen haben bereits keine Neupriester mehr.

Weisner: Ja, und das ist nicht nur in Deutschland oder Europa so. In den 26 Jahren von Papst Johannes Paul II. ist die Zahl der Katholiken und Katholikinnen weltweit um mehr als 40 Prozent gestiegen, jedoch die Zahl der Priester um vier Prozent zurückgegangen. Immer weniger Gemeinden können regelmäßig Eucharistie mit einem Priester feiern. Da stellt sich wirklich die Frage, wie lange das Eheverbot für Priester und der radikale Ausschluss von Frauen vom Priesteramt noch zu halten sind.

Viele Bistümer sind auf striktem Sparkurs. Gemeinden werden zusammengelegt, Kindergärten geschlossen. Ist die Kirche auf dem richtigen Weg?

Weisner: Nein, wenn vieles jetzt mit McKinsey-Methoden nur durch die ökonomische Brille betrachtet wird, kann das nicht der richtige Weg einer Glaubens- und Solidargemeinschaft sein. Allerdings werden wir uns von manchem verabschieden müssen, was in Jahrhunderten an Strukturen und Einrichtungen aufgebaut wurde. Ich sehe aber auch eine große Chance: dass wir zu einer Mitmach-Kirche werden mit noch mehr ehrenamtlichem Engagement. Das setzt voraus, dass die, die mittun, auch mitentscheiden können.

Um die Ökumene ist es ruhig geworden. Zu ruhig?

Weisner: Ja, denn die Kirchenspaltung der Christenheit ist nach wie vor ein Skandal und theologisch eigentlich nicht mehr aufrecht zu halten. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) hat sich erfreulicherweise viel Positives in der Ökumene getan. Doch derzeit verstärkt sich leider der Eindruck, dass die Kirchenleitungen wieder mehr bremsen. Nicht die Einheitskirche ist das Ziel, aber der Weg der Ökumene muss weiter beschritten werden. Ein wichtiger Schritt bis zum zweiten Ökumenischen Kirchentag 2010 wäre die Anerkennung der wechselseitigen Gastfreundschaft bei Eucharistie und Abendmahl. Das, was viele Gemeinden schon praktizieren, ist theologisch möglich und wird auch von der großen Mehrheit der Gläubigen gewünscht.

Das Interview führt Guido Peters

Zuletzt geändert am 02­.06.2006