1. Mai 2006 - DPA
Deutscher Katholikentag beschäftigt sich mit Sozialabbau und Ökonomie
Saarbrücken (dpa) - Zwischen dem Papst und dem 96. Deutschen Katholikentag kommt es zum «Fern-Duell» um das öffentliche Interesse. Während Benedikt XVI. zu seiner ersten «richtigen» Auslandsreise nach Polen startet (25.-28. Mai) und dabei auch das ehemalige deutsche Vernichtungslager Auschwitz besucht, treffen sich rund 1000 Kilometer westlich in Saarbrücken (24.-28. Mai) Deutschlands besonders engagierte Katholiken. Rund 23 000 Dauerteilnehmer, ein Großteil von ihnen in Verbänden und Gemeinden aktiv, wollen mit Spitzenpolitikern wie Bundespräsident Horst Köhler, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) das Thema Gerechtigkeit in Gesellschaft, Kirche, Europäischer Union und der Einen Welt erörtern.
Die Termin-Kollision sieht der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Prof. Hans Joachim Meyer, gelassen. «Wir haben uns das nicht gewünscht, sehen es aber nicht dramatisch. Ein Papst-Besuch wäre im übrigen Premiere in mehr als 150 Jahren Laien- Katholizismus gewesen.» Der Sozialethiker Prof. Friedhelm Hengsbach (Frankfurt/Main), der in Saarbrücken unter anderem über «Sozialstaat ohne Zukunft? Zukunft ohne Sozialstaat?» diskutieren wird, stellt klar: «Ein Katholikentag ist ein Arbeitstreffen und kein Papst- Event.»
Mit dem bereits vor zwei Jahren festgelegten Motto «Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht» hat der Katholikentag nach Ansicht Meyers und Hengsbachs «voll ins Schwarze» getroffen. Sie verweisen auf den Sozialabbau, de facto Rentenkürzungen, eine bisher unzureichende Familienförderung, das Fehlen von Kindergartenplätzen oder die Belastung von Studenten mit Studiengebühren. Es geht um Generationen- Gerechtigkeit, Geschlechter-Gerechtigkeit, Bildungs-Gerechtigkeit und Gerechtigkeit zwischen Singles und Familien. «Wir müssen jungen Menschen eine realistische Chance geben, dass sie eine Familie gründen können», nennt der ZdK-Präsident als übergreifende gesellschaftliche Pflicht. Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu schaffen, sei eine öffentliche Aufgabe und nicht Privatvergnügen der Eltern.
Ökonomen, die Gerechtigkeit als Kategorie für die Wirtschaft ablehnen und nur auf Wettbewerbsfähigkit und Rendite setzen, weist Meyer scharf zurück: Die Ideologie, ein schrankenloser Wettbewerb müsse die gesellschaftlichen Beziehungen beherrschen, sei «die größte Bedrohung der menschlichen Freiheit» und habe wie früher der Kommunismus schon «unendlich viel Leid und Elend verursacht».
Das Selbstverständnis der Kirche als «sozialer Anwalt» leidet allerdings unter deren eigenem Verhalten als Arbeitgeber. «In Kirchenverwaltungen und kirchlichen Sozialeinrichtungen werden die Methoden der Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes angewandt, nämlich Outsourcing, Personalabbau, Lohndruck und Arbeitszeitverlängerung«, sagt Hengsbach. Selbst betriebsbedingte Kündigungen schließen einige Bistümer nicht mehr aus.
Was das staatliche Gesundheits- und Finanzsystem angeht, sieht Hengsbach die Kirchen «in Geiselhaft des gewandelten Sozialstaates in einen Wettbewerbsstaat»: Wettbewerb unter den Krankenkassen, Wettbewerb unter den Krankenhäusern, Wettbewerb unter Altenheimen oder Kindergärten böten Diakonie und Caritas keine Spielräume mehr, Sozialarbeit nach christlichem Selbverständnis zu gestalten. Und der Trend, direkte Steuern abzusenken und dafür Vebrauchssteuern zu erhöhen, treffe die Kirchen, da die Kirchensteuer direkt an die Lohn- und Einkommenssteuer gekoppelt ist.
Die kirchliche Reformbewegung «Wir sind Kirche» spürt neben einem gewissen Stolz auf den Papst und einer Neuentdeckung von Religion und Spiritulität in der Öffentlichkeit auch Frust in vielen Kirchengemeinden - nicht nur wegen fehlender Reformen bei Zölibat, Frauenpriestertum und gemeinsamem Abendmahl. Die Sparzwänge, ein sich weiter verschärfender Priestermangel und immer noch rückläufige Mitgliederzahlen haben zu Personalabbau und Gemeinde-Zusammenlegungen teils in drastischer Form geführt. «Wir sind Kirche»-Mitbegründer Christian Weisner erlebte erst kürzlich, wie es im Kindergottesdienst hieß, der Pfarrer sei noch im Altenheim tätig, werde aber gleich noch zur Wandlung kommen.
Auch die Gemeinde von ZdK-Präsident Meyer in Berlin wurde inzwischen zusammengelegt. Die Situation der rund 25 Millionen Katholiken in Deutschland sieht er dennoch mit Zuversicht: Trotz enttäuschter Reformhoffnungen und demographischer wie finanzieller Probleme gebe es Hoffnung auf neue Chancen, wie sie jeder gesellschaftliche Umbruch mit sich bringe.
Zuletzt geändert am 18.05.2006