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Veröffentlicht am 12­.10.2019

12./13.10.2019 - Süddeutsche Zeitung

Echte Reformen sind gefragt

Leserbriefe zu "Endlich wird gehandelt" vom 26. September, "Bischöfe beraten über Kirchenreformen" vom 24. September, "Alle Wege führen nach Rom" vom 16. September, "Rüffel aus Rom" vom 14./15. September 2019:

Verzögerer machen sich schuldig

Ich begrüße es, dass die Bischöfe sich nicht davon abhalten lassen, weder von Rom noch von einigen Bischöfen wie Bischof Voderholzer und Kardinal Woelki, sich im Rahmen eines synodalen Weges auf einen Dialog zu Fragen von Macht in der Kirche, priesterliche Lebensform, Sexualmoral und Stellung der Frau in der Kirche einzulassen. Das ist angesichts des Bruchs zwischen der Lehre der Kirche und dem Lebensstil der Menschen, überfällig. Auch ist es zu begrüßen, dass die Entschädigungszahlungen an die Opfer sexueller Gewalt erhöht werden sollen.

Auf der anderen Seite offenbaren sich wieder einmal die Ohnmacht der deutschen Bischöfe und die Ohnmacht der Laien, wenn es darum geht, Grundsätzliches in der Kirche zu verändern. Diskutieren, Vorschläge machen „ja“, aber mitbestimmen und mitentscheiden „Nein“. Das so ersehnte kraftvolle Zeichen der Kirche an die Öffentlichkeit findet damit nicht statt. Vielmehr bleibt der Eindruck bestehen und wird sogar bestätigt, dass das klerikale System der Kirche, bei dem die eigentliche Macht in den Händen der Kleriker liegt, unangetastet bleibt, die so notwendige Aufteilung der Macht unter den Getauften – Männern und Frauen – in weite Entfernung gerückt ist. Dabei ist es das klerikale System, das ganz entscheidend mitverantwortlich für das Ausmaß an sexualisierter Gewalt in der Kirche war und ist.

Ich befürchte daher, dass zum einen die Gläubigen weiter in Massen die Kirche verlassen werden, weil sie mit einer Organisation, die die Mehrheit ihrer Mitglieder, darunter vor allem die Frauen, bei der Mitbestimmung und in der Führung, ausschließt, nichts mehr zu tun haben will. Zum anderen bleibt ungelöst, was ja die ganze Debatte angestoßen hat: wie kann die sexualisierte Gewalt in der Kirche eingedämmt und verhindert werden. Sexualisierte Gewalt und geistlicher Missbrauch finden weiterhin statt. Die Anzahl der Täter hat sich, so Harald Dressing, der Leiter der MHG-Studie, nicht signifikant verringert. Dies würde sich ändern, wenn die klerikale Struktur aufgebrochen, das Pflichtzölibat abgeschafft, die negative Einstellung zu Homosexualität und homosexuellen Priestern aufgegeben und die Sexualität auch kirchlicherseits als das Geschenk Gottes gesehen würde. Solange das nicht geschieht, tut man als Kirche jedenfalls nicht alles, was man tun könnte, um sexualisierte Gewalt im kirchlichen Kontext zu verhindern. Kann man auf diesem Hintergrund es tatsächlich verantworten kann, darauf zu warten, bis gesamtkirchlich hier sich etwas verändert? Das kann man nicht. Man läuft vielmehr Gefahr, sich wieder einmal, weil man etwas versäumt hat, weil man nicht gut genug hingesehen, weil schon wieder das klerikale System Vorrang hat, schuldig zu machen.

Wunibald Müller, ehem. Leiter des Recollectio-Hauses, San Franciso/USA

Zuletzt geändert am 16­.10.2019