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Veröffentlicht am 19­.05.2012

19. Mai 2012

Statement von P. Klaus Mertes auf dem Katholikentag Mannheim

Vertrauen

Die Kirche, jedenfalls die in Deutschland, und in einigen anderen Ländern ebenfalls, befindet sich in einer Vertrauenskrise. Damit meine ich nicht, dass Leute außerhalb der Kirche der Kirche nicht mehr trauen, ihr nichts oder doch immer weniger zutrauen. Das mag zwar auch der Fall sein, aber das ist nicht mein Thema. Es geht mir um das Vertrauen innerhalb der Kirche. Untrügliches Indiz für die Vertrauenskrise in der Kirche ist die Zunahme von Misstrauen, die Verschärfung des Tones in der innerkirchlichen Auseinandersetzung und das gleichzeitige Verstummen des Gesprächs innerhalb der Kirche. Auch die Leitung der Kirche ist von dieser Vertrauenskrise nicht ausgenommen. Die gegenwärtige Vertrauenskrise ist auch eine Leitungskrise. Vielleicht darf ich es noch etwas pointieren: Vertrauenskrise in der Leitung hat immer eine dramatische Auswirkung auf das gesamte Vertrauen in der Kirche, gerade weil es eine Vertrauenskrise der Leitung ist. Leitung muss Vertrauen schenken. Sonst regiert Misstrauen. Das ist jedenfalls meine eigene Erfahrung mit Leitung, da wo ich sie inne hatte oder habe.

Wer misstraut, traut den anderen Schlimmes zu und muss sich deswegen gegen den anderen absichern. So kommt es zu Lagerbildung und Lagerdenken; Auftrittsverbote von Katholiken, die man vor einigen Jahren noch für unmöglich gehalten hätte; informelle Netzwerke, die Machtspiele spielen, oft erschreckend erfolgreich; Anfälligkeit für Hasssprache, die wiederum einschüchtert und stumm macht. Mit Gott hat das alles nur noch herzlich wenig zu tun, und schon gar nicht mit dem Gott, der uns Menschen mit ungeschuldetem Vertrauen entgegenkommt.

Es wäre zunächst wichtig, sich einfach einzugestehen, dass es sich so verhält. Ich jedenfalls sehe diese Vertrauenskrise in der Kirche. Aber wie kommen wir aus dieser Vertrauenskrise wieder heraus? Zuhören ist wichtig – nicht nur äußerliches Zuhören, sondern Zuhören mit dem Herzen. Verfahrenstransparenz und Verfahrensgerechtigkeit sind auch wichtig – weil darin der gegenseitige Respekt der Christgläubigen untereinander zum Ausdruck kommt. Am wichtigsten scheint mir zu sein, Vertrauen immer wieder neu zu schenken. Denn Vertrauen kann letztlich nur durch neues Vertrauen aufgebaut werden. Aufbrechen und Vertrauen gehören spätestens seit Abraham zusammen wie die zwei Seiten einer Medaille.

Wahrheit

Glaubwürdigkeit entscheidet sich am Verhältnis zu Wahrheit – gerade auch dann, wenn die Wahrheit bitter ist. Das ist meine zweite These. Der geistliche Feind der Wahrheit ist das Imagedenken. Schon im Evangelium beklagt Jesus die Heuchelei, das Festhalten am Schein und das Verstecken des Seins. Die Leute spüren es: Da spricht einer von Aufbruch, ist aber selnst müde. Da ruft einer: Freut Euch!, strahlt aber keine Freude aus. Spricht von der Liebe zu den Armen, liebt jedoch Prunk und Pomp; redet von der Demut, liebt aber die Macht; predigt die Liebe Gottes, aber verschließt Menschen die Tür.

Ich sehe drei destruktive Weisen, mit der Differenz von Sein und Schein umzugehen: Die jämmerliche Weise ist die, die Differenz zwar wahrzunehmen und deswegen Schuldgefühle zu haben, aber nicht die Kraft zur Konsequenz aus dieser Einsicht. Da fallen dann Sätze wie: „Lasst mich endlich in Ruhe. Bitte keinen Streit, das überfordert mich.“ Die zynische Variante ist: Die Differenz wahrnehmen und sie bejahen, also dezidiert am Vorrang des Images vor der Wahrheit festzuhalten. Da fallen dann Sätze wie: „Wir brauchen endlich wieder gute Nachrichten. Das ist die Hauptsache.“ Die sektiererische Weise schließlich lautet: Die Differenz nicht mehr wahrnehmen und den Schein für das Sein halten. Das ist das Modell Geisterfahrer, der alle ihm entgegenkommenden Autos für Geisterfahrer hält, nach dem Motto: „Nur ich schwimme noch gegen den Strom.“ Das ist das Gefühl der kleinen Gruppe, die sich als verfolgte Minderheit begreift, obwohl sie gar nicht verfolgt wird. Die Differenz zwischen Schein und Sein kann zum Abdriften in eine Sonderwelt führen.

Nicht austreten

Was hilft, in der Vertrauens- und Wahrheitskrise nicht auszutreten? Zunächst einmal: Ich kann nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die die Situation des Misstrauens und der Scheinheiligkeit in der Kirche persönlich so verletzend erleben, dass sie aus Selbstschutzgründen in die Distanz gehen. Ich sehe aber auch diejenigen Menschen, die in der Kirche und durch die Kirche verletzt wurden und dennoch bleiben, weil ihnen der Glaube die Kraft gegeben hat, mit der Wunde zu leben und eventuell sogar aus ihr etwas zu machen. Hier begegne ich dem Evangelium in der Kirche. Das ist ein wichtiger Grund für mich, warum ich nicht austrete. Und ich habe auch viele Menschen kennen gelernt, die aus der Kirche ausgetreten sind und mir erst Jahre nach ihrem Austritt beschrieben haben, was sie durch den Austritt nicht nur gewonnen, sondern auch verloren haben. Diese Menschen haben mich neu gelehrt, welche Schätze in der Kirche sind. Ich werde mir diese Schätze nicht nehmen lassen. Aber gerade deswegen kann sich die Kirche niemals zufrieden geben mit einer Situation, in der das Misstrauen über Vertrauen und die Scheinheiligkeit über die Wahrheit siegt. Denn die Kirche braucht weder vor dem Vertrauen noch vor der Wahrheit Angst zu haben. Genau dies lehrt uns ja das Evangelium.

Zuletzt geändert am 29­.11.2012