| |
Veröffentlicht am 23­.04.2011

23./24./25.April 2011 - Münchner Merkur

DEN TRAUM GOTTES LEBEN

Gedanken zu Ostern – Die frohe Botschaft neu entdecken.

von Christoph Nobs

Reden wir nicht lange um die schmerzende Wahrheit herum: Dem Christentum, besonders den Kirchen, laufen die Leute davon. Außenstehenden scheint dieser „Laden“ unattraktiv, Neuzugänge gibt es kaum, während sich die Kirchenaustritte häufen. Zwar erfreut man sich noch am Anblick der vielen Gotteshäuser, hört den warmen Klang der Glocken. Doch längst widersprechen die Tatsachen dem schönen Schein: So gehört merr als die Hälfte der Einwohner Münchens keinem christlichen Bekenntnis an, Tendenz: steigend. Die Kirchenleitungen stellen ihre Personalpolitik und Strukturen auf dürftige Zeiten ein. Die Befürchtung, dass die Zeit der „Volkskirche“ zu Ende geht, steht im Raum. Wird das Christentum zur Minderheitenkirche in einer pluralen und säkularen Gesellschaft?

Sterben die Gläubigen aus?

Präsenz und Einfluss der christlichen Kirchen sind rückläufig. Der laizistische Staat, der die strenge Trennung von Religion und Politik verlangt, ist (fast) da. Wird man in dreißig Jahren Ostern bei uns nur noch in Katakomben feiern? Wie in der Frühzeit der Kirche, als sie sich aus kleinen Gruppen zusammensetzte, die vom römischen Gott-Kaiser, dem „Pontifex Maximus“, wegen Belanglosigkeit toleriert oder wegen Subversivität verfolgt wurden?

Die „Frohe Botschaft“ von Tod und Auferstehung Jesu scheint niemanden mehr zu elektrisieren, sie ist mit der derzeitigen Form des Christentums saft- und kraftlos geworden. Da mag die neue Strategie aus Rom, mit prunkvollen Zeremonien bei den Gläubigen zu punkten, kurzfristig helfen. Doch eine langfristige, überzeugende Lösung, die Kirche und ihre Angebote interessanter zu machen, muss anders aussehen.

Und wie steht es mit der christlichen Botschaft selbst? Hat sie noch einen wichtigen Beitrag für die Menschen von heute? Ist Gott wirklich tot, wie es Friedrich Nietzsche bereits 1883 „eingehüllt in dicke Schwermut“ notiert? „Gott ist tot – wir haben ihn getötet.“

Jean Paul, sein Zeitgenosse, beschreibt in seiner Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei: „Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater… Starres, stummes Nichts! Kalte, ewige Notwendigkeit! Wahnsinniger Zufall!... Wie ist jeder so allein in der weiten Leichengruft des Alls! Ich bin nur neben mir – O Vater! O Vater! Wo ist deine unendliche Brust, dass ich an ihr ruhe? – Ach wenn jedes Ich sein eigener Vater und Schöpfer ist, warum kann es nicht auch sein eigener Würgeengel sein?“

Mit Kreativität Stellung beziehen

Damit wären wir nun in der „Neuzeit“, die den Menschen auf sich allein zurückgeworfen hat. Außer uns selbst nur noch „stummes Nichts“, „Kalte, ewige Notwendigkeit“, „wahnsinniger Zufall“ und der Mensch als „sein eigener Würgeengel“ – das hat uns der Barbarismus des 20. und 21. Jahrhunderts gezeigt. Was ist vom Menschen übrig geblieben außer einem Berechnungs-Faktor der leistungsorientierten Profitgesellschaft? Aber könnten nicht die von Kämpfen entstellten Gesichter in den Kriegsländern der Welt und die von Tschernobyl und Fukushima verstrahlten genetischen Codes die neuen Menetekel sein, welche uns die Grenzen des Menschlichen, ja allzu Menschlichen anzeigen? Und was bieten die Kirchen hierzu? Statt sichtbar Stellung zu beziehen, igeln sie sich in sich selbst ein. Verwalten Lehre und Sitte, flüchten sich in das „depositum fidei“ (das überlieferte Glaubensgut). Und wird nicht vieles, was nicht ins Schema passt, ausgegrenzt? So darf es in kirchlichen Kindertagesstätten nur noch katholisches Personal geben, welches peinlichst auf die Vorgaben zu achten hat: unverheiratet Zusammenlebende, geschieden Wiederverheiratete, offen homosexuell lebende, Querdenker sind unerwünscht.

Auch im Klerus, in dem häufig Konformität mehr zählt als Kreativität. Da wundert es nicht, dass man in gläubigen Menschen anderer Konfessionen und Religionen erst die Gefahren sieht, statt dass man sich mit allen Menschen guten Willens freut und mit ihnen gemeinsam feiert. Genau solcher Praxis hatte vor 2000 Jahren der Wanderprediger Jesus von Nazareth prophetisch den Kampf angesagt: er nennt sie Heuchler, Scheinheilige, übertünchte Gräber! Mit seinen einfachen Weggefährten, auch Frauen und Sündern, träumte er voll Sehnsucht und Zuversicht den Traum Gottes vorbehaltloser Menschenfreundlichkeit. Er praktiziert den Traum durch seinen bedingungsfreien Umgang mit allen, die ein gutes Wort und Zuneigung suchen, und die von anderen ausgegrenzt und in ihrer Menschenwürde missachtet werden. Bei und mit Jesus können sie neue Hoffnung schöpfen und die neue Lebenspraxis von Gerechtigkeit und Liebe lernen. Sie sind zum Glauben gekommen. Der Völkerapostel Paulus greift diese radikal befreiende und heilende Botschaft auf und verbreitet sie in der ganzen Welt (‚Ökumene‘). Er erzählt von Jesus Christus und seiner Gottes-Praxis als die wichtigste Erfahrung für alle Menschen. „Zur Freiheit hat Euch Christus befreit! Er hat uns von Gott her alles geschenkt. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes in Christus“, so die neue Kernbotschaft der jungen Christen. Diese frohe Botschaft verbreitet sich räumlich und zeitlich. Bis heute. Wir feiern Ostern. Halleluja!

Christoph Nobs ist Leitender Pfarrer für die Gemeinden Putzbrunn/Grassbrunn und den Pfarrverband Ottobrunn/Hohenbrunn im Landkreis München

Zuletzt geändert am 26­.04.2011