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Veröffentlicht am 25­.09.2010

25.9.2010 - Badische Zeitung

Deutsche Bischofskonferenz: Kritische Selbstbefragung

Das Erstaunlichste an der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz in Fulda war ihr Beginn. Der Vorsitzende, Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch, überraschte seine Kollegen mit einem ziemlich grundsätzlichen Referat: Er anerkannte, dass die Glaubwürdigkeitskrise der Kirche tiefer wurzelt als die aktuelle Missbrauchsdebatte. Er erwähnte längst bekannte "bohrende Zweifel" an katholischen Positionen beim Zölibat, bei der Sexuallehre oder in der Ökumene. Er verlangte seinen Brüdern eine gründliche Selbstbefragung ab – und entwarf das Bild einer pilgernden, hörenden und dienenden Kirche. Wenn sie Wirklichkeit würde, hätte Zollitschs Impuls über die übrigen Ergebnisse weit hinausgewirkt.

Der Bischofskonvent teilt in manchem das Schicksal des Bundestages: Es gibt Kommissionsberichte, viel Routine und wenig, was öffentlich größere Kreise zieht. Dabei muss es kein Schaden sein, wenn der Druck entfällt, unter dem das Gremium im Frühjahr in Freiburg erste Reaktionen auf den Missbrauchsskandal erarbeitete. Zwischen Montag und Freitag widmeten die Bischöfe der Glaubwürdigkeitskrise ihrer Kirche nun viele Gespräche und einen ganzen Reflektionstag.

Man müsse sich fragen lassen, meinte Zollitsch etwa, "ob wir in ausreichendem Maß Lernende sind, die bescheiden und demütig in die Schule des Lebens gehen und nicht in allem immer schon Bescheid wissen." Und, noch allgemeiner: "Haben wir nicht das Bild unserer selbst und der Priester so stilisiert, dass der menschliche Abgrund übersehen wurde, vor dem unausweichlich auch der geweihte Mensch steht? Die Folge: Unehrliches Reden und Handeln, Mangel an Offenheit und Wahrhaftigkeit, Neigung zum Verdecken von Fehlern und Hinwegsehen über Verbrechen."

So grundsätzlich ist das bislang kaum an die Öffentlichkeit gedrungen. In der Tat gibt es in der Kirche derzeit wenig Raum für Fehler. Wo aber unterhalb unerreichbarer Ideale ohnehin alle sündigen, schwindet der Blick für die Relationen. Dass Zollitsch fragte, ob die Theologie des Scheiterns nicht insgesamt zu kurz komme, war folgerichtig. Gleich am Donnerstag bot sich Gelegenheit, über Spielräume der Barmherzigkeit nachzudenken: Da urteilte der EU-Gerichtshof für Menschenrechte zugunsten eines Organisten, den das Bistum Essen entlassen hat, weil er nach seiner Scheidung erneut Vater wurde. Unabhängig vom Staatskirchenrecht kann man fragen, ob solche Rigorosität im Sinne Jesu ist.

Gelingen könne ein Aufbruch nur, wenn die Bischöfe bei sich selbst anfingen, warb Zollitsch – und ließ durchblicken, dass auch intern nicht alles gut läuft. Man darf die zarte Hoffnung hegen, dass es einer Mehrzahl der Bischöfe ernst ist mit der Reflexion über ihre Arbeit. In Fulda haben sie auch erste Konzepte ausgetauscht, um mehr als Dialogpartner wahrgenommen zu werden, weniger als entrückte Lehrsatz-Verkündigungsinstanz.

Gemessen an historischen Gepflogenheiten und der Größe ihres Gremiums haben die Bischöfe seit Bekanntwerden des Missbrauchsskandals schnell gehandelt – die neuen Leitlinien und die Rahmenvereinbarung zur Prävention können als Pionierarbeit gesehen werden. Nun scheint ein grundsätzliches Nachdenken in Gang gekommen zu sein. Es klingt ein bisschen nach Revolution von oben und kann doch gerade darum eine Chance werden. An der Basis freilich eilt es auch mit Ergebnissen – zuallererst für die Missbrauchsopfer. Dass die Bischöfe in Fulda noch keine Summe zur finanziellen Anerkennung von Missbrauch in kirchlichem Kontext vorgelegt haben, hat viele enttäuscht. Andererseits soll es diese Woche am Runden Tisch zumindest einen Vorschlag für die Organisation künftiger Hilfen geben. Wenn er zu einem verantwortbaren Verfahren auch in anderen Gesellschaftsgruppen führt, wäre über die Kirche hinaus viel gewonnen.

http://www.badische-zeitung.de/kommentare-1/deutsche-bischofskonferenz-kritische-selbstbefragung--35855496.html

Zuletzt geändert am 02­.11.2010