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Veröffentlicht am 13­.06.2012

13.06.2012 - Konradsblatt

"Schluss mit dem inneren Spagat": Interview mit Spiritual Peter Stengele (Kloster Hegne)

Peter Stengele, Spiritual im Kloster Hegne, ist einer der Priester und Diakone, die ihre Mitbrüder zur Unterzeichnung der Erklärung "Wiederverheiratet Geschiedene" eingeladen haben. Im Interview mit Konradsblatt online erklärt er, warum eine Reform in diesem Bereich so drängend ist und wie er mit dem Vorwurf des Ungehorsams umgeht.

Zusammen mit weiteren Priestern haben Sie die Initiative zum Thema „Wiederverheiratet Geschiedene“ veranlasst. Warum?

Peter Stengele: Weil dieses Thema die Spitze des Eisbergs eines gewaltigen Reformstaus unserer Kirche ist und gleichzeitig ein ausgesprochen drängendes Thema für Tausende Betroffene, für Seelsorger und Gemeinden. Das wurde im März deutlich, als sich etwa 60 Unterzeichner des Unterstützeraufrufs für das Theologenmemorandum aus dem vergangenen Jahr getroffen haben. Bei den intensiven Gesprächen während dieses Treffens trat auch die Not vieler Priester und Diakone drängend zutage, dass sie in der seelsorglichen Begleitung wiederverheiratet Geschiedener nicht offen und ihrer Überzeugung entsprechend handeln dürfen. Mit diesem inneren Spagat muss jetzt Schluss sein. Deshalb haben wir beschlossen, zu einzelnen Themen klare, theologisch gut begründete und pastoral ausgerichtete Stellungnahmen zu erarbeiten und damit an die Öffentlichkeit zu treten.

Warum melden Sie sich gerade jetzt und auf diese Weise zu Wort? Es läuft doch ein Dialog- beziehungsweise Gesprächsprozess …

Für mich hat gerade auch der Katholikentag in Mannheim deutlich gezeigt, dass die Geduld vieler Menschen am Ende ist. Sie wollen nicht mehr vom Dialog und Aufbruch sprechen, sie wollen auch nicht immer wieder auf die Weltkirche oder Rom verwiesen werden, sie wollen nicht mehr hingehalten werden mit der Rede von „geistlichen Prozessen“ – sondern sie wollen wirklich aufbrechen und Veränderung tatsächlich erleben. Das Thema „Wiederverheiratet Geschiedene“ wird ja schon seit Jahrzehnten als ein für die Pastoral drängendes Problem angesehen und immer wieder behandelt. Ich selbst bin nun 34 Jahre Priester und war in dieser Zeit so oft mit dem Leid konfrontiert, das diese unbarmherzige rechtliche Regelung auslöst, und andererseits auch mit dem ehrlichen Ringen so vieler Menschen in dieser Lebenssituation, dass ich sagen muss: Das Thema duldet einfach keinen Aufschub mehr.

Die Not ist das Eine, die Vorgaben der Weltkirche sind das Andere …

Ja, es geht zuerst um die Not der Betroffenen. Aber es geht uns genauso um das Evangelium. Die Frohe Botschaft ist eine einladende Botschaft der Barmherzigkeit und der Liebe – nicht ein Dokument des Rechts, der Verurteilung und des Ausschlusses. Ich bin überzeugt, dass Jesus uns in seinem heilsamen Reden und Handeln einen andern Weg weist, wenn wir ihn denn hören. Er ist barmherzig mit den Menschen umgegangen und ist keine Kompromisse eingegangen, die Menschen aus Angst sich ausdenken. Und noch ein Drittes: Uns geht es mit dem Vorstoß auch um unsere Kirche. Mit der gegenwärtigen Praxis im Umgang mit den Fragen und Sorgen der Menschen und dem Verschieben von Problemen demontieren wir uns letztlich selbst. Wie viele Menschen haben aufgrund dieser Haltung die Kirche verlassen! Wir möchten diesen Prozess nicht angstvoll hinnehmen und tatenlos zusehen. Da ist uns die Zukunft unserer Kirche viel zu wichtig.

Aus dieser Überzeugung handeln Sie sogar gegen das Kirchenrecht …

Das Recht soll ja eigentlich Leben ermöglichen. Wir haben uns natürlich auf den Gehorsam verpflichtet. Aber nach meiner Überzeugung kann das kein blinder Gehorsam sein. Das widerspräche dem Kern der christlichen Botschaft. Wir stehen in kritischer Loyalität zu unserer Kirche, weil wir sie lieben. Gehorsam heißt für uns dann, gemeinsam auf das Evangelium hörend, an Jesu Haltung Maß zu nehmen und miteinander auf dem Weg zu bleiben – auf seinem Weg.

Von der Bistumsleitung wurde Ihre Initiative als „weder hilfreich noch konstruktiv“ zurückgewiesen …

Uns ist bewusst, dass Erzbischof Zollitsch in einer schwierigen Situation ist. Aber wir bleiben dabei: Wir wollen mit ihm nach neuen Wegen suchen. Wenn gesagt wird, dass wir miteinander und nicht übereinander reden sollen, dann ist das genau unsere Haltung. Wir verstehen unsere Initiative als Beitrag, um das Gespräch im Gang zu halten und endlich zu einer Lösung zu kommen. Zumal es so ist, dass zunehmend viele Menschen unserer Kirche den ernsthaften Willen zu einem offenen Dialog nicht mehr abnehmen. Auch scheint mir wichtig, dass die Gemeinden wissen, wofür wir Priester und Diakone stehen.

Glauben Sie wirklich, dass Ihre Initiative etwas bewegen kann?

Es ist ja unverkennbar, dass nicht nur bei uns, sondern in allen Diözesen und im benachbarten Ausland engagierte Frauen und Männer, kirchliche Gruppen, Verbände und Initiativen sich zu Wort melden. Ich erinnere nur an den ausgezeichneten Beitrag der kfd gerade zum Thema der wiederverheiratet Geschiedenen, die im Herbst 2011 fast 100 000 Unterschriften in diesem Anliegen gesammelt hat. Oder, fast gleichzeitig mit uns, eine Initiative von Priestern in Rottenburg, die sich in diesem Anliegen zu Wort gemeldet hat. Vielleicht ist es ja der Geist des Konzils, der sich darin anlässlich des bevorstehenden 50. Geburtstags in Erinnerung bringt und uns antreibt. Ich glaube es. Ja, wir hoffen tatsächlich, dass jetzt etwas in Bewegung kommt – und zwar zusammen mit unseren Bischöfen. Erzbischof Zollitsch hat ja selbst in einem Interview das Thema der „Wiederverheiratet Geschiedenen“ als „Frage der Barmherzigkeit“ bezeichnet. Ich würde mir wünschen, dass er unsere Initiative als Rückenstärkung in diesem Anliegen versteht.

Interview: Stephan Langer

Zuletzt geändert am 13­.06.2012