Sommer 2021 - Wir sind Kirche-Info
Mittendrin im Paradigmenwechsel
Wie kommt es, dass die römisch‐katholische Kirche es immer wieder in die negativen Schlagzeilen schafft? Lust am Untergang einer 2000‐jährigen Weltorganisation? Warum gelingt es nicht, die zeitlose Botschaft des Jesus von Nazaret von Liebe, Hoffnung und Solidarität den Menschen von heute nahezubringen? Immer deutlicher zeigt sich: Das
Unfehlbarkeitsdogma des 1. Vatikanums hat die Kirchenstruktur in eine Sackgasse geführt. Und die Versuche von Karol Wojtyła (zu Unrecht heiliggesprochen) und Joseph Ratzinger (mehr als 33 Jahre an höchster Stelle in Rom), das Aggiornamento des 2. Vatikanums abzuwürgen, sind fast gelungen. Das Verbot von „Ordinatio sacerdotalis“ von
1994 hat lange gewirkt. Noch im Jahr 2011 wurde der australische Weihbischof Morrison abgesetzt, weil er sich für die Frauenordination einsetzte. Damals war die Kirche wirklich an einem „toten Punkt“.
Erst der Rücktritt Ratzingers und die Wahl des südamerikanischen Jesuiten Jorge Mario Bergoglio im Frühjahr 2013 haben einen Neuanfang ermöglicht, allerdings mit einer immensen personellen, rechtlichen und mentalen Hypothek, aus der sich die Kirche immer noch befreien muss – ein höchst mühsamer Prozess. Aber der Knoten ist geplatzt, es darf wieder freier gedacht und geglaubt werden. Was vor zehn Jahren noch absolutes Tabu war, wird heute an Universitäten gelehrt, zahlreich publiziert und ansatzweise auch schon von Bischöfen zumindest in Frageform formuliert. Die Ziele, die das KirchenVolksBegehren im Jahr 1995 nach dem großen Missbrauchsskandal um den Wiener Kardinal Hans Hermann Groër formulierte, sind genau die Themen, die die MHG‐Studie benannte und die seit zwei Jahren von den deutschen Bischöfen und dem Zentralkomitee auf dem Synodalen Weg behandelt werden.
Wie gut, dass es jetzt ein breites Bündnis von Betroffeneninitiativen und Reformkräften bis weit in die katholischen Verbände hinein gibt, das auch mit Maria 2.0 neuen Elan gewonnen hat. Die Ungeduld, dass die Ursachen geistlicher und sexualisierter Gewalt dringend be‐ und aufgearbeitet werden müssen, ist mehr als berechtigt. Wir stehen an einem Scheidepunkt.
Dass der Synodale Weg ein steiniger Weg sein wird, war absehbar. Zu groß sind die inhaltlichen wie psychologischen Altlasten, die abgearbeitet und aufgearbeitet wer‐
den müssen. Die Widerstände von zum Glück nur noch wenigen Bischöfen in Deutschland, mehr noch die Widerstände aus dem Vatikan zeigen aber, wie groß jetzt bei den
Vertretern der Hierarchie die Angst vor Machtverlust ist. Denn der Umgang mit Macht ist das hidden curriculum dieses Reformprozesses, der zwar kirchenrechtlich ein Nullum
sein mag, aber vielleicht gerade deshalb unbefangener neue Lösungen für alte Blockaden entwickeln kann.
Die ökumenisch gereifte Theologie an den (noch) zahlreichen theologischen Fakultäten staatlicher Universitäten in Deutschland ist ein großer Vorteil, der nicht als deutscher Sonderweg diskreditiert, sondern als Dienst an der Weltkirche geschätzt werden sollte. Denn die Skandale, die zu diesem Synodalen Weg geführt haben, werden auch
in immer mehr anderen Teilen der Weltkirche offenbar. Und innerhalb der internationalen Wir sind Kirche‐Vernetzung erfahren wir, wie groß in aller Welt die Hoffnungen
auf einen Erfolg des Synodalen Weges in Deutschland sind.
Aber das plötzliche Segnungsverbot homosexueller Partnerschaften, die Strafverschärfung für die Frauenweihe oder jetzt die Ankündigung eines weltweiten „Synodalen Prozesses“ sind irritierend. Haben die alten Seilschaften im Vatikan immer noch das Sagen? Auch Papst Franziskus sendet wie zuletzt bei seiner Ablehnung des Rücktritts‐
gesuchs von Kardinal Marx immer wieder mehrdeutige Signale. Ist er ein verkappter Konservativer oder ein zu zögerlicher Reformer? Wir sind mittendrin in einem Transformationsprozess, der später einmal als Paradigmenwechsel bezeichnet werden wird. Tragen wir jetzt das Unsere dazu bei.
Wir sind Kirche Bundesteam, Juli 2021
Zuletzt geändert am 28.08.2021