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Veröffentlicht am 28­.12.2013

28.12.2013 - Süddeutsche Zeitung

Flehender Appell an den Papst

Für einen freiwilligen Zölibat und eine positive Einstellung zur Sexualität: Wunibald Müller, Therapeut für seelisch notleidende Priester, fordert einen Wandel in der Kirche

VON ANDREAS ROSS

Münsterschwarzach – Wunibald Müller ist seit Jahren ein drängender Mahner in der katholischen Kirche. Immer wieder hat er in öffentlichen Diskussionen und Verlautbarungen für eine Erneuerung seiner Kirche geworben. Und als Psychologe und Theologe hat er den Finger dorthin gelegt, wo es besonders wehtut: Die starre Haltung der Kirche zur Sexualität des Menschen und das in der modernen Welt kaum noch verstandene Festhalten an dem Gebot der Ehelosigkeit für Priester.

Müller weiß, wovon er spricht, denn als Leiter des Recollectio-Hauses im unterfränkischen Benediktinerkloster Münsterschwarzach hat der Psychologe viele Begegnungen mit Priestern in seelischer Not, die zu ihm als Therapeut kommen, weil sie an dieser Lebensform gescheitert sind und endlich reinen Tisch machen wollen. Doch weder Rom, noch die Bischöfe hatten bisher erkennen lassen, an dieser für die Betroffenen schmerzlichen Situation etwas ändern zu wollen. Nun setzt Müller seine ganze Hoffnung in Papst Franziskus, den er in einem persönlichen Schreiben „einen Segen für unsere Kirche“ nennt. Mit seiner Hilfe könnte es gelingen, Priestertum und Zölibat zu entkoppeln. „Die Tür dazu ist nicht geschlossen. Sie ist lediglich angelehnt. Es liegt an Ihnen, ob sie geöffnet wird. Öffnen Sie die Tür! Darum bitte ich Sie inständig“, schreibt Müller.

Müller berichtet dem Pontifex ohne große Umschweife direkt aus seiner beruflichen Praxis. In nahezu 25 Jahren habe er das Privileg gehabt, viele Hunderte Priester nicht nur von außen, sondern auch von innen her kennenzulernen. „Ich bin unzähligen Priestern begegnet, die sich aufgrund des geforderten zölibatären Lebensstils in einer großen seelischen Not befinden“, schreibt Müller. Immer häufiger seien auch jüngere Geistliche darunter. „Ich gehe davon aus, dass Sie um diese Nöte wissen. Sie haben durch Ihr segensreiches Wirken dazu beigetragen, dass die Bereitschaft unter den Priestern, die in Beziehungen leben, zugenommen hat, sich der eigenen Wahrheit und Wirklichkeit zu stellen“, heißt es in dem Brief an den Papst weiter. Viele dieser Priester würden dann aber auch zu ihrer Beziehung stehen und sie leben, der Kirche damit aber verloren gehen. Das sei sehr schade.

Wunibald Müller beruft sich in seinem Schreiben auch auf den Theologen Karl Rahner, der schon vor 40 Jahren für eine Entkoppelung von Priestertum und Zölibat plädiert hatte, sollte die Kirche die Erfahrung machen, dass es auf diese Weise nicht genügend Priester gibt. Ein anderer Grund für die Entkoppelung sei jedoch, dass viele Priester sich nicht mehr in der Lage sähen, zölibatär zu leben. Sie stünden dann vor der Alternative, entweder ihr Kirchenamt zu verlassen oder im Amt zu bleiben und ihre auch sexuellen Beziehungen im Geheimen zu leben. Die dort praktizierte Sexualität und Intimität könne sich nicht wirklich entfalten und sei deswegen „in besonderer Weise auch anfällig für psychisch und spirituell ungesunde Verhaltensweisen, die das zölibatäre Leben eher verdunkeln und in Misskredit bringen“, betont Müller.

Der Psychotherapeut sieht „noch einen tiefer gehenden Grund“ für die Entkoppelung von Priestertum und Zölibat. Es gehe um ein „wirkliches Ernstnehmen“ der menschlichen Konstitution und die Schöpferkraft, „die uns Gott in der Sexualität geschenkt hat“. Müller verweist in diesem Zusammenhang auf Hildegard von Bingen, von der die Äußerung überliefert ist, Gott habe uns mit der Sexualität eine Kraft geschenkt, hinter der nicht der lüsterne Satan, sondern die „Kraft der Ewigkeit“ steht.

Noch einmal appelliert Müller an Papst Franziskus, „um Gottes willen, um der Menschen willen und unserer Kirche willen, alles Ihnen Mögliche zu tun, damit es in unserer Kirche weiterhin Priester gibt, die sich für ein Leben entscheiden, bei dem sie ihre sexuelle Kraft in den Einsatz für andere investieren und damit auf die ihnen gemäße Weise ihre in der Sexualität steckende Lebenskraft fruchtbar machen und verwirklichen. Zugleich möchte Müller, dass es in Zukunft aber auch Priester gibt, die ihre Sexualität in ihrer Partnerschaft feiern und genießen dürfen und von innigen Beziehungen bereichert und genährt „voller Leidenschaft ihr Bestes in ihrem Dienst als Priester geben“.

Der Theologe aus Münsterschwarzach macht sich in seinem Brief zudem für das Frauenpriestertum stark. Dogmatisch sieht er dieser Forderung nichts entgegenstehen, zeigt sich aber skeptisch, was den Zeitrahmen angeht. „Diese unerhörte Neuerung werden wir beide wohl nicht mehr erleben“, schreibt er dem Papst.

Wunibald Müller leitet eine Therapieeinrichtung für Priester.

Zuletzt geändert am 28­.12.2013