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Veröffentlicht am 24­.04.2012

Christ & Welt Ausgabe 16/2012

Ich bin dann mal weg

Jeder zehnte Priester gibt auf. Die katholische Kirche scheint hilflos im Umgang mit ihrem Scheitern

Braindrain nennen Volkswirtschaftler die Abwanderung kluger Leute. Unter Braindrain leidet auch die katholische Kirche, besonders der Klerikerstand. Jüngster Fall ist der von Andreas Tapken. Bis vor einem halben Jahr leitete er das Priesterseminar in Münster. Davor war er Psychologieprofessor an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Schon beim Studium in Rom galt er als bischofsfähig. Im Kreis der Seminarleiter war der 45-Jährige eine Führungsfigur und stand für Erneuerung. Er konnte öffentlich über Fragen wie das Verhältnisseiner Kirche zur Homosexualität sprechen, ohne dass alle gleich abschalteten. Inzwischen hater um Entpflichtung von seinen priesterlichen Aufgaben gebeten. Gründe für das Aus werden nicht genannt. Einige sagen, er wolle heiraten, andere bestreiten das.

Offiziell gibt es keine Statistik über Laisierungsverfahren – so heißt das Instrument, mit dem der Vatikan Priester aus ihrem Amt entlässt. Es ähnelt der Eheannullierung und ist für Beteiligte oft unbefriedigend. Mindestens zehn Prozent eines Priesterjahrgangs, sagen Beobachter, halten nicht durch. Oft ist der Zölibat der Grund. Im vergangenen Juli gab Thomas Ochs auf, der Leiter des Freiburger Priesterseminars, um zu heiraten – auch er ein Hoffnungsträger. Joachim Kardinal Meisner und andere Bischöfe haben schon Priester aus ihrem engsten Umfeld an die Welt der Laien verloren. Was wird aus dem einstigen Führungsnachwuchs der Kirche? Offiziell dürfen Ex-Priester nicht mehr für die Kirche arbeiten. Doch das Prägemal der Priesterweihe ist unauslöschlich, sagt die katholische Lehre. Wenn die Wirklichkeit anders verläuft, fehlt es der Kirche meist am offenen Umgang mit dem Scheitern.

Mancher Ex-Kleriker wechselt in die Wirtschaft. Dort zeigt sich, welche Kommu-nikationstalente aus der Kirche erwachsen. Nur manchmal besinnen sich Bischöfe – und stellen ihre gefallenen Brüder als Laien wieder ein. Denn gute Leute sind selten. Nur darüber reden darf man nicht. Der Chefkorrespondent der „Frankfurter Rundschau“ und des „Kölner Stadtanzeigers“, Joachim Frank, hat als Kaplan gemerkt, dass er der Zölibatsverpflichtung nicht mehr entsprechen wollte. „Ich sehe das auch als persönliches Scheitern, das laste ich nicht der Kirche an“, sagt der Journalist. In seinem neuen Beruf geht er manchmal mit Amtsträgern und mit dem Vatikan ins Gericht. Doch der Bischof von Münster habe ihn damals nicht verurteilt, sagt er. „Ich habe großes Bedauern erlebt, aber auch Beistand und Hilfe.“

Dazugehören darf er nicht mehr. In Rom ist das anders. Im Collegium Germanicum, dem auch Kardinal Karl Lehmann angehörte, studieren deutsche Priesteramtskandidaten. Im Jahrbuch wird aufgelistet, wohin es Mitglieder verschlägt. Auch diejenigen „älteren Brüder“ werden dort aufgeführt, die nicht mehr Priester sind. Lediglich das Weihedatum wird eingeklammert. Wer vorbeikommt, bleibt willkommen. Die Gemeinschaft hält, auch über ein Scheitern hinweg. Das Collegium wurde 1552 gegründet, um dem Niedergang des deutschen Klerus nicht einfach zusehen zu müssen.

Redakteur: Volker Resing (Freier Autor)

Zuletzt geändert am 24­.04.2012