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Veröffentlicht am 02­.07.2012

Lehrfreiheit und Menschenrechte

Stephan Hubertus Pfürtner (23. Nov. 1922 - 2. Juli 2012)

Eine theologische Würdigung zum Tod Stephan Pfürtners am 2. Juli 2012

Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges als Medizinstudent und Angehöriger einer Sanitätskompanie der Wehrmacht, seiner Inhaftierung im Lübecker Christenprozess, in dem er zu einer Haftstrafe von 6 Monaten verurteilt worden war, und seiner Mitwirkung an der Befreiung dreier Jüdinnen aus dem KZ Stutthoff bei Danzig trat Pfürtner der Ordensgemeinschaft der Dominikaner in Walberberg bei, um Theologie zu studieren.

Bereits das Thema seiner Dissertation von 1954 am Angelicum, der Hochschule der Dominikaner in Rom, verrät sein Lebensthema: „Triebleben und sittliche Vollendung“. Es ist der Versuch, die Theologie Thomas von Aquins, dessen Lehre von den vier Kardinaltugenden Pfürtner sehr beeindruckt hatte, in Richtung auf eine moderne Sexualethik zu interpretieren. Im Zusammenhang mit seinen Lutherstudien zeichnet sich hier zugleich sein ökumenisches Engagement ab. Nach Walberberg zurückgekehrt, suchte er nach Gemeinsamkeiten zwischen der Hoffnungsgewissheit des Thomas und der Heilsgewissheit Luthers.

Im Wintersemester 1966/67 hielt Pfürtner seine Antrittsvorlesung an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg, Schweiz: „Die Geburtenkontrolle – ein unlösbares Problem der katholischen Moraltheologie?“ Er lehrte dort von 1966 bis 1974. Nachdem er sich kritisch zur Enzyklika Humanae vitae geäußert hatte, mit der Papst Paul VI. 1968 die Anti-Baby-Pille und andere Verhütungsmethoden verbieten wollte, wurde Pfürtner mit einem Lehrzuchtverfahren überzogen. Um dessen Ergebnis vorherzukommen, beantragte er seine Laifizierung und trat aus dem Orden der Dominikaner aus.

Der ökumenischen Blütezeit in Deutschland ist es zu danken, dass Pfürtner von 1975 bis zu seiner Emeritierung 1988 als katholischer Theologe einen Lehrstuhl für Sozialethik im Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps Universität in Marburg innehatte. Hier entfaltete er ein breites weltoffenes, kirchenkritisches und die Menschenrechte auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens einforderndes wissenschaftliches Programm mit weit über 100 Publikationen. Der Fachbereich und die Universität verdanken ihm viele Initiativen, wie z. B. die interdisziplinäre Gastprofessur von Ivan Illich im Wintersemester 1983/84.

Am Ende seines Lebens erhielt Pfürtner zwei besondere Ehrungen: 2003 den Herbert-Haag- Preis für „Freie Meinungsäußerungen und mutiges Handeln in der Christenheit“ durch Hans Küng in Luzern und 2006 in Berlin die von der Yad-Wa-Schem-Stiftung in Jerusalem verliehene Würde eines „Gerechten unter den Völkern“.

Unser Fachbereich dankt Stephan Pfürtner für die Bereicherung der Marburger Theologie und sein klares und entschiedenes Eintreten für die Menschenrechte.

Siegfried Keil
Dietrich Korsch

Zuletzt geändert am 06­.07.2012