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Veröffentlicht am 26­.01.2020

10 Jahre Aufdeckung Canisius-Kolleg

Wir sind Kirche: „Einiges wurde getan, viel bleibt zu tun! Wer übernimmt Verantwortung?“

> Verschiedene Stimmen zu diesem Anlass

Bilanz zehn Jahre nach Aufdeckung sexualisierter Gewalt am Berliner Canisius-Kolleg (28. Januar 2010)

Pressemitteilung München / Berlin, 26. Januar 2020

Anlässlich des zehnten Jahrestages der Aufdeckung sexualisierter Gewalt und ihrer Vertuschung am Berliner Canisius-Kolleg (28. Januar 2010) unterstützt und erneuert Wir sind Kirche die Forderungen nach Einrichtung einer Wahrheitskommission zur Missbrauchsaufarbeitung innerhalb der katholischen Kirche.

Wenn sich – wie der Spiegel vorab meldet – alle 27 deutschen katholischen Bischöfe schriftlich zu einer unabhängigen und transparenten Aufarbeitung verpflichten werden, überwiegend mit externen Experten und Betroffenen besetzte Kommissionen einrichten werden und diese Kommissionsmitglieder den Zugang zu allen nötigen Kirchenakten erhalten werden, so ist das ein richtiger und lange überfälliger Schritt. Laut Spiegel haben jetzt der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, und der bischöfliche Missbrauchsbeauftragte, Bischof Stephan Ackermann, dies in einer gemeinsamen vertraulichen Erklärung festgelegt. > spiegel.de 24.1.2020

So notwendig die jetzt beim Synodalen Weg beginnende Arbeit an den tieferen Ursachen ist, so notwendig bleibt die konkrete fallweise Missbrauchsaufarbeitung, um Netzwerke zu analysieren. Gegebenenfalls sind auch bei kirchenleitenden Personen, die in der Vergangenheit nicht angemessen mit der Missbrauchsproblematik umgegangen sind, persönliche Konsequenzen zu ziehen. Solange die Bischöfe keine glaubwürdigen Antworten auf den Missbrauchsskandal und seine Ursachen liefern, bleibt die Kirche gelähmt und kann ihrer Aufgabe, der Verkündung des Evangeliums, nicht gerecht werden. Dies gilt auch besonders für den Synodalen Weg, dessen erste Versammlung am 30. Januar 2020 in Frankfurt beginnt (Wir sind Kirche begleitet 1. Synodalversammlung).

Schleppende Aufklärung

Im Januar 2010 waren es die mutigen Schritte des damaligen Leiters des Berliner Canisius-Kolleg, des Jesuiten Klaus Mertes, sowie von Matthias Katsch und anderen ehemaligen Schülern der später gegründeten Betroffenenorganisation „Eckiger Tisch“, die den entscheidenden Anstoß gaben, dass das jahrzehntelang vertuschte Ausmaß körperlicher und sexualisierter Gewalt innerhalb der Kirche auch in Deutschland offenbar wurde. Der danach unter Erzbischof Robert Zollitsch, dem damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, begonnene „Dialogprozess“ wurde sehr schnell zu einem unverbindlichen „Gesprächsprozess“ zurückgestuft und verlief ergebnislos. Dies darf sich jetzt beim Synodalen Weg auf keinen Fall wiederholen!

Bei allem, was die römisch-katholische Kirche weltweit und in Deutschland bezüglich sexualisierter Gewalt getan hat: Es ist immer noch zu wenig und es erfolgt zu langsam. Aus Sicht der KirchenVolksBewegung, die sich seit 25 Jahren in diesem Bereich engagiert, und noch viel mehr aus Sicht der Betroffenen ist es sehr enttäuschend, dass es so viele Jahre dauerte, bis jetzt beim Synodalen Weg endlich die Themen Macht, Pflichtzölibat, Sexuallehre und Frauenämter vertieft behandelt werden.

Die Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt und deren Vertuschung, die die im Auftrag der deutschen Bischöfe erstellte sogenannte MHG-Studie benennt, entsprechen übrigens genau den Punkten des KirchenVolksBegehrens, das 1995 nach dem Missbrauchsskandal um den damaligen Wiener Kardinal Hans Hermann Groër in Österreich formuliert und auch in Deutschland von 1,8 Millionen Menschen unterzeichnet wurde.

Enttäuschend ist aber auch, dass nach der MHG-Studie bis jetzt in keinem einzigen Fall in Bayern Anklage bei den staatlichen Strafverfolgungsbehörden erhoben worden ist oder aufgrund der Verjährung erhoben werden konnte. Die MHG-Studie war seitens der Deutschen Bischofskonferenz als Auftraggeber darauf angelegt, nur generalisierte Ergebnisse zu bringen, um die Anonymität sowohl der Täter als auch der damaligen Verantwortlichen in der Kirchenleitung, d.h. Bischöfe, Generalvikare, Personalverantwortliche zu schützen. Die Ergebnisse sollten nicht einmal bistumsweise dargestellt werden. Das Thema der Entschädigungszahlungen für Opfer ist in Deutschland immer noch ungeklärt.

Wer übernimmt Verantwortung?

Bischof Dr. Stephan Ackermann, Bischof von Trier und seit Februar 2010 Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, aber auch alle anderen Bischöfe müssen sich immer wieder fragen lassen, wie glaubwürdig sie sich für die von sexualisierter Gewalt Betroffenen einsetzen können, da sie gleichzeitig Dienstvorgesetzte der klerikalen Täter sind. Deshalb brauchen wir dringend eine Wahrheitskommission, die unabhängig ist und Zugang zu allen (noch vorhandenen) Akten hat. Die bischöflichen Ordinariate sind kein Staat im Staate.

Wesentliche Verantwortung für die weltweite Verschleppung und Vertuschung trägt auch der damalige Glaubenspräfekt Kardinal Joseph Ratzinger, der im Jahr 2001 alle Fälle unter das päpstliche Geheimnis gestellt und nach Rom geholt hat. Ebenso Kardinal Gerhard Ludwig Müller, von 2012 bis 2017 sein Nachnachfolger in diesem Amt, der jegliche systemischen Zusammenhänge leugnet und bis heute immer nur von Einzelfällen spricht. Dabei sind doch viele Zusammenhänge schon seit dem Kleriker-Buch von Eugen Drewermann im Jahr 1989 und seit dem Buch „Macht, Sexualität und die katholische Kirche“ des australischen Bischofs Geoffrey Robinson bekannt, das Wir sind Kirche 2010 herausgegeben hat.

Pressekontakt Wir sind Kirche-Bundesteam:
Magnus Lux, Tel: +49-176-41 70 77 25, E-Mail: lux@wir-sind-kirche.de
Christian Weisner, Tel. +49-172-518 40 82, E-Mail: presse@wir-sind-kirche.de

> Wir sind Kirche zum Thema sexualisierte Gewalt in der Kirche

 

 


Verschiedene Stimmen zu diesem Anlass

 

Erklärung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz
(wenig konkret und keine Erwähnung der Entschädigungsverhandlungen)
> dbk.de 28.1.2020

Kommentar von Matthias Drobinski: Der Skandal lebt fort
> sueddeutsche.de 27./28.1.2020

Matthias Drobinski und Annette Zoch: Beim Geld hört die Einigkeit der Hirten auf
> sueddeutsche.de 27.1.2020

Bundesbeauftragter Rörig: Sexueller Kindesmissbrauch: ""Jeder muss wissen, was das ist."
> morgenpost.de 26.1.2020

Kirche was tust du? 10 Jahre Missbrauchsskandal und kein Ende
> br.de/radio/bayern2 3.1.2020

"Höchst enttäuschend"Ex-Papst geschützt? Im Missbrauchsskandal werden schlimmste Befürchtungen wahr
> focus.de 22.1.2020

Kritik an Kirchen-Studie: "Das war alles nur Show"
> t-online.de 21.1.2020

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zuletzt geändert am 28­.01.2020