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Veröffentlicht am 24­.01.2013

24.1.2013 - http://weltkirche.katholisch.de

In der Welt von heute? Kirche unterwegs in christlichen Basisgemeinden

Unter diesem Motto fand vom 17. bis zum 20. Januar dieses Jahres ein internationales Symposium an der Universität Tübingen statt. Als Veranstalter hatten sich die Bischöfliche Aktion Adveniat, Missio Aachen und die Abteilung für Religionspädagogik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen zusammengetan. Mit 250 Teilnehmern und Teilnehmerinnen fand das Symposium eine Resonanz, mit der vorher die Veranstalter nicht gerechnet hatten.

Ziel des Symposiums war es, anlässlich des 50. Jahrestages der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils einem der Impulse nachzugehen, den dieses Konzil vor allem in den drei Kontinenten Lateinamerika, Afrika und Asien ausgelöst hat: die Aufbrüche zu einer partizipativen und missionarischen Kirche in Form von „kirchlichen Basisgemeinden“ (KBG) bzw. „Kleinen Christlichen Gemeinschaften“ (KCG). In diesen finden sich Gläubige zusammen, um sich für die Botschaft Jesu vom Reich Gottes angesichts der Herausforderungen der heutigen Welt zu engagieren. In dieser Form von kleinen Gemeinden vor Ort oder in bestimmten gesellschaftlichen Sektoren – vor allem von Benachteiligten wie etwa Arbeitslosen oder Migranten – wird Kirche gelebt, die nahe bei den Menschen ist, die solidarisch ist mit ihren Freuden und Hoffnungen, mit ihrer Trauer und ihrem Leid.

Engagierte Laien im Mittelpunkt

Ein Kennzeichen der KBG und KCG ist, dass sie wesentlich von Laien getragen werden. In vielen Diözesen der Weltkirche – vor allem in der südlichen Hemisphäre – sind sie inzwischen als pastoraler Schwerpunkt anerkannt und werden entsprechend gefördert. Aufseiten der Tagungsteilnehmer aus dem deutschsprachigen Raum bestand ein großes Interesse daran, von diesem weltkirchlichen Aufbruch zu lernen und die Ansätze, ihn auf die hiesigen Verhältnisse zu übertragen, voranzubringen.

Netzwerke als wichtiger Bestandteil der Bewegung

Das Symposium hatte einen längeren Vorlauf. In Aachen haben zwei Vorbereitungstreffen mit Vertretern bzw. Vertreterinnen aus den genannten Kontinenten stattgefunden. Auch in Lateinamerika, Afrika und Asien sind kontinentale Treffen mit den Nationalverantwortlichen für die KBG bzw. KCG durchgeführt worden. Übrigens: Die Netzwerkbildung auf diözesaner, nationaler und kontinentaler Ebene ist ein wichtiges Merkmal dieses kirchlichen Aufbruchs. Sie soll zum Erfahrungsaustausch der verschiedenen Ansätze untereinander und deren theologischen Reflexion verhelfen.

Gäste aus Lateinamerika, Asien und Afrika

Nach Tübingen waren aus den drei Kontinenten Vertreter der jeweiligen kontinentalen Koordination gekommen:
aus Lateinamerika Sr. Socorro Martínez (Mexiko),
aus Asien Dr. Estela Padilla (Philippinen) und
aus Afrika Sr. Josée Ngalula (Demokratischen Republik Kongo).

Begleitet wurden sie von weiteren in der „Basispastoral“ Engagierten, unter ihnen Bischof Dr. Thomas Dabre aus Pune (Indien), der ein eindrückliches Zeugnis davon gab, wie sich für ihn durch das Zusammenleben mit den KCG das Verständnis vom Bischofsamt und seiner Ausübung geändert hat. Auch aus den USA war eine kleine Delegation angereist. Über die Aufbrüche im deutschsprachigen Raum informierte Dieter Tewes, Koordinator des Nationalteams KCG in Deutschland.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede entdecken

Mit Referaten, Podiumsdiskussionen und Workshops bot das Symposium zum einen die Gelegenheit, die Entwicklung und die aktuelle Situation der kirchlichen Basisaufbrüche in den verschiedenen Kontinenten kennenzulernen und dieses exemplarisch anhand etwa eines Landes oder eines Themas zu vertiefen. Zum anderen konnten die Teilnehmenden durch die Anwesenheit von Experten und Expertinnen aus Afrika, Asien und Lateinamerika Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Kontinenten entdecken.

Das Gemeinsame …

Eine große Gemeinsamkeit besteht darin, dass sich die KBG bzw. KCG vorrangig den einfachen Leuten, arm gemachten und sozial marginalisierten Menschen zuwenden und sich aus ihnen rekrutieren. Hier lernen die Beteiligten, ihre Geschicke – sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft – in die eigenen Hände zu nehmen, Verantwortung ein- und auszuüben, sich um die Menschen in ihrer Umgebung zu kümmern und vieles andere mehr. Eine große Rolle spielt dabei das „Bibel-Teilen“; das Wort Gottes sei die Identitätskarte der KBG und KCG, hat Clodovis Boff einmal formuliert. Dieses Wort Gottes ist nicht nur Quelle ihrer Spiritualität, es öffnet auch die Augen für die gesellschaftliche Realität. Die Verheißung des Reiches Gottes wird nicht länger als eine Vertröstung auf ein besseres Jenseits aufgefasst, sondern als Aufforderung, sich hier und heute für die Überwindung von leidvoll erfahrenen Ungerechtigkeiten einzusetzen.

Die Unterschiede …

Daraus ergibt sich einer der Unterschiede zwischen den KBG und den KCG. Wie das soziale und politische Engagement konkret aussieht, hängt naheliegenderweise von den jeweiligen Nöten und Herausforderungen vor Ort ab. Es wurde allerdings auch berichtet, dass sich KBG und KCG teilweise schwer tun, über ihren eigenen vertrauten Kreis hinauszublicken und für die anderen da zu sein.

Kirchlichen Basisaufbrüche: nicht überall willkommen

Indem die KBG und KCG zum Sprachrohr der einfachen Leute werden, werden sie nicht selten von denen, die in der Kirche und in der Gesellschaft die Macht innehaben und für sich allein beanspruchen, als Bedrohung empfunden. Angehörige von KBG und KCG, die sich konsequent für Gerechtigkeit und Mitspracherecht des Volkes eingesetzt haben, wurden und werden als Störenfriede verfolgt – bis hin zur Folterung und Tötung. Zahlreiche Märtyrer und Märtyrerinnen sind aus ihnen hervorgegangen; im Gedenken an sie bleiben sie und ihr Anliegen präsent.

Auch von bestimmten Vertretern und Bewegungen innerhalb der Kirche werden die KBG und KCG alles andere als geliebt. Stellen sie doch mit ihrem konsequent partizipatorischen Ansatz eine Kirche, in der die Hierarchie das Sagen hat, gewissermaßen vom Kopf auf die Füße. Auch wenn der Einfluss dieser Verfechter eines restaurativen vorkonziliaren Kirchenverständnisses nicht unerheblich ist, gibt es mittlerweile zu viele lehramtliche Dokumente – darauf wies Erzbischof Òscar Kardinal Rodríguez aus Honduras in seinem Referat hin – die den Aufbruch der Kirche in den KBG und KCG eindeutig begrüßen und unterstützen.

Kirche versus populum

Es handelt sich um einen Aufbruch, von dem derzeit niemand sagen kann, welchen weiteren Weg er nehmen wird. Wohl lässt sich sagen – so wie es der Missionstheologe Paulo Suess aus São Paulo (Brasilien) in seinem Referat ausgeführte – aus welchen innerkirchlichen Verhältnissen und Gegebenheiten er herausführt. Als Stichworte nannte er Entkolonialisierung, Entklerikalisierung, Entpatriarchalisierung und Dezentralisierung. Es sei eine Kirche versus populum (dem Volk zugewandt), die mehr und mehr im Entstehen begriffen sei, eine Kirche, die nicht auf Mega-Events setze, um ihre Präsenz in der Welt zu demonstrieren, sondern die im Kleinen und bisweilen auch im Großen Tag für Tag und in Solidarität mit ähnlich Gesinnten Widerstand leistet gegen alles, was die Möglichkeit zu einem guten Leben für alle bedrohe oder verhindere. Es sei eine Kirche, die nicht mit dem gesellschaftlichen Mainstream, in der der Markt zum neuen Gott avanciert sei, mitschwimme, sondern in Tat und Wort den Gott der Bibel bekenne, der das Leben wolle und nicht den Tod.

Selbstverpflichtung zu einer Kirche der Armen

Wenn man den Bogen weiter spannt, wird erkenntlich, dass die Kirche in einer epochalen Übergangssituation steht, nämlich am Ende des konstantinischen Zeitalters und damit am Beginn einer postkonstantinischen Epoche. Was das heißt, haben am radikalsten wohl die Bischöfe, die am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils den „Katakombenpakt“ – eine Selbstverpflichtung zu einer Kirche der Armen und entsprechend zu einer armen Kirche, beginnend mit dem eigenen Lebensstil – unterzeichnet haben, deutlich gemacht. Die Bewegung der KBG und KCG kann gewürdigt werden als die Avantgarde der Kirche in Richtung des postvatikanischen Zeitalters – auf der Suche, sich die Orientierung geben lassend vom Wort Gottes und von der Tagesordnung der Welt, im Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes.

Mehrfach und mit Nachdruck wurde auf dem Symposium gefordert, dass dann auch konsequent auf das gehört werden müsse, was der Geist den Gemeinden sage. Als ein besonders wunder Punkt wurde die Tatsache aufgeführt, dass es den KBG und KCG nur selten möglich sei, den Höhepunkt des kirchlichen Lebens, die Eucharistie zu feiern. Angesichts dieses Notstandes wurde die Dringlichkeit betont, endlich die praktische Schlussfolgerung aus dem dogmatischen Theorem zu ziehen, dass das geistliche Amt dort ist, wo die Gemeinde ist.

Spirituelle Kraft des Aufbruchs

Welche spirituelle Kraft diesem Aufbruch innewohnt, wurde für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Kongresses an den Unterbrechungen des Debattierens nachvollziehbar – an den in der Tradition der KCG in Asien und in Afrika gestalteten Morgengebeten, an dem Abendgottesdienst in der Tradition der Basisgemeinden in Lateinamerika am Samstag und in der Eucharistiefeier unter Vorsitz von Kardinal Rodríguez am Sonntagsvormittag.

Wenn man auf das Symposium zurückschaut, wird mit Blick auf die kirchlichen Verhältnisse im deutschsprachigen Raum eines deutlich: Dem Selbstverständnis der KBG und KCG wird nicht angemessen entsprochen, wenn man sie als eine pastorale Strategie betrachtet, um die negativen Folgen, die durch die Schaffung von pastoralen Großräumen hervorgerufen wurden, zu kompensieren. Wenn man sich schon von diesem kirchlichen Aufbruch anregen lassen will, dann gilt es, sich radikal auf das gesamte dahinter steckende ekklesiologische und pastorale Konzept einer Kirche versus populum einzulassen.

© Norbert Mette, TU Dortmund

Weitere Informationen zum Symposium finden Sie bei Adveniat, Missio Aachen und in unserem Dossier Basisgemeinden / Kleine Christliche Gemeinschaften.

http://weltkirche.katholisch.de/de/weltkirche/themen_2/basisgemeinden/symposium_bilanz.php

Zuletzt geändert am 29­.01.2013