| |
Veröffentlicht am 23­.03.2006

Ein Jahr Papst Benedikt

Auch ein Jahr nach dem Papstwechsel keine Lösung zentraler Fragen in Sicht

Pressemitteilung München/Rom, 23. März 2006

Wir sind Kirche zum Jahrestag von Papsttod (2. April 2005) und Papstwahl(19. April 2005)

Die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche stellt mit großem Bedauern fest, dass auch ein Jahr nach dem Papstwechsel noch keine konkreten Schritte zur Lösung der seit langem aufgeschobenen grundlegenden pastoralen Fragen und Probleme zu erkennen sind. Zwar hat sich das öffentliche Erscheinungsbild Joseph Ratzingers als Papst Benedikt XVI. – auch unter dem großen Einfluss der Medien – in bemerkenswerter Weise gewandelt. Aber der unter seiner 23-jährigen Ägide als oberster Glaubenshüter entstandene theologische und pastorale Stillstand sowie das Klima der innerkirchlichen Angst und Erstarrung wirken auch ein Jahr nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. (2. April 2005) und der Wahl des neuen Papstes (19. April 2005) nach.

Trotz mancher neu gesetzter hoffnungsvoller Zeichen haben sich Benedikts jetzige Bemühungen als „Brückenbauer“ (lat. „Pontifex“, einer der Titel des Papstes) nach Ansicht der katholischen Reformbewegung Wir sind Kirche noch nicht als wirklich überzeugend und tragfähig erwiesen, wie die folgenden Beispiele zeigen:

1. Benedikt XVI. hat sich am Anfang seines Pontifikats zur Kollegialität und zum Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) bekannt. Doch die – auch seiner persönlichen Bescheidenheit widersprechende – mediale Präsentierung des Papstes betont das zentralistische Petrus-Amt weit über Gebühr. Entgegen der im Zweiten Vatikanum erfolgten Aufwertung, hat Benedikts Vorgänger die Ortskirchen und das Kirchenvolk immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Dies wurde von Papst Benedikt noch nicht korrigiert.

2. Bei der Eucharistie-Synode der Bischöfe im Oktober 2005 war eine neue Offenheit im Diskussionsstil zu beobachten. Doch abweichende Meinungen fanden keine Aufnahme in die am Ende eilfertig erstellten Beratungsdokumente. Es bleibt abzuwarten, ob und wie weit Benedikt jetzt auch die reformorientierten Positionen zahlreicher Synodenteilnehmer aufgreifen wird.

3. Bei der Ernennung neuer Kardinäle im März 2006 hat der Papst z.B. mit Bischof Joseph Zen Ze-kiun von Hongkong neue politische Akzente gesetzt. Die Ernennung des Erzbischofs von Bologna, Carlo Caffarra, der als Leiter des päpstlichen Familieninstituts die Empfängnisverhütung mit einem Mord verglichen hat, ist dagegen für viele Katholikinnen und Katholiken äußerst verletzend.

4. Innerhalb der Vatikanischen Behörden hat Benedikt bisher keine neuen Akzente gesetzt. Für die seit langem überfällige Reform der römischen Kurie sind noch keine konkreten Schritte erkennbar.

5. Die kürzlich veröffentlichte Antrittsenzyklika „DEUS CARITAS EST“, die auf große Zustimmung gestoßen ist, nimmt eine klare Unterscheidung von Kirche und Staat vor (28 a.). Umso ärgerlicher ist die jüngst erfolgte starke Einmischung Benedikts in die italienische Politik.

6. Das von Papst Benedikt am 28. Juni 2005 herausgegebene „Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche“ (eine Zusammenfassung des „Weltkatechismus“ aus dem Jahr 1992) ist in keiner Weise repräsentativ für den Stand der heutigen katholischen Theologie, der Exegese und der theologischen Ethik. Der Fixierung auf Fragen der Sitte und Moral mit der wiederholten Verurteilung von homosexuellen Partnerschaften, Ehescheidung und Verhütung schadet der Glaubwürdigkeit unserer Kirche, vor allem solange nicht unnachgiebig gegen die sexuelle Gewalt von Priestern und Ordensleuten an Kindern, Jugendlichen und Frauen vorgegangen wird.

7. Dem kürzlich gemachten Zugeständnis, dass über mehr Raum für Frauen in der Kirche und ihre stärkere Beteiligung an kirchlichen Leitungsaufgaben „nachgedacht“ werden dürfe, steht in enttäuschender Weise die gleichzeitig wiederholte Aussage gegenüber, dass die Priesterweihe nur Männern vorbehalten sei.

8. Die Aufhebung des Pflichtzölibats und die Weihe von Frauen zu Priesterinnen werden von Benedikt XVI. nach wie vor strikt ablehnt. Doch der Papst wird sich diesen Fragen stellen müssen, da in dem mehr als 26-jährigen Pontifikat von Johannes Paul II. die Zahl der Priester um 4 Prozent zurück ging, während die Zahl der Katholiken und Katholikinnen weltweit um 40 Prozent anstieg. Schon jetzt hat fast die Hälfte aller katholischen Gemeinden auf der ganzen Welt, auch in den Missionsgebieten, keinen eigenen Priester mehr.

9. Über das überraschende Treffen von Papst Benedikt XVI. mit dem kirchenkritischen Theologen Prof. Dr. Hans Küng am 24. September 2005 in Castel Gandolfo hat der Vatikan ausführlich berichtet. Die sehr viel häufigeren Treffen mit Traditionalisten (wie z.B. am 29. August 2005 mit dem Nachfolger des exkommunizierten Marcel Lefebvre, Bischof Bernard Fellay) fanden dagegen weniger Beachtung. Auf die Bitte der innerkirchlichen Reformbewegungen um ein Gespräch wurde bisher nicht einmal reagiert.

10. Benedikt XVI. sagte zu Beginn seines Pontifikats, er wolle seine ganze Kraft der Einheit der Kirchen widmen. Doch den ökumenischen Bemühungen mit den orthodoxen Kirchen steht der Stillstand in der Ökumene mit den Kirchen der Reformation gegenüber, die von Rom nach wie vor noch nicht als Kirchen anerkannt werden. Die Erwartung, Benedikts besondere Kenntnis der Situation im Land der Reformation werde die Ökumene einen wichtigen Schritt nach vorn bringen, hat sich bisher nicht erfüllt.


Der Deutschlandbesuch des Papstes im September 2006 wird nach Auffassung der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche zeigen, wie sich der Papst zum Laienapostolat generell und vor allem zum Außenseiterkurs des Regensburger Bischofs Dr. Gerhard Ludwig Müller positioniert. Das Verhalten des Papstes, wie immer es ausfällt, wird ein deutliches Signal setzen, wie es um die Kirche in Deutschland und um die Bereitschaft gestellt ist, die „Laien“ nicht nur zur – möglichst ehrenamtlichen – Mitarbeit in der Kirche aufzufordern, sonder ihnen als „Volk Gottes“ auch Mitverantwortung und Mitentscheidung zu überlassen.

Für die Zukunft des Christentums wird es entscheidend sein, ob es Benedikt gelingen wird, die ihn selber seit Jahrzehnten umtreibende Frage des Verhältnisses von römischer Universalkirche und lokaler Ortskirche, von Einheit der Kirche und ihrer Vielfalt zu lösen. Findet er als weltweit anerkannter Theologe jetzt keine gute Antwort, dann wird sie wohl lange keiner mehr finden, dann steht ein Rückzug in die Zeit weit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil bevor. Um dies zu verhindern, muss Papst Benedikt XVI. immer wieder an das erinnert werden, was er in seinen jungen Jahren als Konzilstheologe geschrieben und gesprochen hat.

Zuletzt geändert am 09­.08.2006