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Veröffentlicht am 13­.04.2022

Wir sind Kirche

Joseph Ratzinger, ein zwiespältiger Theologe: Aufbruch mit dem Konzil – Erstarrung nach dem Konzil

Die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche würdigt Kardinal Joseph Ratzinger, den ehemaligen Papst Benedikt XVI., als höchst widersprüchlichen und zwiespältigen Theologen. Während er als junger Berater die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) mitgeprägt hat, erwies er sich später in seinen 31 Jahren im Vatikan (1982-2005 als Glaubenspräfekt unter Papst Johannes Paul II., 2005-2013 als Papst Benedikt XVI.) als ein von Misstrauen getriebener und in Angst erstarrter Theologe, der mit seinen Leitungsaufgaben überfordert war. Ein Verständnis für die Zukunftsdimension des Glaubens hat er nie entwickelt. Vielmehr hat er die Reformimpulse des Konzils begrenzt und zurückgenommen und sich damit als unerbittlicher Reaktionär erwiesen. Bis heute meldet er sich in höchst problematischer Weise zu Wort.

Mit seinen Stellungnahmen zum zweiten Münchner Missbrauchsgutachten hat er seinen Ruf als integrer Theologe und Kirchenführer und als „Mitarbeiter der Wahrheit“ (sein Bischofswahlspruch) schwer beschädigt. Damit fügt er dem Bischofs- und Papstamt großen Schaden zu. Es wäre ihm zu wünschen, dass er die Schuld für das Versagen nicht nur bei anderen sieht, sondern dass ihm noch ein persönliches Schuldeingeständnis für sein damaliges Handeln bzw. Nicht-Handeln als Münchner Erzbischof (1977-1982) gelingt. Sein anerkennenswerter Rücktritt vom Papstamt im Jahr 2013 hat das Papstamt entmystifiziert. Besser wäre es allerdings gewesen, wenn er auch in den Kardinalsstand oder Bischofsstand zurückgetreten wäre und die weiße Soutane abgelegt hätte.  

Anreihung fataler Entscheidungen für die Weltkirche

Während seiner langen Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation (1982-2005) hat Kardinal Ratzinger noch im Jahr 2001 alle Missbrauchsfälle weltweit unter das „päpstliche Geheimnis“ gestellt. Eine fatale Entscheidung, die erst durch Papst Franziskus aufgehoben wurde. Wenn es diesen „Geheimerlass“ nicht gegeben hätte, wäre vielen Tausend Betroffenen schwerstes Leid erspart geblieben und die fundamentale Glaubwürdigkeitskrise der römisch-katholischen Kirche hätte vermieden werden können.

Ebenfalls darf nicht vergessen werden, wie sehr Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation mehr als 23 Jahre lang Lehrverbote ausgesprochen, die Theologie der Befreiung verurteilt (z.B. die Jesuiten Jon Sobrino und den Franzsikaner Leonardo Boff), Frauen in der Kirche ausgegrenzt und die Ökumene mit den Kirchen der Reformation blockiert hat („Dominus Jesus“ 2000). Auch gegen Wir sind Kirche intervenierte er mehrfach. Als Glaubenspräfekt hat er seine eigene Theologie zum Massstab gemacht und diese als Theologie der kath. Kirche hingestellt.

Theologischer Stillstand und Klima der Angst

Dies steht in einer Linie mit zahlreichen weiteren von ihm beeinflussten Entscheidungen wie z. B. der Instruktion über die Diözesansynoden (1997), der Laien-Instruktion (1997), dem Vatikan-Papier gegen homosexuelle Lebensgemeinschaften (2003) und der Liturgie-Instruktion (2004). Für die katholische Kirche in Deutschland war der wesentlich von ihm betriebene Ausstieg der deutschen Bischöfe aus der Schwangerschaftskonfliktberatung eine besonders schwere Zerreißprobe. Der unter seiner Ägide entstandene theologische und pastorale Stillstand sowie das Klima der innerkirchlichen Angst und Erstarrung haben lange nachgewirkt. Anders als angekündigt, hat er sich auch während des Pontifikats seines Nachfolgers Franziskus immer wieder ungebeten zu Wort gemeldet.

Relativierung des Zweiten Vatikanischen Konzils

Ratzinger, der immer wieder die „Diktatur des Relativismus“ beklagte, betrieb selber die Relativierung des Zweiten Vatikanischen Konzils, vor allem durch die völlige Freigabe des vorkonziliaren Tridentinischen Ritus für die Messfeier (2007, erst im Juli 2021 durch Franziskus wieder korrigiert), durch die nicht akzeptable Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte zur „Bekehrung der Juden“ (2008) und schließlich durch die äußerst problematische Annäherung an die konzilsfeindliche Priesterbruderschaft Pius X. im Januar 2009. Die jahrzehntelange Auseinandersetzung mit der Piusbruderschaft mag für Ratzinger auch ein persönliches Trauma sein, hatte er sich doch im Auftrag von Papst Johannes Paul II. seit 1988 mit deren Gründer Erzbischof Marcel Lefebvre vergeblich um eine Wiedereingliederung bemüht.

Der unter ihm 1992 veröffentlichte „Weltkatechismus“ entspricht in vielfältiger Weise nicht dem Stand der heutigen Exegese und theologischen Ethik.Viele bezweifeln gar, ob Kardinal Ratzinger die Aufklärung, die er so heftig kritisierte, in ihrer ganzen Dimension richtig verstanden hat. Ratzingers sakrale Überhöhung des Priesteramts hat zu einer Überhöhung des Klerikalismus geführt (gegen den Franziskus immer wieder angeht) Umso tiefer war der Sturz durch die Aufdeckung der vielen weltweiten Fälle von sexualisierter Gewalt gerade durch Kleriker, die jahrzehntelang unter Androhung der Exkommunikation unter den Teppich gekehrt und vertuscht worden ist. Dass er mit der modernen Welt gar nichts anfangen konnte, ja regelrecht Angst davor hatte, machte ihn zum Versager auf breiter Front: als Professor, Bischof, Glaubenswächter, Papst und Ex-Papst. So hat er – wie sein Vorgänger Karol Wojtyła/Papst Johannes Paul II. – wohl mehr zum Glaubensverlust in der katholischen Kirche beigesteuert als böswillige Ungläubige.

April 2022

 

Zur Theologie Joseph Ratzingers
Hermann Häring: „Im Namen des Herrn. Wohin der Papst die Kirche führt.“ (Gütersloh 2009)“, 192 Seiten, ISBN-13: 978-3579064932
> Link   > Buchauszug

Wir sind Kirche zur Vollendung des 95. Lebensjahres von Joseph Ratzinger am 16. April 2022
> Pressemitteilung vom 11.4.2022

Zuletzt geändert am 13­.04.2022