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Veröffentlicht am 07­.02.2010

Canisius-Kolleg und anderswo

Endlich den Teufelskreis von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt in der Kirche durchbrechen!

Pressemitteilung München, 7. Februar 2010

Angesichts der jetzt immer zahlreicher bekannt werdenden Verdachtsfälle am Canisius-Kolleg und anderswo fordert die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche dazu auf, endlich die tieferen, strukturellen Ursachen in den Blick zu nehmen: die strikte Sexualmoral, ein überhöhtes männliches Priesterbild und autoritäre hierarchische Strukturen. Ohne eine Enttabuisierung in der Sexuallehre und eine grundlegende Änderung in der Einstellung zur menschlichen Sexualität wird nach Auffassung der katholischen Reformbewegung der Teufelskreis von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt in der römisch-katholischen Kirche nicht zu durchbrechen sein.

Wir sind Kirche begrüßt deshalb das mutige Vorgehen der Leitung des Canisius-Kollegs und des Jesuitenordens, die nicht nur den Opfern Gehör schenken, sondern auch die Fragen nach den zugrundeliegenden Strukturen stellen, die zu sexualisierter Gewalt und ihrer systematischen Vertuschung führen. Dieses Thema – das vor 15 Jahren in Österreich auch einer der Auslöser für das KirchenVolksBegehren war – betrifft keinesfalls nur diesen Orden, sondern hat in den vergangenen Jahren die Kirche vor allem in den USA, in Australien und in Irland zutiefst erschüttert. Für die Opfer und auch für die Kirche selber wäre es das Schlimmste, wenn dieses Thema, so schwierig es auch ist, nach einigen vagen Entschuldigungen wieder in der Versenkung verschwinden würde. Denn nur diese Öffentlichkeit gibt auch anderen Opfern die Chance, ihre quälenden Erfahrungen auszusprechen.

Die Deutsche Bischofskonferenz, die sich vom 22. bis 25. Februar 2010 in Freiburg auch mit diesem Thema befassen wird, wird von Wir sind Kirche aufgefordert, die 2002 beschlossenen „Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Kleriker und Kirchenangestellte“ konsequenter anzuwenden, grundlegend zu überprüfen und auch bezüglich ihrer Verbindlichkeit zu überarbeiten. Es kann nicht sein, dass in einzelnen Diözesen hohe Geistliche, denen die notwendige Distanz zu möglichen Tatverdächtigen fehlt, immer noch als Ansprechpartner genannt werden.

Wir sind Kirche erneuert deshalb die Forderung nach niederschwelligen und vor allem unabhängigen Beratungsstellen und hält, solange dies nicht erfolgt, das von ihr im Jahr 2002 eingerichtete Notruf-Telefon weiterhin bereit.

Wenn es nicht zu einem Pauschalverdacht gegenüber allen Priestern, Ordensleuten und kirchlichen Einrichtungen kommen soll, muss die angstbesetzte kirchliche Sexuallehre und müssen die kirchlichen Strukturen auf den Prüfstand. Eine Zölibatsdebatte alleine würde zu kurz greifen. Themen wie Selbstbefriedigung, Homosexualität und vorehelicher Geschlechtsverkehr dürfen nicht mehr völlig tabuisiert sein. In der Priesterausbildung muss eine verantwortete Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität stattfinden.

Eine zentrale Verantwortung trägt der Vatikan, der im Jahr 1962 in dem streng vertraulichen Dokument „Crimine Sollicitationis“ alle Bischöfe angewiesen hatte, sexuelle Vergehen von Priestern „mit größter Geheimhaltung“ innerkirchlich zu verfolgen, und die Opfer unter der Drohung der Exkommunizierung zum Stillschweigen verpflichtete. Dass diese Regelungen weiterhin gültig sind, hatte Kardinal Joseph Ratzinger noch 2001 verfügt, als die Glaubenskongregation mit dem „Motu proprio Sacramentorum sanctitatis tutela“ die kirchenrechtliche Zuständigkeit für sexuelle Vergehen an sich gezogen hat.

Im November 2008 unternahm der Vatikan mit neuen Richtlinien für die Aufnahme ins Priesterseminar zwar endlich einen konkreten Versuch zur Prävention von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensleute. Doch ist es fraglich, ob psychologische Tests für Priesteramts-Anwärter wirksame und geeignete Mittel der Prävention sein können. Problematisch ist vor allem, dass – wie schon in früheren Verlautbarungen – nicht klar zwischen sexueller Gewalt gegenüber Minderjährigen und Homosexualität erwachsener Menschen unterschieden und erneut Homosexualität als sexuelle Möglichkeit der Orientierung ausgeschlossen wird. Vorsichtige Schätzungen gehen von 300 pädophil (Neigung zu Kindern) oder ephebophil (Neigung zu Heranwachsenden) veranlagten Priestern in Deutschland aus. Die Zahl der Opfer ist um ein Vielfaches größer.

Unsere Kirche braucht eine grundlegende Änderung in der Einstellung zur Sexualität, eine „positive Bewertung der Sexualität“, wie sie auch Punkt 4 des KirchenVolksBegehrens fordert; siehe auch Wir sind Kirche-Positionspapier „Sexualität als Leben spendende Kraft“ vom November 2008 (http://www.wir-sind-kirche.de/files/844_PositionSexualethik2.pdf).


Weitere Informationen: www.wir-sind-kirche.de/index.php?id=243

Kontakt:

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Wir sind Kirche: Nährboden für Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt auch in Österreich entziehen
> Presseaussendung der österreichischen Plattform Wir sind Kirche vom 8.2.2010

Zuletzt geändert am 29­.01.2014