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Veröffentlicht am 01­.08.2010

1.8.2010 - Herder Korrespondenz

Wie die Kirche führen?

Alexander Foitzik

Krisenzeiten verlangen offenkundig nach starker Führung. Je größer die Verunsicherung, umso ausgeprägter der Wunsch nach zupackenden Händen und Köpfen, in denen sich scharfer Realitätssinn mit visionärer Kraft verbindet. Anders lässt es sich wohl nicht erklären: warum gerade jetzt wieder, im Kontext der fortdauernden globalen Finanz- und Wirtschaftskrise hierzulande fast schon inflationär in Wirtschaft und Politik "Führungskrisen " diagnostiziert werden oder wie rasch man deren Spitzenkräften "Führungsschwäche" attestiert beziehungsweise geradezu hektisch "Führungspersönlichkeiten" sucht. Dabei versteht sich von selbst, dass die solchermaßen erwartete oder erhoffte starke Führung nichts mit autoritärem Machtgebaren zu tun haben darf, sich wirkliche Führungspersönlichkeiten durch hohe kommunikative, integrative Fähigkeiten auszeichnen, sie ihr Umfeld nicht beherrschen, sondern zu begeistern, zu motivieren wissen.

In dieser Erwartung unterscheidet sich die Kirche wohl kaum von der Welt, auch wenn "Führung" und "Leitung" hier ganz anders als etwa in Parteien oder Unternehmen legitimiert und theologisch fundiert sind. So entfachte die durch den Missbrauchsskandal ausgelöste Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise in den letzten Monaten von neuem die seit Jahren und Jahrzehnten schwelende Diskussion über Führungsschwäche und Führungsstile, angemessenen und falschen Machtgebrauch in der Kirche; nicht zuletzt haben die furchtbaren Taten des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen selbst, aber auch das wie immer motivierte Vertuschen und Decken solcher Taten etwas mit fehlgeleiteter Machtausübung zu tun. (...)

(...) In einem Interview Mitte Juni hat der scheidende Vorsitzende der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, der Erfurter Bischof Joachim Wanke, mit Blick auf die gegenwärtige Krise gemahnt: So berechtigt all die jetzt aufgestellten Forderungen seien, vom Wunsch nach einer neuen Synode über die Aufhebung des Zölibats und das Nachdenken über ein neues Miteinander von Amtsträgern und Laien bis zur Suche nach neuer Balance zwischen weltkirchlichen Vorgaben und ortskirchlichen Freiräumen - grundlegender noch bräuchten wir eine mehrheitsfähige, zündende Vision von Kirche: "Eine Vision, die im Evangelium ihr Fundament hat, die das Empfinden und die Erwartung der Menschen trifft und die nicht zuletzt auch praktisch umsetzbar ist." Für Wanke erfüllt dies die Vision "einer dem Menschen dienenden Kirche". Zu einer solchen Vision werde aber nur fähig, wer bereit ist, "unsere veränderte Gegenwart mit ihren geweiteten Freiheitsräumen als Chance wahrzunehmen". Eine solche Vision braucht zuallererst aber jeder, der in diesen Krisenzeiten in der Kirche leiten und führen will. Eine in diesem Sinne starke Führung ist in diesen Tagen nötiger denn je.

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Herder Korrespondenz 64 (2010) 379-381. - August 2010
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Zuletzt geändert am 05­.08.2010