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Veröffentlicht am 26­.09.2014

26.9.2014 - welt.de

Deutschlands oberster Bischof beschwört Freiheit

Die katholischen Bischöfe hadern mit der Abkehr vieler Gläubiger von der Kirche. Ihr Chef appelliert, "verschiedene Lebenswege und bunte Biografien" zu akzeptieren. Kommt ein liberaler Kurs?

Von Christian Eckl



Betrachtet man die nackten Zahlen, dann ist die Lage für die katholische Kirche in Deutschland fatal. Fast 180.000 Kirchenaustritte allein 2013 – und damit fast so viele wie auf dem Höhepunkt des Missbrauchskandals 2010. Der Kirche laufen die Menschen davon. Und dann das.

"Mir ist das zu kurz, einfach nur über Kirchenaustritte zu reden. Es geht dabei um einen gesellschaftlichen Wandel, der nicht nur die Kirche betrifft", sagte der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am Ende der Vollversammlung in Fulda. Die vielen Kirchenaustritte seien auch Folge der gesellschaftlichen Veränderungen, einer neuen "Freiheit, die eine Pluralisierung zur Folge habe – und das ist nicht von vornherein nur negativ!"

Was sich am Ende dieses großen Treffens der deutschen Bischöfe nur bestätigte, ist seit dieser Woche vielen Beobachtern klar geworden: Mit dem Münchner Kardinal haben die Oberhirten einen völlig neuen Ton angestimmt, ja einen Kirchenmann an ihre Spitze gewählt, der für einen neuen Aufbruch in der katholischen Kirche und dem Klerus steht. Und das tut Marx mit Worten, die aufhorchen lassen. "Wenn ich Freiheit will, muss ich verschiedene Lebenswege akzeptieren und bunte Biografien."

Der Kardinal machte am Freitag zum Abschluss der Tagung deutlich, hinter wem sich die deutschen Bischöfe positionieren in einem Streit, der die Kurie in Rom derzeit spaltet. Einerseits hat sich der Glaubenspräfekt Gerhard Ludwig Müller klar gegen eine Aufweichung der kirchlichen Lehre gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen positioniert – und konservative Kirchenfürsten um sich geschart.

"Zehn Argumente für die Ehe"

Das war auch ein Angriff auf Kardinal Walter Kasper, der in einem Referat vor der Kurie und dem Papst Barmherzigkeit bei gescheiterten Ehen gefordert hatte. Marx machte deutlich, wo die deutschen Bischöfe mehrheitlich stehen: "Mit der bewussten Wahl von Kardinal Kasper als Referent hat der Papst gezeigt, dass er eine offene Diskussion will." Die weltweite Diskussion über einen neuen Umgang mit gescheiterten Ehen begrüßte er ausdrücklich: "Warum nicht? Was wollen wir mehr?"

Marx zufolge könne "eine Mehrheit der deutschen Bischofskonferenz Kardinal Kasper gut folgen". Gleichzeitig kündigte er an, dass es nicht nur ein "Hirtenwort" über Familie geben wird – quasi "zehn Argumente für die Ehe" statt nur Gebote –, sondern "eine breite Debatte in der Kirchenöffentlichkeit stattfinden soll". Unterschiedliche Positionen seien "nichts schlimmes, wenn sie in Respekt geführt werden – und am Ende entscheidet der Papst. So ist das bei uns".

Unerwarteten Zuspruch erhält der neue Vorsitzende der Bischofskonferenz von der ansonsten eher kritischen Laienbewegung "Wir sind Kirche". "Das ist ein Ton, der neu ist bei einem Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz", sagte Sprecher Christian Weisner der "Welt". Man spüre einen neuen Wind und man merkt, dass Kardinal Joachim Meisner nicht mehr Mitglied der Bischofskonferenz sei.

Gleichzeitig bedauerte Weisner, dass Kardinal Marx die steigende Zahl der Kirchenaustritte als nicht beängstigend abgetan habe: "Marx gibt sich hier gern als aufgeklärten Sozialwissenschaftler, wenn er den Wandel der Gesellschaft beschreibt. Aber konkret stellt sich doch die Frage, wie die Kirche mit dem lesbischen Paar umgeht oder dem Geschiedenen, der wieder heiraten will. Kirche darf hier nicht einfach sagen: 'Uns egal, wenn ihr uns davonlauft' – sondern muss sich auch um das einzelne Schaf aus der Herde kümmern", mahnte Weisner.


Der liberale Kurs der deutschen Kirchen

Marx warnte zum Abschluss der Herbsttagung in Bezug auf die Debatte um die Kirchensteuern davor, undifferenziert mit den Kirchen ins Gericht zu gehen. "Manchmal nehme ich wahr, dass es da eine undifferenzierte Berichterstattung gibt – ein bisschen Fachkompetenz sollte man haben, auch in öffentlich-rechtlichen Medien", so Marx. Die Unterscheidung zwischen Kirchensteuern, Staatsleistungen, die den Kirchen zusätzlich bezahlt werden, etwa für Bischofsgehälter, seien klar abzugrenzen von Refinanzierungen etwa bei Krankenhäusern, wo die kirchlichen Häuser Geld von Krankenkassen bekämen.

Dass die Kirchen in einem anderen Fall ein Eigentor geschossen haben, musste die Konferenz einräumen. Seitdem Banken und Sparkassen ihren Kunden mitteilten, dass die Kirchensteuer auf Kapitalerträge künftig automatisch abgeführt wird, ist die Aufregung groß – groß soll auch die Austrittswelle verschreckter Protestanten und Katholiken sein. Dabei ist diese Steuer – nach Abzug des Sparerfreibetrags von 801 Euro – schon immer fällig. Aber offenbar wurde sie nicht wirklich ernst genommen und kaum eingetrieben. Bei vielen Menschen sei der falsche Eindruck entstanden, die Kirche erhebe eine neue Steuer.

Am Ende dieser Bischofskonferenz wird deutlich, dass die katholische Kirche in Deutschland einen liberaleren Kurs einschlägt und die Grabenkämpfe aus den Tagen des Pontifikats von Papst Benedikt beigelegt sind. Zudem wurde deutlich, dass Kardinal Marx in Rom mit starker Stimme spricht: Er wird als Vertreter der deutschen Bischöfe bei der außerordentlichen Synode zu Ehe und Familie im Oktober vertreten sein. Dort wird sich entscheiden, ob der frische Wind auch im Vatikan bläst – so wie er es auch in Fulda getan hat. Im September kommenden Jahres werden die Bischöfe Papst Franziskus einen offiziellen Besuch abstatten.

Zuletzt geändert am 26­.09.2014