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Veröffentlicht am 16­.03.2014

16.3.2014 - SO.kirche (App-Zeitung des Medienhauses Madsack)

Roms treuster Vasall

Künftig steht Kardinal Reinhard Marx an der Spitze der Deutschen Bischofskonferenz. Den einen gilt er als vatikanhöriger Karrierist, die anderen schätzen seine kantige Art. Ein Gespräch mit Sigrid Grabmeier von der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“.

VON DANIEL BEHRENDT

Am Tag seiner Wahl zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz hielt Reinhard Marx die Morgenmesse im Münsteraner St.-Paulus-Dom. Seine „Bewerbungsrede“ war ein starkes Plädoyer für die Kraft und Notwendigkeit des Evangeliums in unserer Zeit – und für eine Kirche, die keine Vorschriften predigt, sondern von der Barmherzigkeit Gottes spricht. Welche konkreten Schritte und Entscheidungen erwarten Sie von einem Mann, der es tatsächlich ernst meint mit einer barmherzigen Kirche?

Bei mir ist vor allem die Aussage hängen geblieben, das sich die Glaubensinhalte nicht dem Zeitgeist unterwerfen sollen. Ich zucke bei derartigen Äußerungen, die man aus dem Mund unserer Bischöfe immer wieder hört, zusammen und frage mich: Was genau hat er eigentlich gemeint? Soll der Kern unseres Glauben, die Botschaft Jesu Christi, vom Zeitgeist unverwässert bleiben? Oder will Marx doch eher die über Jahrhunderte zementierte und heute in vielen Teilen überkommene Dogmatik unserer Kirche unangetastet sehen? Jesus predigte Barmherzigkeit gegenüber allen Menschen – auch den Benachteiligten und Ausgestoßenen. Von derartiger Barmherzigkeit zu reden, wenn es eigentlich um die Bewältigung der Hartherzigkeit einer überkommenen kirchlichen Lehre gegenüber Wiederverheirateten, Frauen oder Schwulen geht, erscheint mir schon ein wenig unaufrichtig. Wir erwarten, dass Marx dazu beiträgt, einen wichtigen Unterscheidungsprozess zu unterstützen: Was ist der Markenkern des Evangeliums, und was ist auf überlebten Vorstellungen beruhende Doktrin?

Kardinal Marx tritt kantiger und meinungsfreudiger als viele seiner Amtsbrüder auf – und polarisiert dementsprechend stark. Die einen loben seine direkte Sprache und sein Durchsetzungsvermögen, die anderen sehen ihn vor allem als karriereorientierten Alphamann, von dem kaum eigenständige Impulse zu erwarten sind. Wie sehen Sie Reinhard Marx?

Er präsentiert sich als Machertyp – allerdings als einer ohne Visionen. Marx scheint vor allem dem Pragmatismus, den Minimalzielen verpflichtet. Was in der katholischen Kirche so viel heißt wie: Funktionieren kann nur, was den Vorgaben von ganz oben entspricht. Daher erstaunen mich Marx’ geschmeidigen Anpassungsleistungen überhaupt nicht. Den konservativen, am kirchlichen Inner Circle orientierten Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt leistete er ebenso treue Gefolgschaft wie dem weltoffenen Franziskus. Als stark kleruszentrierter Mann ist Marx loyal durch und durch. Eine starke Triebfeder scheint mir bei ihm der Wunsch nach Bestätigung, nach Lob. Bekommt er ausreichend Rückenwind aus dem Vatikan, ist er durchaus kraftvoll, dann könnte er etwas bewegen.

Was genau wird Marx bewegen können? Er gilt als enger Vertrauter von Papst Franziskus. Wird er versuchen, das Augenmerk des Pontifex stärker auf die Themen zu lenken, die gerade deutschen Katholiken unter den Nägeln brennen – etwa der Umgang mit Wiederverheirateten und Homosexuellen, das Verhältnis von Sexuallehre und Lebenswirklichkeit, die Befugnisse von Laiengremien und – das ewig heiße Eisen – die Frauenordination?

Grundsätzlich hat sich Marx klar als Konservativer zu erkennen gegeben. Aber als Pragmatiker erkennt er, wo Veränderungspotenziale liegen. Franziskus hat einige der von Ihnen benannten Themen ohnehin auf dem Radar, wie die von ihm angestoßene Befragung der Gläubigen zu Familienbild und Sexuallehre der katholischen Kirche zeigt. Deren Ergebnisse belegen schwarz auf weiß, was aufmerksame Katholiken ohnehin längst wussten: Leben und Lehre gehen in vielen Aspekten eklatant auseinander. Ich bin mir sicher, das Franziskus dieser Befund bedenklich gestimmt hat und er ihn sehr ernst nimmt. Zugleich habe ich Zweifel, ob Kardinal Marx ebenso aufmerksam auf die Basis hört. Ich erinnere nur an den 2010 durch den Missbrauchsskandal angestoßenen Dialog, der helfen sollte, den beträchtlichen Vertrauensverlust in die katholische Kirche in Deutschland zu kitten. Manche Bischöfe nahmen diesen Prozess sehr ernst, unter anderem auch Marx’ Vorgänger Robert Zollitsch, in dessen Diözese Freiburg eine sehr engagierte und offenherzige Auseinandersetzung geführt wurde. In Marx’ Bistum München und Freising war hingegen kaum etwas von dieser Aufgeschlossenheit zu spüren. Eher schon Lieblosigkeit, Distanziertheit, Gleichgültigkeit gegenüber dem Kirchenvolk. Auch das hat, so denke ich, mit Marx’ starker Bezogenheit auf den Klerus zu tun: Selbst den Ton anzugeben, scheint dem Münchener Hirten allemal wichtiger als die Mitwirkung der ihm anvertrauten Menschen.

Fehlt es Kardinal Marx also an Demut?

Das möchte ich nicht beurteilen. Aber zumindest gibt es Bischöfe, die in der Vergangenheit weit mehr in Bescheidenheit geglänzt haben. Wie eben Robert Zollitsch, der zwar weit unscheinbarer als Marx rüberkommen mag, aber ein freundlicher, zugewandter Mann ist, der keinerlei Aufhebens um sich macht. Oder auch der Osnabrücker Bischof Bode, von dem der schöne Ausspruch stammt: „Manchmal muss ein Hirte hinterhergehen.“ Diese Weisheit könnte übrigens glatt aus dem Munde von Franziskus stammen – und würde sich sicher auch im Stammbuch von Kardinal Marx ausgezeichnet machen.

Fürchten Sie, dass sich Marx angesichts seiner vielen Ämter – er ist zudem Erzbischof von München und Freising und Europabeauftragter im päpstlichen Kardinalsrat – verzetteln könnte?

Er ist übrigens zudem auch noch Sprecher der Bischofskommission bei der EU. Angesichts dieser Ämterfülle fragen sich die Menschen in seiner Diözese natürlich schon, ob er sich noch hinreichend um sie kümmern wird. Seine Anhänger fühlen sich deshalb schon verwaist, seine Gegner gewinnen der Tatsache, dass ihr Bischof fast schon überbeschäftigt ist, sogar Positives ab. Nach dem Motto: Nun können wir endlich tun und lassen, was wir wollen.

Eine weitere wichtige Personalie mit Signalwirkung: Der Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner, einer der stärksten, aber zweifellos auch widerborstigsten und konservativsten Köpfe der katholischen Kirche in Deutschland, hat sich vor einer Woche in den Ruhestand verabschiedet. Wie blicken Sie auf seine Ära zurück?

Als kritische Katholikin weine ich ihm natürlich keine Träne nach. Viele Äußerungen, die er sich erlaubt hat – etwa zur Homosexualität oder sein Vergleich von Abtreibung mit dem Holocaust – sind aus meiner Sicht weit mehr als nur ungeschickt. Sie sind schlimm und beschämend. Uns als Kirchenvolksbewegung war Meisner sicher stets ein würdiger Sparringspartner und ein starker Antrieb, nicht abzulassen von unserem Engagement. Aber mal ehrlich: Man kann gut auf jemanden verzichten, der unserer Kirche zwar viele Schlagzeilen eingebracht hat, aber von weiten Teilen der Öffentlichkeit vor allem als Musterbeispiel für einen ewiggestrigen Betonkatholizismus wahrgenommen wurde.

Sigrid Grabmeier ist Mitglied im Bundesvorstand der katholischen Kirchenvolksbewewegung „Wir sind Kirche“.

Zuletzt geändert am 18­.03.2014