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Veröffentlicht am 09­.06.2008

9.6.2008 - Kölner Stadt-Anzeiger

Exorzismus: Die feuersprühende Dynamitkugel

VON HARALD BISKUP

INGOLSTADT - Saftige Wiesen, so weit das Auge reicht, es duftet nach frischer Maat. Ein Schild am Tor wirbt für Äpfel aus eigenem Anbau. Eine Gegend wie geschaffen zum Auftanken für stressgeplagte Großstädter. Seit 40 Jahren unterhält die katholische Schönstatt-Bewegung in Kösching, umgeben von Obstgärten und Plantagen, ein Pilgerzentrum mit Exerzitienhaus und Anbetungskapelle. Heiler kann die Welt kaum sein. Es gehört viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, ausgerechnet hier könnte der Leibhaftige sein Unwesen treiben. Und doch residiert in der Einöde zwischen Eichstätt und Ingolstadt einer der wenigen bekennenden Exorzisten Deutschlands, der noch kürzlich in diesem friedlichen Ambiente eine Teufelsaustreibung vorgenommen haben soll.

Otto Maurer ist ein großer stattlicher Mann, dem man seine 81 Jahre sonst nicht ansieht. An diesem Morgen wirkt er aber missgelaunt und angespannt. Eigentlich ist Maurer ein jovialer Plauderer, aber wenn das Gespräch auf seine „unerlaubte Nebenbeschäftigung“ kommt, wird der seit zehn Jahren pensionierte Pfarrer ausgesprochen einsilbig und zupft nervös an dem Brokatläufer auf dem schweren dunklen Tisch. Gerahmte Heiligenbilder, ein Kruzifix, nichts Außergewöhnliches für das Wohnzimmer eines Geistlichen. Er habe stets nur das Gute gewollt, wenn man ihn gerufen habe. Sein Vorgesetzter, der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke, hat jetzt die Notbremse gezogen und ihm sein weiteres Wirken als Exorzist untersagt. "Vermutet, dass Dämonen da sind"

Tags zuvor hat man Maurer zu einem „klärenden Gespräch“ ins Ordinariat bestellt. Es muss ein schwerer Gang für den Mann gewesen sein, der seit Jahren, vielleicht jahrzehntelang „Besessene von ihrer Last befreit“ hat. Nicht nur im eigenen Sprengel, er hat seine fragwürdigen Dienste auch sozusagen überregional angeboten. Maurer, früher Leiter eines Ingolstädter Knabenkonvikts, soll auch bei den kürzlich bekannt gewordenen Fällen von Teufelsaustreibung im Erzbistum Paderborn seine Hände ihm Spiel gehabt haben. Die Amtshilfe bezog sich, verriet er 2003 dem „Donaukurier“, auf einen Jungen aus Österreich. „Wir haben vermutet“, so der Exorzist damals freimütig, „dass er mit einem auffälligen Persönlichkeitsbild vom Teufel besessen ist, dass Dämonen da sind.“

Wenn der sonst so liebenswürdige ältere Herr jetzt „mit diesen ollen Kamellen“ konfrontiert wird, reagiert er schnell grantig. Minutenlanges Schweigen in dem engen, schlecht gelüfteten Raum, bis Maurers resolute Haushälterin sagt, man habe dem Herrn Pfarrer einen Maulkorb umgehängt. In einer Erklärung des Bistums Eichstätt heißt es, Maurer habe „ausdrücklich sein Bedauern erklärt“, dass er einen Exorzismus nach Entzug der bischöflichen Genehmigung gesprochen habe. Er habe sich verpflichtet, bei entsprechenden Anfragen „nicht mehr zur Verfügung zu stehen“.

„Es ist Schluss“, sagt Maurer, aber es klingt bitter. Kollegen, die ihn seit Jahr und Tag kennen, können sich freilich kaum vorstellen, dass Maurer sich von dem Verbot beeindrucken lässt. „Wenn er von etwas überzeugt ist, lässt er sich durch nichts und niemanden davon abbringen“, sagt zum Beispiel Karl Graml, ein Eichstätter Priester, der geheiratet hat und heute dem Bundesteam der kritischen Bewegung „Wir sind Kirche“ angehört. Obrigkeitshörig, wie er sei, werde Maurer sich eine Weile fügen. Sobald etwas Gras über die Sache gewachsen sei, werde er sich, mutmaßen Amtsbrüder, wieder in den Dienst seiner obskuren Mission stellen. Fegefeuer, Hölle und vor allem der Teufel seien „Inbegriff von Maurers Theologie“, sagt Graml. Lange Zeit hatte Maurer bei seinem Kampf gegen finstere Mächte einen starken Fürsprecher. 1997 von Walter Mixa ernannt.

Es war Walter Mixa, der durch seinen Clinch mit Familienministerin Ursula von der Leyen bekannt gewordene Augsburger Bischof, damals noch Oberhirte von Eichstätt, der Maurer im Juni 1997 ganz offiziell zum Exorzisten ernannte - unter „strengen Auflagen“. Wie wichtig Mixa die nur wenigen Insidern bekannte Spezialaufgabe war, zeigte sich bei Maurers Verabschiedung als Diözesanpräses der charismatischen und auf Marienverehrung ausgerichteten Schönstatt-Bewegung. Mixa nannte Maurer eine „feuersprühende Dynamitkugel“, und erwähnte in seinem Dank geheimnisvoll auch „alles, was nicht gesagt werden kann“. Vermutlich ist Maurer auch auf Mixas Vermittlung in Paderborn tätig geworden.

Verbindungen können, vermuten Kenner der Szene wie der Freisinger Pallottinerpater Jörg Müller, auch über die weit verzweigte Schönstatt-Gemeinschaft angebahnt worden sein. Eine offizielle Anfrage aus Paderborn, erklärt Müller, selbst eine schillernde Figur unter den „christlichen Therapeuten“, habe es nicht gegeben. Das wäre sozusagen der Normalfall. Müller ist Kontaktmann für alle Diözesen, die mit einem Wunsch nach „Heilung von dämonischen Belastungen“ konfrontiert werden. Müller, der in seiner Internet-Biografie als seine Hobbys Bauchreden und Zaubern auflistet, macht kein Hehl daraus, dass er „sehr wohl an die Macht und die Existenz dämonischer Mächte“ glaubt. Jährlich erreichten ihn bis zu 400 Anfragen von Menschen, die um einen Exorzismus bitten. „Die ganz große Mehrheit“, stellt Müller klar, „ist therapiebedürftig.“ Es gebe allerdings auch im 21. Jahrhundert „Grauzonen und medizinisch nicht erklärbare Phänomene“. In diesen „wenigen Fällen“ halte er ein „Befreiungsgebet“ für opportun. In Frage kommende Hilfesuchende würden nach München eingeladen und von einem Team begutachtet, dem außer ihm Ärzte, Psychotherapeuten und Angehörige von Pflegeberufen angehörten, allesamt gut katholisch, versteht sich. Der Kreis fungiere „als Dienstleister“.

Meist nicht wie im Film

„Nüchtern und langweilig“ gehe es bei den Sitzungen zu, „es stinkt weder nach Schwefel noch schwebt jemand durch den Raum“. Müllers Exorzismus light beinhalte ein „Gebet um Heil und Befreiung“, verzichte aber auf Beschwörungsformeln wie „Weiche, Satan“ oder „Dämon, ich gebiete“. Der Pater bestreitet freilich nicht, dass auch sein Ritual den „kleinen Exorzismus“ einschließe. Nach Möglichkeit, sagt er vage, vermeide er bei seiner soften Teufelsaustreibung die Erwähnung des Leibhaftigen und spreche lieber von „dämonischen Attacken“ oder von „Menschen, die im Dienst des Bösen stehen“: Man wisse nie, „was bei sensiblen Personen alles ausgelöst wird“. Die allermeisten seien dankbar, „dass sie durch uns vom Dämonen-Aspekt wegkommen“. Manche reagierten auch „sauer“, weil sie die „Alibi-Diagnose Besessenheit brauchen, um nicht an sich arbeiten zu müssen“. Wenn sich nach dem dreimalig angewandtem „kleinen Ex“ überhaupt nichts tue, „hören wir auf: Der liebe Gott ist ja nicht schwerhörig“.

Einem wie Otto Maurer, den manche einen Hardcore-Exorzisten nennen, würde Müller, behauptet er jedenfalls, keinen Patienten anvertrauen. „Dann würde ja die ganze Maschinerie losgehen, und derjenige wäre endgültig als besessen abgestempelt.“ In Paderborn, wo man wohl gern auf Maurers Wirken vertraut hat, führen die jüngst öffentlich gewordenen Fälle nicht zu einem Stopp der mittelalterlichen Rituale. Daran wird auch ein von drei Chefärzten der Betheler Anstalten und des Bielefelder Johannesstifts unterzeichnetes Protestschreiben nichts ändern. Vor dem „grundfalschen Konzept“ einer Besessenheit bei „behandlungsbedürftigen psychischen und / oder hirnorganischen Erkrankungen“ sei „dringend zu warnen“. „Der Exorzismus“, wiegelt Bistumssprecher Ägidius Engel ab, „gehört zum Wesen der Kirche.“

Zuletzt geändert am 11­.06.2008