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Veröffentlicht am 25­.05.2008

25.5.2008 - Spiegel Online

"Wir betreiben keinen Kuschel-Katholizismus"

Über 60.000 Menschen haben seit Mittwoch an den Veranstaltungen des Deutschen Katholikentages, der heute in Osnabrück endet, teilgenommen. Ohne Werte wie Solidarität und Engagement könne "keine Gesellschaft überleben", sagte Chefbischof Robert Zollitsch zum Abschluss.

Osnabrück - Als Papst Johannes Paul II. bei seinem Deutschlandbesuch 1980 im Osnabrücker Sportstadion Illoshöhe eine Messe feierte, kamen 140.000 Gläubige. Zum Abschluss des 97. Katholikentages am Sonntag waren es dort gerade einmal 25.000. Die katholische Kirche tut sich schwer mit ihren Laien - und die Laien merken das: Obwohl es in Deutschland etwas mehr Katholiken als Protestanten gibt, verzeichneten die Laientreffen in den letzten Jahren nur einen Bruchteil der Teilnehmer Evangelischer Kirchentage.

Am Angebot des Katholikentags kann es auch dieses Jahr kaum gelegen haben: Rund 1200 Veranstaltungen zeigten die Vielfalt der katholischen Kirche auf, es kamen prominente Gäste wie Bundespräsident Horst Köhler, Kanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, dazu ein hochkarätiges Kulturprogramm mit Auftritten von Schauspieler Ben Becker, der Hip-Hop-Formation Culcha Candela und der A-Capella-Gruppe Wise Guys.

Es habe "kein heißes Eisen im Leben der Kirche" gegeben, das man nicht angefasst habe, sagte Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken: "Wir betreiben keinen Kuschel-Katholizismus." Der Katholikentag sei ein Ort gewesen, wo Katholiken Stellung bezogen hätten.

Schavan mit Bibelstunde statt Diskussion

Doch an diesem Punkt hätte man etwas kräftiger und schärfer und kontroverser sein können. Beim Thema Stammzellen beschränkte sich Bundesforschungsministerin Annette Schavan auf eine Bibelstunde und stellte sich nicht der Diskussion. Die CDU-Politikerin und bekennende Katholikin hatte mit ihrem Ja zu einer Verlängerung der Stichtagsregelung den Zorn vieler Mitbrüder und Mitschwestern auf sich gezogen.

Bei der Veranstaltung mit Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) zum Thema Familie fehlte ein ebenbürtiger Gesprächspartner wie ihr Hauptwidersacher Bischof Walter Mixa, der nicht am Katholikentag teilnahm. Und auch Bundeskanzlerin Merkel - allerdings eine Protestantin - durfte sich ausweichend durch ihre Podiumsdiskussion lavieren und ohne große Widerrede darüber freuen, dass die Vorschläge des UN-Klimarates ja noch bis 2050 Zeit ließen, um etwas zu verändern.

Zum Abschluss des Katholikentages hat Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, eine zunehmende Versorgungsmentalität angeprangert und mehr Verteilungsgerechtigkeit gefordert. Er warnte vor einer "Ellenbogengesellschaft" und rief die Gläubigen zum Einsatz für eine solidarische Gesellschaft auf, in der die erste Frage stets laute: Was könne man für den anderen, für die Gesellschaft und für die Kirche tun. Ohne Werte wie Solidarität und soziales Engagement könne "keine Gesellschaft überleben".

Am Samstag hatte Bundespräsident Horst Köhler den Katholikentag besucht und vor übermäßigem Materialismus gewarnt: "Wenn wir uns von materiellem Wohlstand abhängig machen, wird das nicht gutgehen." Wesentlich bedeutender sei in einer Demokratie die Orientierung an Werten und Tugenden. Bei Köhlers erstem großen öffentlichen Auftritt nach seiner Ankündigung, wieder als Bundespräsident zu kandidieren, erhielt er immer wieder lautstarken Beifall, bisweilen minutenlang.

Köhler sprach fast nur Themen an, bei denen ihm die Zustimmung des Publikums sicher war - und manchmal auch die Lacher. In Anspielung auf Köhlers Kritik an den Banken, die die weltweiten Finanzmärkte zu einem "Monster" entwickelt hätten, fragte Moderatorin Maybrit Illner, wie man denn gegen Monster vorgehe. "Mit Gottvertrauen", antwortete Köhler zur Erheiterung des Publikums, wartete einen Moment und fügte dann an: "Man muss aber auch sachkundig sein."

Signale an die Juden, kriselnde Ökumene

Zur Menschenrechtssituation in China sagte Köhler, dort liege zwar noch vieles im Argen. Er habe aber auch bei einem Besuch in China erfahren, dass es Fortschritte gebe, etwa im Gespräch mit Umweltorganisationen. Man müsse Ländern Zeit für den Wandel lassen, dürfe sich nicht den Dialog verbauen und auch "nicht alles nach westlichen Kriterien abarbeiten". Köhler zeigte sich zuversichtlich, dass es auch in China irgendwann Demokratie geben werde.

Das bedeutendste Signal, das der Katholikentag aussandte, betraf die Juden. In den letzten Monaten hatte es wegen der Karfreitagsfürbitte des Papstes massive Verstimmungen gegeben, weil Kritiker Benedikt XVI. vorwarfen, er rufe darin zur Missionierung der Juden auf. In einer christlich-jüdischen Gemeinschaftsfeier betonten Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, und Henry Brandt, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) des Zentralrats der Juden in Deutschland, dass der offene Dialog zwischen den beiden Religionen vertieft werden müsse, um die Eintrübung der Beziehungen zu verhindern - auch mit einer großen Geste: Zum Abschluss der Veranstaltung umarmten sich Zollitsch und Brandt.

Im Verhältnis zur evangelischen Kirche herrschte dagegen zwei Jahre vor dem Ökumenischen Kirchentag in München Stagnation. "Gewisse Anspannungen" seien nicht zu leugnen, räumte die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann ein. Die ökumenische Bewegung befinde sich nicht in einer "Honeymoon-Phase". Darüber konnte auch der mit rund 5.000 Personen gut besuchte zentrale ökumenische Gottesdienst am Freitag nicht hinwegtäuschen. In der Ökumene hakt es derzeit vor allem auf Ebene der Amtskirchen.

In den Gemeinden sei das gegenseitige Lernen längst im Gange, dort sei das ökumenische Miteinander oft leichter als auf höheren Ebenen, räumte auch Käßmann ein. Auch wenn der neue Bischofskonferenz-Vorsitzende Zollitsch ein profilierter Vertreter der Ökumene ist und die Basis es wünscht: Entscheidende Veränderungen wie etwa ein gemeinsames Abendmahl sind ohne den Vatikan nicht möglich. Viele innenkirchliche Probleme würden "durch irritierende Vorgaben aus Rom" verursacht würden, erklärte denn auch die Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche zum Ende des Katholikentreffens.

Aber es gibt auch Hoffnung. Der Osnabrücker Katholikentag war ausgesprochen jung - nach Angaben der Veranstalter waren rund 40 Prozent der Teilnehmer unter 30 Jahre alt. Dass er mit so vielen jungen Leuten ins Gespräch gekommen sei, habe ihn die Lebendigkeit der Kirche erfahren lassen, sagte auch Chefbischof Zollitsch.

jol/AP/dpa/ddp

Zuletzt geändert am 25­.05.2008