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Veröffentlicht am 28­.12.2011

27.12.2011 - tagesschau.de

Vatikan-Experte veröffentlicht kritisches Buch "Joseph Ratzinger hätte nicht Papst werden dürfen"

Offene Kritik am Papst ist selten - gerade in Italien. Doch der angesehene Vatikan-Experte Politi findet in seiner gerade erschienenen kritischen Papst-Bilanz klare Worte. Er nennt Benedikt XVI. einen "sanften Spalter", der ständig neue Konflikte schaffe und Antworten schuldig bleibe.

Von Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom

"Es hat in Benedikts Amtszeit so viele Krisen gegeben wie selten zuvor in der Kirchengeschichte", sagt der Vatikanexperte Marco Politi. Der Journalist, der 20 Jahre für die italienische Tageszeitung "La Repubblica" aus dem Vatikan berichtete, hat in Italien ein Buch über die aus seiner Sicht glücklose Amtsführung Benedikts XVI. veröffentlicht. Der Titel: "Joseph Ratzinger: Krise eines Pontifikats" (auf italienisch:"Crisi di un papato"). Bestes Beispiel dafür sei die Deutschlandreise des Papstes im Herbst. Auf die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen sei Benedikt nicht eingegangen. "Es war ein einziger Monolog."

Ein freundlicher Gesprächspartner

So etwas gibt es selten in Italien: offene Kritik am Papst. Vielleicht liegt es an seiner engen Beziehung nach Deutschland, dass Politi sich traut, von der "Krise eines Pontifikats" zu schreiben. Der 64-Jährige hat eine deutsche Mutter und ist einige Jahre in München zur Schule gegangen. Mit dem Papst verbinden ihn seine Muttersprache und das letzte Interview vor der Papstwahl, das Kardinal Ratzinger ausgerechnet Politi gab. Er habe Ratzinger damals als freundlichen, zugewandten Gesprächspartner erlebt, aber bestimmt in seinen Auffassungen. "Er ist ein sanfter Spalter", sagt Politi über Ratzinger. "In Italien ist die Hälfte der Katholiken nicht mit ihm einverstanden. Das wollte ich in meinem Buch erklären."

Keine Antworten vom Papst

Es ist, als würde eine unsichtbare Hand den Papst dazu drängen, ständig neue Konflikte anzuzetteln - so bringt Politi die Krise dieses Pontifikats auf den Punkt. Der Streit mit der muslimischen Welt nach der Regensburger Rede, der Streit mit dem Judentum nach der Wiederaufnahme des antisemitischen Bischofs der erzkatholischen Piusbruderschaft Richard Williamson, die Eiszeit in der Ökumene - all das dient Politi für den Beweis seiner These: Der Papst schafft ständig neue Krisenherde. Symptomatisch dafür, sei Benedikts Deutschlandreise im vergangenen September gewesen. "Bundespräsident Wulff hat Fragen gestellt: Wie behandelt man die Missbrauchsskandale, wie behandelt mit die ökumenischen Fragen, wie behandelt man die Geschiedenen? Und der Papst hat nicht geantwortet", sagt Politi.

Überschattet werden die Jahre dieses Pontifikats von dem Missbrauchsskandal. Pädophile Priester und Ordensleute haben sich über Jahrzehnte an Schutzbefohlenen vergriffen. Papst Benedikt XVI. hat diese Verbrechen und vor allem kirchliche Vertuschungsversuche klar verurteilt, dennoch findet Politi das Krisenmanagement des Papstes unzureichend. "Da kann es nicht nur sein, dass der Papst starke Worte findet. Es muss so sein, dass der Papst eine weltweite Untersuchung beginnen und verordnen muss, um alles ans Licht zu bringen. Und ich glaube, es wäre auch an der Zeit, dass der Vatikan seine Archive öffnen muss, um zu zeigen, wie viele Fälle versteckt worden sind."

Pontifikat der verpassten Möglichkeiten?

Für Politi ist es ein Pontifikat der verpassten Möglichkeiten. In seinem Buch zählt er all die Chancen auf, die dieser Papst nicht nutzte. Eine Kurienreform zum Beispiel. Der Vatikan werde immer noch geführt wie ein Hofstaat.

Anders als sein Vorgänger Johannes Paul II. verzichte Benedikt weitgehend auf geopolitische Einflussnahme: "Es hat jetzt schon ein ganzes Jahr den arabischen Frühling gegeben. Das ist das größte Phänomen nach dem Fall des Kommunismus. Und da hat der Papst in diesen zwölf Monaten nicht eine wichtige Rede dazu gehalten, obwohl die ganze arabische Welt gegenüber vom Fenster des Vatikan ist."

Politi-Kritiker: "Dieses Buch enttäuscht"

Solch massive Kritik am Papst und seiner Amtsführung kennt man Italien sonst nur von ausländischen Beobachtern, vor allem aus Deutschland, Frankreich oder den USA. Auf das vernichtende Urteil eines der bedeutendsten Vatikanexperten reagiert man deshalb in Rom besonders sensibel. Der Chefredakteur der Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano", Gian Maria Vian, wirft Politi tendenziösen Journalismus vor. "Dieses Buch enttäuscht vor allem deshalb, weil der Autor über alle Informationen verfügt, um ein komplett anderes Bild zu zeichnen. Die Schablone, die er anlegt, hilft überhaupt nicht um dieses Pontifikat zu verstehen."

Was Politis kritische Auseinandersetzung mit diesem Papst immer wieder versöhnlich erscheinen lässt: Er schätzt den Menschen Joseph Ratzinger sehr. Als einfühlsamen Gesprächspartner und brillanten Theologen. An seiner grundsätzlichen Haltung zu Papst Benedikt XVI. ändert das allerdings nichts. Der erste Satz dieses Buches gibt die Richtung vor: "Joseph Ratzinger hätte nicht Papst werden dürfen."

http://www.tagesschau.de/ausland/papstkritik112.html

Zuletzt geändert am 05­.01.2012