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Veröffentlicht am 03­.09.2007

3.9.2007 - Süddeutsche Zeitung

Der nette Pfarrer von nebenan

„Das Ordinariat hat uns getäuscht”

Wie die Gemeinde Riekofen damit umgeht, dass ihr Priester Ministranten sexuell missbraucht haben soll


Von Matthias Köpf

Riekofen – Die Menschen sitzen in den Bänken und warten. Ein paar Ältere sind schon dagewesen, bevor die Glocke um dreiviertel Sieben zum Vorabendgottesdienst in die Pfarrkirche von Riekofen gerufen hat. Ministrantinnen stehen hinter einer Glastür und tuscheln, die älteren Mädchen mahnen zur Ruhe. Für einen Vorabendgottesdienst ist die Kirche mit 80 Leuten ziemlich voll. Sie alle wissen, dass ihr Pfarrer zwei Tage zuvor wegen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger verhaftet wurde. Jetzt sitzen sie mit ihren Fragen in der Kirche und hoffen, dass sie vom Bischof eine Antwort bekommen. Eine Antwort auf die Frage, wie es dazu kommen konnte.

Dann kommt mit einigen Minuten Verspätung Innocent Nwokenna, ein Theologieprofessor aus Nigeria, der an diesem Samstagabend seinen ersten Gottesdienst in Riekofen feiert. Die neun Messdiener stellen sich vor ihm auf, in der zweiten Reihe gehen zwei Buben, die anderen sind Mädchen. Nwokenna ist schon der zweite Geistliche, den ihnen das Regensburger Ordinariat als Vertreter für Pfarrer Peter K. geschickt hat. Der ist am Donnerstag an einem bislang unbekannten Ort festgenommen worden, weil er sich zwischen 2003 und 2006 an Ministranten vergangen haben soll. In der 800-Seelen-Gemeinde im Landkreis Regensburg haben sie ihren Pfarrer aber schon nicht mehr gesehen, seit vor einem Monat bekannt wurde, dass er vor acht Jahren als Kaplan in Niederbayern zwei Buben missbraucht hatte.

Ins Kino und zum Baden

Der Vater der damaligen Opfer hat vor wenigen Wochen erfahren, dass der im Jahr 2000 zu zwölf Monaten Haft auf Bewährung verurteilte Geistliche 2004 zum Pfarradministrator von Riekofen bestellt worden war, nachdem er als Altenheim-Seelsorger im nahen Sünching schon viele Monate Vertretungsdienst in der verwaisten Pfarrei Riekofen gemacht hatte. Seither hatte dieser Vater E-Mails geschrieben, nach Riekofen, nach Regensburg und an einige Medien in der Umgebung. Die Mails haben sie erst nicht recht glauben wollen in Riekofen, und die Pfarrgemeinderatsvorsitzende Rosmarie Meßner sagt, dass diese Nachrichten „schon auch ein bisschen einen verwirrten Eindruck gemacht” hätten.

Schließlich sind doch einige Mitglieder des Pfarrgemeinderates zusammen mit Bürgermeister Armin Gerl und dem Pfarrer zur Aussprache nach Regensburg ins Ordinariat gefahren. Dort sei von einem einmaligen Fehltritt die Rede gewesen, von abgelaufener Bewährungszeit, erfolgreicher Therapie und positiven Gutachten. Sie haben es geglaubt, weil sie ihren Pfarrer „sehr, sehr gern gehabt haben”, sagt Rosmarie Meßner einen Monat später. Und egal ob Trauung, Beerdigung oder ein gewöhnlicher Sonntag: Er sei ein hervorragender Pfarrer gewesen, da sind sich die Riekofener einig. Am 8. August organisierten sie einen Vortrag für die Eltern der Ministranten mit einer Psychologin, die sich an einem weiteren Nachmittag auch noch mit den Buben zusammensetzte. Der 39 Jahre alte Pfarrer soll Anfang August schon auf der Intensivstation eines Regensburger Krankenhauses gelegen sein, ehe er verschwand. Dann kamen die Spezialisten von der Kriminalpolizei für einige Tage nach Riekofen und befragten die Buben.

An den Mädchen soll K. immer ein bisschen weniger Interesse gezeigt haben als an den männlichen Ministranten. Mit denen ist der Pfarrer auch gern privat zum Baden gefahren oder ins Kino nach Regensburg. Zur Belohnung, heißt es. Bei den gemeinsamen Busausflügen nach Hamburg oder in den Freizeitpark nach Rust seien immer Eltern dabeigewesen, betont Meßner, aber keineswegs aus Misstrauen. Zusammen mit der Nachbargemeinde Schönach wohnen gut 2000 Leute im Sprengel des Riekofener Pfarrers, insgesamt gibt es 80 Ministranten.

Jüngere Eltern, die ihren Namen lieber nicht nennen wollen, sprechen von anderen Freizeitaktivitäten des Pfarrers und seiner Lieblings-Ministranten. Zuletzt habe es ein bisschen Ärger gegeben, weil der Pfarrer einzelnen Buben im Keller des Pfarrhauses häufiger Rotwein verabreicht und mit ihnen Wasserpfeife geraucht habe. Einmal zur Rede gestellt habe er zwar Besserung gelobt, viel geändert habe sich aber nicht. Aber sexueller Missbrauch? „Wir hätten es sicher anders eingeordnet, wenn das Ordinariat uns was erzählt hätte”, sagt eine Mutter.

Auch Rosmarie Meßner sieht „einen großen Teil der Schuld beim Ordinariat” in Regensburg. Bischof Gerhard Ludwig Müller hätte keinen verurteilten Päderasten in ihre Pfarrei schicken dürfen, sagen Meßner und Bürgermeister Armin Gerl. „Regelrecht getäuscht hat uns das Ordinariat”, legt Gerl nach. Generalvikar Michael Fuchs hätte ein Auge auf den Pfarrer haben müssen. Sonst erfahre der Bischof, der so viel Wert auf Disziplin lege, ja auch immer alles, was ein Pfarrer tue oder lasse, kritisiert eine junge Frau.

Das Riekofener Pfarrhaus, das die Gemeinde vor zwei Jahren für ihren neuen Pfarrer baute, ist verwaist. Die Wohnung für die Haushälterin blieb auf Wunsch des Pfarrers leer. Innocent Nwokenna wohnt im alten Pfarrhof in Schönach. Er kommt verspätet zur Vorabendmesse, weil er auf das Fax des Bischofs warten musste. Nach der Kommunion faltet der nigerianische Geistliche das zweiseitige Fax aus dem Ordinariat auseinander. Von Betroffenheit und Verständnis für die aufgewühlten Gefühle schreibt der Bischof, von der Christenpflicht, sich vor vorschnellen Verurteilungen zu hüten.

Sigrid Grabmeier von der Laienbewegung „Wir sind Kirche” fordert den Bischof auf, persönlich die Verantwortung für die Fehler des Ordinariats zu übernehmen. Der Vorsitzende der Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, Johannes Heibel, verlangt rechtliche Schritte auch gegen die Kirchenführung. In Riekofen sprechen einige die Gebete für den Pfarrer mit. Für sexuell missbrauchte Kinder wird an diesem Abend nicht gebetet.

Zuletzt geändert am 05­.09.2007