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Veröffentlicht am 12­.05.2006

12. Mai 2006 - Publik-Forum

»Ich habe keine Minute bereut« (Hasenhüttl)

»Ich habe keine Minute bereut«
Der Ökumenische Kirchentag 2003 veränderte sein Leben: Dort folgte er seiner inneren Stimme – und die Kirche strafte ihn dafür hart. Versöhnung ausgeschlossen? Fragen an Gotthold Hasenhüttl


VON BRITTA BAAS UND JOHANNA JÄGER-SOMMER

PUBLIK-FORUM: Herr Professor Hasenhüttl, zum Katholikentag in Saarbrücken, wo Sie leben und gelehrt haben, sind Sie nicht eingeladen. Berührt Sie das?

GOTTHOLD HASENHÜTTL: Ich bin sogar ausdrücklich ausgeladen worden, denn es war ja eine Diskussionsveranstaltung mit mir geplant. Das ist natürlich nicht angenehm. Ich habe das Gefühl, geächtet, ausgeschlossen zu sein. Man will absolut nichts von mir hören. Ich finde es auch unfair, dass man andere Stimmen in der Kirche mit Ausschlussmechanismen mundtot macht.

PUBLIK-FORUM: Das alles wegen einer von Ihnen
geleiteten katholischen Messfeier beim Ökumenischen
Kirchentag 2003, zu der evangelische
Christen eingeladen waren?

HASENHÜTTL: Informanten aus dem Bischöflichen Ordinariat in Trier berichteten mir, dass man nach der Messe gesagt habe: »Jetzt endlich haben wir ihn erwischt!« Das heißt, meine Theologie – vor allem in meinem Buch »Glaube ohne Mythos« – wurde von kirchlichen Autoritäten nicht akzeptiert. Der Bischof hatte mir ja schon vorher geschrieben, ich solle mich zu meinen Büchern äußern und ob ich weiter katholischer Theologe sein wolle. Ich solle Stellung nehmen zu einer negativen Buchbesprechung. Ich habe dem Bischof geantwortet, ich hielte die Besprechung für nicht qualifiziert, er möge bitte mein Buch selber lesen, um dann mit mir darüber zu sprechen.

PUBLIK-FORUM: Hat er seit Ihrer Suspendierung und dem Entzug der Lehrerlaubnis noch einmal mit Ihnen gesprochen?

HASENHÜTTL: Nein, es gibt keinerlei Kontakt. Schon unser erstes Gespräch stand unter dem Motto: »Ich, Bischof Marx, habe keinen Gesprächsbedarf. Sondern Sie haben nur zu unterschreiben, dass Sie bereuen, und fertig! « Das Gleiche spielte sich jetzt auch beim Entzug der Lehrerlaubnis ab: »Sie haben genügend Zeit gehabt. Haben Sie jetzt endlich Ihre Tat bereut? Sonst ist die Sache gelaufen. « Da ist natürlich jedes Gespräch überflüssig, denn von vornherein steht fest: entweder Unterwerfung oder Rauswurf.

PUBLIK-FORUM: Empfinden Sie sich trotz der Suspendierung noch als Priester?

HASENHÜTTL: Ja, ich möchte in meiner Arbeit die Botschaft Jesu weitertragen: die Nächstenliebe, die Solidarität mit den Menschen. Denn da wird Gott erfahrbar unter den Menschen. »Wo die Güte und die Liebe ist, da ist Gott.« Das ist eine ganz entscheidende Aussage von Gott, die einzige, die wir im Neuen Testament haben: Gott ist Liebe, und beides ist identisch.

PUBLIK-FORUM: Was ist das jetzt für ein Gefühl für Sie, Ihre priesterlichen Funktionen nicht mehr ausüben zu dürfen?

HASENHÜTTL: Ich fühle mich ausgeschlossen und abgeschoben. 45 Jahre lang war ich Priester. Und dann sagt plötzlich ein Bischof: »Du darfst keine Messe mehr feiern, du darfst niemanden mehr unterrichten, du darfst nichts mehr.« Das tut weh. Aber es gibt keine Alternative. Ich könnte diesen Widerruf nicht unterschreiben! Ich würde mein ganzes Lebenskonzept, meine Theologie und meine Überzeugung verraten, wenn ich unterschriebe. Gut, wenn wirklich der Scheiterhaufen gebrannt hätte, dann weiß ich nicht, ob ich den Mut der Jeanne d’Arc aufgebracht hätte, gerade weil es psychisch sehr schwierig ist. Trotzdem habe ich keine Minute das bereut, was ich in Berlin gemacht habe, denn evangelische Christen sind nicht Christen zweiter Klasse. Ich finde das absolut richtig, und es war neben meiner Primiz der wichtigste Gottesdienst meines Lebens.

PUBLIK-FORUM: In Westeuropa verlieren die Kirchen immer mehr Mitglieder. Ist diese Abwärtsbewegung aufhaltbar?

HASENHÜTTL: Die Kirche würde bedeutend attraktiver werden, wenn sie das Motto des Saarbrücker Katholikentages »Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht« selbst vor der Welt lebte. Es gibt viele begründete Hinweise, dass in der Kirche sehr wenig Gerechtigkeit herrscht. Das beginnt ja schon da, wenn jemand im kirchlichen Dienst eine Lebensform wählt, die der kirchlichen Institution nicht genehm ist. Wenn eine geschiedene Kindergärtnerin ein zweites Mal heiratet, wird sie entlassen. Und jetzt in Regensburg, wo ein Priester gewagt hat, bei einer ökumenischen Trauung auch dem protestantischen Teil die Kommunion zu reichen – um 600 Euro ist seine Pension gekürzt worden! Das ist ja alles Unrecht der katholischen Kirche, da ist ja kein Recht. Benedikt XVI. hat beim Weltjugendtag gesagt: »Die Kirche ist keine Kirche der Gebote und Verbote, sondern der Liebe« – ja, was kann man denn Schöneres sagen? Ist ja toll, da klatsche ich auch. Aber in Wirklichkeit hat die Kirche nur Verbote und Gebote, und von der Liebe spürt man sehr wenig. Das ist ein leeres Wort. Das ist die Tünche über den Gräbern.

PUBLIK-FORUM: Hat es nicht schon früher, in den 1970er Jahren, einige Unruhe gegeben wegen Ihrer »Kritischen Dogmatik«?

HASENHÜTTL: Richtig. Aber da hat mich Kardinal Ratzinger mit einer positiven Bewertung gerettet, so dass dann kein Bischof eingeschritten ist. Ich hatte wohl ein Gespräch mit Bischof Bernhard Stein von Trier, der gesagt hat, nach der Lektüre meines Buches bekomme er den Eindruck, dass er bisher alles falsch gedacht habe. »Und«, hat er angefügt, »vielleicht haben Sie Recht.« Das fand ich großartig von diesem Bischof, denn damit hat er seinen Standpunkt relativiert und zumindest auch eine andere mögliche Deutung des christlichen Glaubens akzeptiert, die nicht unbedingt linientreu genannt werden muss.

PUBLIK-FORUM: Inzwischen ist die Aufbruchstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils lange umgekippt. Und in der Ökumene setzt man auf Differenz und konfessionelles Profil – obwohl die Kirchen immer noch in Worthülsen von der Motivation zur Ökumene sprechen ...

HASENHÜTTL: Ja. Und 2003, beim Ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin, ging es nun darum, ob man ernst mit der Ökumene machen will oder nicht. Ob man sich nur in Floskeln erschöpft, ohne dass etwas geschieht. Nicht einmal auf einen ökumenischen Gottesdienst am Pfingstmontag einigt man sich, weil es nicht gewollt wird.

PUBLIK-FORUM: Wovor hat die katholische Kirche Angst?

HASENHÜTTL: Vor Machtverlust, das wäre das Schlimmste. Und die Macht lässt sich nur sichern durch Gehorsam.

PUBLIK-FORUM: Sind viele Kirchenregeln und Dogmen nur zur Konstruierung von Macht da – und nicht Ausdruck einer Überzeugung?

HASENHÜTTL: Es ist schwer, zwischen Macht und Überzeugung zu unterscheiden. Viele Bischöfe werden ihren religiösen Machtanspruch mit Überzeugung vertreten. Ich erinnere mich an einen Bischof in Togo, der einen Professor mit der Begründung abgesetzt hatte: »Der Professor hat mich kritisiert. Ich bin von Gott als Bischof eingesetzt worden. Wer mich kritisiert, kritisiert also Gott. Und wer Gott kritisiert, den kann ich doch nicht als Professor akzeptieren.« Die Logik ist ganz klar. Vielleicht geschieht all das sogar im guten Glauben. Nur ist es trotzdem unmenschlich, und mein Kriterium ist auch für den Glauben die Humanität. Wo Glaube unmenschlich wird, ist er nicht zu akzeptieren.

PUBLIK-FORUM: Unmenschlichkeit und Machtstreben sind so virulent in der Kirche. Lässt sich das jemals stoppen?

HASENHÜTTL: Ich sage immer: »Es wäre ein großes Glück für die Kirche, wenn ein Gorbatschow Papst würde. Dann würde sich vieles ändern.«

PUBLIK-FORUM: Also glauben Sie nicht, dass sich die Kirche »von unten« reformieren lässt?

HASENHÜTTL: Doch, wenn das Volk Gottes sich besänne und sagen würde: »Wir haben – nach Thomas von Aquin – einen Glaubenssinn – den instinctus fidei –, und von dem her leben wir. Wir lassen uns nicht durch Herrschaftsmechanismen unseren guten Glauben zerstören.«

PUBLIK-FORUM: Aber das tun schon viele. Trotzdem ändert sich nichts an den Herrschaftsstrukturen. Hilft nur eine Revolution?

HASENHÜTTL: Eine Transformation, würde ich sagen. Die oberen Hierarchen müssten zu dem Bewusstsein kommen, dass sie sich vor den Glaubenden, vor Gottes Volk, ausweisen müssen. Ich bin immer noch optimistisch, trotz allem. Vielleicht würde durchaus auch ein Kirchenaustritt von sehr vielen Leuten etwas bewirken, die sagen: »Wir sind Christen, aber das lassen wir uns so nicht gefallen.«

PUBLIK-FORUM: Bezahlen Sie denn noch Kirchensteuer?

HASENHÜTTL: Ja, ich bezahle noch Kirchensteuer.

PUBLIK-FORUM: Dieser Weg der Transformation ist also nicht der Ihre?

HASENHÜTTL: Das würde meine Trennung von der katholischen Amtskirche bedeuten. In meiner jetzigen Situation würde ich es den Hierarchen zu leicht machen. Sie müssten sich dann nicht mehr mit meiner Kritik auseinander setzen.

PUBLIK-FORUM: Sie haben in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit theologische Mythen offen gelegt und bekämpft. Doch der Mythos trägt Religion seit Jahrtausenden ...

HASENHÜTTL: Mythos ist ein zweideutiger Begriff. Zum einen hat er – bildlich und eindrucksvoll – eine bedeutende Funktion. Zum Beispiel geht jemand durch die Wand, bei verschlossenen Türen. Das gibt es schon in der griechischen Mythologie, Athene macht das immer wieder. Das ist ein starkes Bild, das bedeutet: Da ist jemand, der sich durch Mauern nicht aufhalten lässt. Ähnliche Bilder gibt es im Neuen Testament. Da kann auch keine Mauer die Frohe Botschaft, die durch Jesus Christus in die Welt kommt, aufhalten. Großartig! Wenn man erkennt, dass der Mythos eine symbolische Ausdrucksweise ist, die bildhaft etwas festhält, was für die menschliche Existenz wichtig ist, dann ist er unersetzlich. Da will ich auch nichts entmythologisieren, sondern fragen: »Was ist darin ausgedrückt, das menschliches Leben ermöglicht, erleichtert und sinnvoll macht?« Wenn ich aber das Symbol mit dem Symbolisierten identifiziere, indem ich es wörtlich nehme, dann wird alles pervertiert. Und dann muss man an sehr merkwürdige Dinge glauben, die ein moderner Mensch so nicht nachvollziehen kann.

PUBLIK-FORUM: Heißt das, dass der Mythos ein bedeutendes Machtmoment ist?

HASENHÜTTL: Ja, natürlich, weil ich dann sagen kann: »Glaubst du an die physische Jungfrauengeburt? Wenn du das nicht glaubst, wirst du aus der Kirche ausgeschlossen. « In dem Augenblick, in dem ich etwas habe, worauf ich Menschen verpflichten kann, habe ich ein Mittel zur Erhaltung des Systems.

PUBLIK-FORUM: Aber der Mythos dient nicht nur zur Erhaltung von Macht. Er wird heute wieder von vielen Menschen differenziert verstanden – und als wichtiger Teil persönlicher Religiosität gesehen. Auf jeden Fall wird er viel mehr akzeptiert als jede Theologie!

HASENHÜTTL: Das hat sehr viel für sich, was Sie da sagen. Aber: Menschen haben auch immer wieder die Neigung, sich autoritär führen zu lassen, weil sie Angst vor der Freiheit haben. Und auch da spielt der Mythos eine wichtige Rolle! Denken Sie nur an den Weltjugendtag in Köln! Da sind begeisterte Menschen zusammengeströmt, weil ein Mythos real zu erleben war – weil er als Idol gefeiert werden konnte. Was »Bild« damals geschrieben hat: »Wir sind Papst!«, ist ja die typische mythische Aussage schlechthin.

PUBLIK-FORUM: Der Papst wirkt, weil er ein Pop-Idol ist – die Theologie nicht. Wer kauft heute noch theologische Bücher?

HASENHÜTTL: Kaum jemand. Denn den einen ist die Kirche heute egal, und die anderen wollen Katechismen, klare Linien, an die sie sich halten können. Der kritische Theologe kann ja nur an den Glaubensverstand der Menschen appellieren, und das ist schwer.

PUBLIK-FORUM: Vielleicht liegt heute die Faszination viel mehr in der Authentizität eines Menschen – weniger in fordernder Reflexion über konfliktträchtige Inhalte?

HASENHÜTTL: Das ist gut möglich. Eugen Drewermann und Hans Küng haben ja sehr viel Erfolg gehabt mit ihren Büchern – weil sie etwas getroffen haben, was den Menschen unter die Haut geht. Aber es ist ungeheuer schwer, als Einzelner etwas zu bewirken. Manchmal denke ich, dass die kritische Theologie, die mein ganzes Leben geprägt hat, viel weniger bewirkt hat als diese eine Messe, die ich beim Ökumenischen Kirchentag gefeiert habe. Andererseits denke ich aber auch: Es sind doch sehr viele Religionslehrer von mir ausgebildet worden, die eine wirklich befreiende Theologie weitertragen können. Und ich weiß von vielen Schülern, die sagen: »Ja, eine so verstandene Religion kann ich akzeptieren. Die gibt mir eine Lebensmöglichkeit, die erweitert mein Dasein und beengt mich nicht.« Und all das war mir auch bei meinen Studenten wichtig. Ich wollte nie irgendetwas Besonderes sein, sondern einfach Menschen helfen, sich menschlich zu entfalten. Sie sollten eine Frohe Botschaft bekommen und nicht unglücklich werden. Wie Jesus sagt: »Das Gesetz ist für den Menschen da und nicht der Mensch für das Gesetz. « Darum bin ich Priester geworden.

Zuletzt geändert am 14­.05.2006