| |
Veröffentlicht am 15­.04.2006

15. April 2006 - Frankfurter Rundschau / www.fr-aktuell.de

Die Kirche tritt auf der Stelle

Jesus hat nicht gesagt, er sei der Standpunkt, sondern er sei der Weg. Den Papst scheint das kaum zu beeindrucken, denn theologisch bewegt er sich nicht. Ein Analyse des ersten Amtsjahrs von Benedikt XVI.

VON NORBERT SCHOLL

Am 19. April 2005 wurde Joseph Ratzinger zum Papst gewählt. Zwar sind die Befürchtungen vieler Katholikinnen und Katholiken nicht eingetroffen, dass er als Papst eine ähnlich harte und rigorose Linie verfolgen würde, wie sie seine 23-jährige Tätigkeit als Präfekt der Glaubenskongregation gekennzeichnet hatte. Durch seine zurückhaltende Art und durch sein freundlich-bescheidenes Auftreten hat Benedikt XVI. zahllose Freunde und Sympathisanten gewonnen. Sein medial glänzend zubereitetes Auftreten beim Weltjugendtag fand nicht nur bei den teilnehmenden Jugendlichen, sondern auch bei den Zuschauern am Fernseher eine positive Resonanz. Auch seine vor kurzem veröffentlichte Enzyklika "Deus caritas est" stieß auf große Zustimmung.

Bei genauerem Hinsehen lässt sich allerdings feststellen, dass sich die Bilanz seiner Regierungszeit gar nicht so positiv ausnimmt wie es vielfach hingestellt wird.

Ich möchte das an einigen Beispielen erläutern:

- Benedikt wird als glänzender Theologe bezeichnet. Das trifft in gewisser Hinsicht sicher zu. Wer freilich diese Theologie etwas näher unter die Lupe nimmt, muss erkennen, dass seine Theologie geprägt ist von der platonischen Philosophie, von der altkirchlich-patristischen und der früh- und hochmittelalterlichen Theologie. In dem von ihm am 28. Juni 2005 herausgegebenen "Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche" wird das besonders deutlich. Der Papst sieht in ihm "ein Werkzeug von maßgebender Bedeutung", das sich an alle Menschen richtet, "die inmitten einer zerstreuten Welt mit vielfältigen Botschaften den Weg des Lebens kennen lernen möchten" und "das den Menschen - ob sie gläubig sind oder nicht - ermöglicht, in einer Gesamtschau das ganze Panorama des katholischen Glaubens zu überblicken" (Vorwort). Ob das durch dieses Buch mit seinen 598 Fragen und Antworten gelingen kann, darf bezweifelt werden.

Nur zwei Beispiele sollen das belegen: Um die Frage zu beantworten, in welchem Sinn Maria "allzeit Jungfrau" sei, zitiert der Katechismus einzig und allein den Kirchenvater Augustinus (geboren 430): "In dem Sinn, dass sie ‚Jungfrau geblieben ist, als sie ihren Sohn empfing, Jungfrau, als sie ihn gebar, Jungfrau, als sie ihn trug, Jungfrau, als sie ihn an der Brust nährte, allzeit Jungfrau". (Frage 99). Die Frage "Was bedeutet die Himmelfahrt?" wird wie folgt beantwortet: "Als vierzig Tage vergangen waren, seit Christus den Aposteln unter der Gestalt einer gewöhnlichen Menschennatur, die seine Herrlichkeit als Auferstandener verhüllte, erschienen war, fährt er in den Himmel auf und setzt sich zur Rechten des Vaters…" (Frage 132).

-Der Papst orientiert sich vornehmlich an der johanneischen Theologie und an einer "Christologie von oben". "Der historische Jesus scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren", sagt der Theologe Hermann Häring. So sprach Benedikt bei seiner Predigt zum Weltjugendtag von den "drei heiligen Königen", obwohl im Matthäusevangelium weder von "drei" noch von "Königen" die Rede ist. Der Papst findet keinen richtigen Zugang zu den Methoden der historisch-kritischen Exegese. Und wenn er sie kennt (was anzunehmen ist), dann ignoriert er sie. Das wird nur allzu deutlich, wenn man die Verwendung der Bibel im "Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche" betrachtet (z.B. Frage 110: "In der Verklärung (Jesu) erscheint die Dreifaltigkeit … Indem Jesus mit Mose und Elija über sein ‚Ende' spricht, zeigt er, dass seine Herrlichkeit den Weg über das Kreuz nimmt…"). Die gesicherten Erkenntnisse der neueren Exegese bleiben unberücksichtigt. Was ganze Generationen von Exegeten erarbeitet haben, findet keine Beachtung.

Neuere Exegese ausgeblendet

-Auch die viel gelobte Enzyklika "Deus caritas est" bewegt sich keineswegs auf dem neuesten Stand der Gesellschaftslehre und der politischen Wissenschaft. So erkennt der renommierte Frankfurter Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, ein Jesuit, in ihr ein "vorplurales und vormodernes Politikverständnis". Für den Papst sei nur der Staat, nicht aber die Zivilgesellschaft Träger der Politik. Die zeitgemäßen Anstrengungen, den in der Enzyklika häufig verwendeten Begriff "Gerechtigkeit" inhaltlich aufzufüllen, würden nicht wahrgenommen. Und Dietmar Mieth, Professor für theologische Ethik an der Universität Tübingen, bemerkt, dass eine "Analyse des kapitalistischen Liberalismus und seiner zerstörerischen Kräfte" fehle. "Man kann von einer Enzyklika über Gott als Liebe unter den Menschen nicht alles erwarten. Dennoch kann man hier den Geschmack der Einseitigkeit, ja Oberflächlichkeit nicht loswerden." Wie sich die Forderung des Papstes, dass jede "gerechte Staatsordnung … den Dienst der Liebe" praktizieren müsse (Nr. 28b), mit der im Kompendium des Katechismus noch immer nicht geächteten Todesstrafe vereinbaren lässt, bleibt ein Rätsel. Im Katechismus heißt es nämlich, dass es noch immer "Fälle" gibt, "in denen die Todesstrafe absolut notwendig ist", allerdings seien die "schon sehr selten und praktisch überhaupt nicht mehr gegeben" (Frage 469).

- Eine der wenigen kirchenpolitischen Maßnahmen des Papstes war die Ernennung neuer Kardinäle. Unter ihnen ist der Erzbischof von Bologna, Carlo Caffarra. Als Leiter des Päpstlichen Familieninstituts hatte er 1988 die Empfängnisverhütung mit einem Mord verglichen: "Wer Verhütungsmittel benutzt, will nicht, dass neues Leben entsteht, weil er ein solches Leben als ,Übel' betrachtet. Das ist dieselbe Einstellung, wie die eines Mörders, der es als ,Übel' ansieht, dass sein Opfer existiert." Am 2. Februar 1989 richteten 34 Münchener Landtagsabgeordnete der CSU deswegen einen Beschwerdebrief an den Vorgänger von Benedikt XVI., Papst Johannes Paul II.. In einem längeren Briefwechsel zwischen den bayerischen Landtagsabgeordneten und Kardinal Ratzinger hat dieser sich entschieden hinter Caffarra gestellt. So betonte er, Caffarra habe das "nie gesagt", weil er es "nie gedacht habe und nie gedacht, weil es falsch ist". Dieser Aussage steht die Tatsache gegenüber, dass Caffarra seine umstrittenen Aussagen in Italien nie dementiert hat.

-Auf der Weltbischofssynode im Oktober 2005 zum Thema "Eucharistie" war - im Vergleich zu den Synoden unter Papst Johannes Paul II. - eine größere Offenheit im Diskussionsstil zu beobachten. Abweichende Meinungen durften - anders als früher - artikuliert werden. So auch die Frage, ob nicht "viri probati" (verheiratete, bewährte Männer) die Priesterweihe empfangen könnten, um dem weltweit zu beobachtenden Priestermangel entgegen zu wirken. Eine größere Anzahl von Bischöfen sprach sich dafür aus. Bis heute hat Benedikt XVI. darauf nicht reagiert. Das gilt auch für andere angesprochene Probleme - wie Lockerung der Zölibatspflicht für Priester und Zulassung wiederverheirateter Geschiedener und nicht-katholischer "Brüder und Schwestern" zur vollen Teilnahme an der Eucharistie.

Es bleibt festzustellen, dass Benedikt XVI. nicht den Mut gefunden hat, den drückenden Reformstau wenigstens behutsam aufzuarbeiten. Die Kirche unter der Führung Benedikt XVI. tritt auf der Stelle. Jesus hat aber nicht gesagt: "Ich bin der Standpunkt", sondern: "Ich bin der Weg" (K. Marti).

Der Autor Norbert Scholl war von 1969 bis 1996 Professor für Katholische Theologie und Religionspädagogik in Heidelberg. Er hat zahlreiche Veröffentlichtungen zu Themen des Glaubens und der Glaubensvermittlung geschrieben: u.a "Die großen Themen des christlichen Glaubens", Darmstadt 2002; "Die Bibel verstehen", Darmstadt 2004, "Das Geheimnis der Drei. Kleine Kulturgeschichte der Trinität", Darmstadt (2005). ber

URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/standpunkte/?cnt=847731

Zuletzt geändert am 09­.05.2006