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Veröffentlicht am 05­.02.2008

5.2.2008 - Die Tagespost

Angekommen, angenommen: „Pack mas!“

München: Erzbischof Reinhard Marx feierlich in sein neues Amt eingeführt – „Verkündigung des Evangelium gehört in die Mitte der Gesellschaft“

Von Markus Reder

München (DT) Wie schnell kann ein Westfale Bayer werden? Die Frage schwebte am Samstag über der Amtseinführung von Reinhard Marx wie die weißen Wolken am immerhin kurzzeitig blauen Münchner Himmel. Die Antwort fand sich rasch. Gestern stand sie in den Zeitungen. Die „Süddeutsche“ titelte „Fast schon ein echter Bayer“. Die „Frankfurter Allgemeine“ ging noch einen Schritt weiter. Dort hieß es: „Kein Zweifel: Sollte Marx zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz gewählt werden, werden die Bayern – Katholiken und Lutheraner – zutiefst überzeugt sein, dass es natürlich nur einer von ihnen werden konnte.“ Schneller kann Inkulturation kaum funktionieren. Marx und München: Das scheint zu passen.

Nun ist es gewiss ungemein wichtig Land, Leute und Lebensart zu verstehen und lieben zu lernen. Doch die eigentliche Herausforderung für einen Münchner Erzbischof besteht wohl weder darin, sich auf der Wiesn zu behaupten (wenngleich das sicher hilfreich sein kann) noch Jodeln zu lernen. Entscheidend kommt es darauf an, mit Freude und Kraft das Evangelium zu verkünden und der viel zitierten „Liberalitas bavariae“, die auch in der Kirche mitunter merkwürdige Urständ feiert, unverkrampft und klar, die Lust am Katholischen entgegenzusetzen.

Dass Reinhard Marx dazu in der Lage ist, hat er am vergangenen Samstag eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Sympathisch, schlagfertig und humorvoll, gewann er die Herzen der Gläubigen und beeindruckte auch kirchenferne Geister. Ein neuer Offensiv-Stil hält Einzug in München, stellten Journalisten einhellig fest. Und nicht nur sie müssen sich daran gewöhnen. „Der Neue“ sei ein „Pfunds-Kerl“, meinte ein sichtlich beeindruckter Besucher des Festgottesdienstes. Nur nördlich des Mains muss man wohl erklären, dass dies im Süden als denkbar größtes Kompliment gilt. „Wenn er frei spricht, das ist stark. Da spürt man sein Charisma“, meint ein Journalist, der für einen amerikanischen Hörfunksender über die Feiern in München berichtet. Dass sich auch Katholiken in den USA für den neuen Erzbischof interessieren, liege am deutschen Papst, erklärt er. Schließlich werde ja dessen früherer Bischofsstuhl neu besetzt. Das habe besondere Bedeutung.

„Christus ist die wahre Aufklärung für die ganze Welt“

Die Feierlichkeiten, die am Samstag ihren Höhepunkt fanden, hatten bereits in der Vorwochen mit der Einholung des neuen Erzbischofs begonnen. Und wo immer Marx auftrat und sprach, gab es Beifall, ja Begeisterung. Es ist der neue Erzbischof selbst, der in seiner ersten Predigt im Liebfrauendom die Dinge ein wenig zurechtrückt: Die Kirche feiere nicht sich selbst und auch nicht die Person des Bischofs. „Das wäre ein grandioses Missverständnis!“, betont er. „Die Kirche versteht sich als Zeichen und Werkzeug, als Instrument, damit den Menschen geholfen wird, Gott zu suchen und zu finden. Der neue Bischof ist nicht die Botschaft dieser Tage, er ist Zeuge für die Frohe Botschaft, das Evangelium Gottes, das im Leben und Wirken Jesu von Nazareth sichtbar geworden ist.“ Als Bischof freue er sich, dass in der modernen Gesellschaft Religion und Glaube wieder stärker präsent seien, sagt Marx. „Religion verschwindet nicht, sie bleibt auch in der modernen Gesellschaft präsent, die religiösen Fragen und Auseinandersetzungen finden weiterhin, ja verstärkt großes Interesse. Das zeigt sich bis in die Einschaltquoten der Medien und die Bestsellerlisten der Buchhandlungen hinein“, sagte Marx. Allerdings sei das Suchen und Fragen der Menschen vielfältiger geworden. Deshalb sei es drängendste Aufgabe der Kirche, den Menschen die Begegnung mit dem menschgewordenen Gott zu ermöglichen. Diese Begegnung sei weder Selbsttäuschung noch Illusion, wie „der alte, der andere Marx gemeint hat“, sondern der Weg zum Leben und echter Freiheit. „Christus ist Gottes Licht und die wahre Aufklärung für die ganze Welt“, betonte Marx. Weil aber die Verkündigung des Evangeliums in die Mitte der Gesellschaft gehöre, müssten sich Bischof und Kirche auch „politisch und gesellschaftlich einmischen“.

Zu Beginn des Gottesdienstes im voll besetzten Münchner Dom hatte ihm sein Vorgänger Kardinal Friedrich Wetter, den Bischofsstab überreicht. Dann begleiteten Wetter und der Apostolische Nuntius, Erzbischof Jean-Claude Perisset, Marx zur Kathedra. Dieser nahm erstmals auf dem Bischofsstuhl Platz und ergriff somit Besitz vom Erzbistum. Am Ende der feierliche Liturgie, an der mehr als fünfzig Bischöfe teilnahmen – darunter die Kardinäle Wetter, Lehmann, Meisner und aus Österreich Kardinal Schönborn, dankte Marx allen, die zum Gelingen der Feier beigetragen haben und stellte sein Wirken unter den besonderen Schutz der Gottesmutter und des Heiligen Korbinian. In besonderer Weise vertraue er sich „dem Diener Gottes Johannes Paul II.“ an, sagte Marx. „An seinem Grab habe ich gebetet, Er hat mich zum Bischof ernannt und später nach Trier geschickt. Sein Nachfolger Papst Benedikt hat mich nun hierher gerufen.“

Nach einem dreifachen Ehrensalut der Gebirgsschützen im Anschluss an den Gottesdienst bewegte sich ein Festzug durch die Straßen der bayerischen Landeshauptstadt zur Münchner Residenz. Vorne die stolzen Banner und Standarten von Schützenabordnungen aus dem Freistaat und aus Geseke, der Heimat des neuen Erzbischofs, hinten ein paar Transparente von „Wir sind Kirche“. Dazwischen Prominenz aus Kirche und Politik und immer wieder Beifall von den Straßenseiten für den neuen Erzbischof, der herzlich die ihm entgegengestreckten Hände schüttelte. Im Herkulessaal der Münchner Residenz erwartete die Gäste dann ein Festakt im XXL-Format. Musik – mal bayerisch, mal klassisch – Filmsequenzen über das Erzbistum, Talk-Einlagen und Grußworte wechselten sich bis weit in den Nachmittag hinein ab.

Auch dahin gehen, wo die Touristen nicht hinschauen

Bayerns Ministerpräsident Günter Beckstein hieß den neuen Erzbischof willkommen. „Sie sind ein bodenständiger Mensch und wissen den Wert von Heimat zu schätzen. Das macht sie fast schon zu einem echten Bayern.“ Staat und Kirche müssten vertrauensvoll zusammenarbeiten, daher wolle er mit Marx einen konstruktiven Kontakt pflegen, versprach der Protestant Beckstein. Der evangelisch-lutherische Landesbischof Johannes Friedrich nannte den 2010 in München stattfindenden 2. Ökumenischen Kirchentag eine missionarische Chance für beide Kirchen. Eine zerstrittene Christenheit gebe kein glaubwürdiges Zeugnis ab. Es müsse deutlich werden, dass Katholiken und Protestanten in vielen Einzelfragen übereinstimmten und bei dem, was sie trenne, ehrlich um Überwindung bestrebt seien. Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) stellte einmal mehr sein kabarettistisches Talent unter Beweis, als er zu fortgeschrittener Nachmittagsstunde sagte: „Die letzte Form der Christenverfolgung die es in Bayern noch gebe, seien Grußworte bei christlichen Veranstaltungen.“ Ude dankte der Kirche für ihren Beitrag zum sozialen Frieden in der Stadt. Ohne deren Mitwirkung wäre das soziale Klima kälter. Dem neuen Erzbischof schenkte er einen gemeinsamen Spaziergang durch München. Marx nahm dankend an, ließ aber wissen, es sei ihm ein Anliegen, dann auch dahin zu gehen, wo die Touristen nicht hinschauen. Der Vorsitzende des Diözesanrats, Alois Baumgartner, sicherte Marx zu, die Ehrenamtlichen werden ihn bei der von ihm ausgerufenen „Evangelisierung“ helfen. An das Wort habe man sich auch im katholischen Bayern gewöhnt, es aber in seinen Konsequenzen noch nicht realisiert.

Als gegen Ende des Festaktes Filmsequenzen aus seiner westfälischen Heimat gezeigt wurden, trat ein sichtlich bewegter Erzbischof ans Mikrofon, bedankte sich bei allen Beteiligten, die mitgeholfen hätten, ihm den Einstieg zu erleichtern. Allen, die den Dialog suchten, bot er das Gespräch an. Als erste Personalentscheidung bestätigte er den langjährigen Generalvikar Robert Simon und Offizial Lorenz Wolf in ihren Ämtern. Mit einem bayerischen „Pack mas“ beschließt er schwungvoll den Festakt und erntet Lacher und Applaus. Noch einmal wird deutlich: Da ist einer angekommen in München und die Gläubigen haben ihren neuen Erzbischof herzlich aufgenommen. Dass eine Herkulesaufgabe vor ihm liegt, daran erinnert in dieser Stunde zumindest der gleichnamige Saal in der Residenz. Wie hatte Marx doch gesagt: Die großen Feste und Feiern der Kirche seien auch dazu da, um Kraft zu tanken. Er wird sie brauchen können.

Zuletzt geändert am 05­.02.2008