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Veröffentlicht am 02­.02.2008

Februar 2008 - Stimmen der Zeit

Kirchlicher Reformstau

In den letzten Jahren des Pontifikats von Papst Johannes Paul II. sprach ein römischer Kurienkardinal mit Blick auf notwendige innerkirchliche Reformen von einer Situation des Stillstands. Damit war indirekt die Erwartung ausgedrückt, daß ein neuer Papst neue Bewegung in die Kirche bringen würde. Doch die Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zu Papst Benedikt XVI. dämpfte zunächst einmal diese Erwartungen. Hatte er doch als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre wesentlich mitgewirkt an der innerkirchlich restriktiven Linie Johannes Pauls II. Deshalb erregte es freudige Überraschung, wie der neue Papst jetzt nicht Grenzen und Verbote betonte, sondern das Positive des christlichen Glaubens ins Licht rückte. Einige Optimisten kalkulierten sogar, daß Benedikt in einer besonders günstigen Position für kirchliche Reformen sei, da er ja als eher „konservativ“ gelte und ihm dann auch die Gegner von Veränderungen die Gefolgschaft nicht verweigern könnten.

In den ersten Pontifikatsmonaten kursierten Gerüchte, es solle bald größere Überraschungen und Veränderungen geben: etwa in der Frage der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten oder einer großen Reform der römischen Kurie. Auch von einer Aufwertung der Rolle der Frauen in der Kirche war die Rede.

Der neue Papst hat erstaunlich schnell seinen eigenen Stil in der Ausübung des Petrusamtes gefunden. Nach dem extrovertierten Johannes Paul II. wirkt Benedikt XVI. eher wie ein Mönch auf dem Stuhl Petri. Er ist kein Mann der großen Gesten, sondern der besonnenen und gelehrten Worte. Er vermag die Menschen anzusprechen. Die Zahl der Teilnehmer an den Generalaudienzen und Angelusgebeten ist sogar gestiegen. Auch aus seinen beiden ersten Enzykliken spricht ein neuer Ton. Sie sind nicht in erster Linie Lehrschreiben, sondern Katechesen und Meditationen über Kerngehalte des christlichen Glaubens, allerdings auch mit der Folge, daß sie an manchen Stellen sehr persönlich geprägt sind. Positiv zu verbuchen sind die Bischofsernennungen, zumindest wenn man die Dinge von Deutschland aus sieht. Hier haben sich manche Befürchtungen nicht bestätigt.

Die Auslandsreisen sind im Vergleich mit Johannes Paul II. weniger geworden. Die erste führte Benedikt XVI. im Mai 2006 als Verneigung vor der Nation seines Vorgängers nach Polen. Bewegend war hier vor allem der Besuch des deutschen Papstes im Vernichtungslager Auschwitz. Nach einer kurzen Visite in Spanien im Juli zum Abschluß des 5. Weltfamilientreffens folgte der Heimatbesuch in Bayern im September 2006, von dem besonders seine Regensburger Rede mit dem umstrittenen Zitat zu Mohammed in Erinnerung geblieben ist. Auf seiner Türkeireise gelang es ihm einige Wochen später, die Wogen in der Beziehung zwischen Islam und katholischer Kirche wieder zu glätten. Im Mai 2007 flog Benedikt XVI. dann zum ersten Mal über den Atlantik nach Brasilien in das Land mit den meisten Katholiken weltweit. Der Papst vermochte die Lateinamerikaner zu begeistern, doch die erwarteten großen Mengen bei den Gottesdiensten blieben aus. Sehr eurozentrisch war seine Darstellung der Evangelisierung Lateinamerikas, die er kurz darauf bei einer Mittwochsaudienz in Rom korrigierte.

Einen Einschnitt markierte die erste Lehrverurteilung, die unter Benedikt XVI. im März 2007 gegen den salvadorianischen Befreiungstheologen Jon Sobrino SJ ausgesprochen wurde. Nicht ganz aus der Luft gegriffen wurde die Frage gestellt, ob Benedikt XVI. jetzt den Kampf des früheren Präfekten der Glaubenskongregation gegen die Befreiungstheologie mit päpstlicher Autorität weiterführen würde. Immerhin blieben Sanktionen wie ein Lehr- oder Schreibverbot, die Erzbischof Fernando Sáenz Lacalle von San Salvador vorschnell ankündigte, aus. Doch auch weitere Verlautbarungen und Entscheidungen wirkten rückwärtsgewandt: die schroffe Erklärung der Glaubenskongregation vom 29. Juni 2007, die den evangelischen Kirchen das Kirchesein im eigentlichen Sinn absprach; die Wiedereinführung der alten Messe, die als Zugeständnis an traditionalistische Kreise verstanden wurde. Sollten dann aber im Sinn des Dienstes an der Einheit nicht auch Zeichen in die andere Richtung gesetzt werden? Die stille Auswanderung vor allem vieler Frauen aus der Kirche müßte doch mindestens ebenso ernst genommen werden wie die schismatische Abspaltung der Anhänger des früheren Erzbischofs Marcel Lefebvre.

Aufhorchen im Blick auf den innerkirchlichen Reformstau läßt das neue Buch des Wiener Weihbischofs Helmut Krätzl mit „12 Essays zu scheinbar unlösbaren Kirchenproblemen“. Dazu zählen für ihn die Frage der Zulassung zum Priesteramt angesichts der immer weiter wachsenden Zahl von priesterlosen Gemeinden; der Status der Bischofskonferenzen als eine Zwischeninstanz zwischen dem Papst, der römischen Kurie und den einzelnen Bischöfen; eine neue Balance im Verhältnis von Universalkirche und Ortskirchen; eine Neudefinition der Rolle der Frauen in der Kirche. Mit Blick auf die Liturgie unterstreicht Krätzl den engen Zusammenhang zwischen der Erneuerung der Liturgie und der Erneuerung des ganzen Lebens der Kirche. Von daher könne ein Zurück zur alten Liturgie symptomatisch sein für den gesamten Erneuerungsprozeß der Kirche.

Krätzl ist der Überzeugung, daß man die drängenden Probleme in der Kirche nicht lösen kann, wenn man hinter das Zweite Vatikanische Konzil zurückgeht. Im Gegenteil: Wir müssen „gemeinsam in der Kirche Wege suchen, die im Geist des Konzils in die Zukunft weisen und ehrlich zugeben, daß wir aus Ängstlichkeit noch viel zu wenig Neues wagten, wozu uns die Konzilsväter eigentlich motiviert hatten“. Eine Besinnung auf die wesentlichen Gehalte des christlichen Glaubens kann dringend notwendige kirchliche Strukturreformen nicht ersetzen.

Martin Maier SJ

Zuletzt geändert am 02­.02.2008