| |
Veröffentlicht am 31­.01.2008

31.1.2008 - Süddeutsche Zeitung

Selbstbewusste Herde

Kommentar

Die katholische Kirche begegnet manchmal einem seltsamen Phänomen, und oft genug überschätzt sie es: Wenn der Papst durch Bayern reist oder der neue Erzbischof sein Amt in München antritt, stehen freudige Gläubige Spalier, drängen sie sich in die Kirchen, kommen zahlreiche junge Menschen und feiern eine Art religiöses Happening. Die entchristlichte Gesellschaft, vor der Kirchenobere wie Bischof Marx so eindringlich warnen, scheint plötzlich ganz weit fort zu sein. Die Katholiken bestärkt dies in ihrer Überzeugung: Solange wir erkennbar sind, uns „dem Zeitgeist” nicht beugen, zu unseren Werten stehen, haben wir Erfolg.

Aber Form ist nicht Inhalt und Respekt nicht Zustimmung. München mag konservativer, bewahrender sein als Hamburg oder Berlin: Doch die Welt der Großstadt, die Bischof Marx vorfindet, ist auch hier nicht die, welche sich der Klerus wünscht. Marx, der ja auch als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz gehandelt wird, ist eloquent, gesprächsbereit, gescheit. Aber für eine Öffnung seiner Kirche steht er nicht.

Deren Probleme werden ihm hier deutlich begegnen: Die meisten jungen Menschen holt die Kirche – wie die PR-Manager sagen würden – nicht mehr dort ab, wo sie sind. Nicht zuletzt eine verkrustete Sexualmoral oder die Diskriminierung der Frauen sowie die Verweigerung der Ökumene führen dazu, dass immer weniger Priester zur Verfügung stehen, dass Gemeinden verwaisen, die Kirche vielen fremd wird. Deshalb wird Bischof Marx in München nicht nur treue Schäflein der Herde, sondern auch eine große Zahl selbstbewusster oder gar rebellischer Katholiken vorfinden. Und er, der gern wider „den Geist der Zagheit” predigt, wäre gut beraten, auf das Gespräch zu setzen statt auf die Autorität des Kirchenfürsten.

Joachim Käppner

Zuletzt geändert am 31­.01.2008