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Veröffentlicht am 30­.01.2012

30.1.2012 - Frankfurter Allgemeine

Neues Gotteslob

Das Gebet- und Gesangbuch für den deutschen Sprachraum wird auf die Höhe der Zeit gebracht / Von Daniel Deckers

Die "Feuchtgebiete" oder "Deutschland schafft sich ab" sind gegen das "Gotteslob" nichts - jedenfalls nichts im Vergleich der verkauften Auflage. Seit die katholischen Bischöfe in Deutschland, Österreich sowie in den beiden Bistümern deutscher Sprache in Italien (Bozen-Brixen) und Belgien (Lüttich/Eupen-Malmedy) im Jahr 1975 das erste gemeinsame Gebet- und Gesangbuch für den deutschen Sprachraum herausbrachten, sind mehr als 21 Millionen Exemplare des "Gotteslobes" genannten Buches verkauft worden. Und nicht nur das: Auch wenn die Zahl der Katholiken in Deutschland seit 1990 um annähernd vier Millionen auf etwa 24 Millionen zurückgegangen ist, so dürfte kaum ein Katholik das bewusst damenhandtaschentauglich gestaltete Buch noch nie in der Hand gehabt haben. Ob zur Taufe oder noch häufiger aus Anlass der Erstkommunion: Ein "Gotteslob" zu verschenken hat in Deutschland Tradition.

Doch nicht trotz der immensen Verbreitung, sondern gerade deswegen sind die Tage des alten "Gotteslob" gezählt. Zu grundstürzend sind die Veränderungen auf dem Feld des kirchlichen Lebens wie der persönlichen Frömmigkeit,· als dass sie sich nicht auch in der Liturgie der Kirche wie im Glauben des Einzelnen niederschlagen müssten. Das zwischen Reformeuphorie und Beharrung schwankende Lebensgefühl, das sich vor mehr als einer Generation in der Auswahl an Gebeten, Andachten und Liedern gespiegelt hatte, hat sich mit dem Ende des Milieukatholizismus und der volkskirchlichen Seelsorgstrukturen verflüchtigt. Schon im Herbst 2001 beschlossen die Bischöfe des deutschen Sprachraums daher, ein neues gemeinsames Gebet- und Gesangbuch erarbeiten zu lassen.

Wann das neue "Gotteslob" das alte ersetzen wird, steht jedoch auch nach einer in die Legion gehenden Anzahl von Kommissions-, Unterkommissions- und Arbeitsgruppen-Sitzungen in den Sternen. Immerhin liegt das gemeinsame Corpus von Texten und Gesängen seit dem Herbst vergangenen Jahres in zwei stattlichen Bänden vor. Als Loseblattsammlung wurden der Stammteil sowie die Eigenteile der Bistümer Deutschlands, Österreichs sowie der Diözese Bozen/Brixen gehorsamst nach Rom geschickt. Im Vatikan sollen "monsignori" aus aller Welt gutheißen oder zensieren, was und wie hierzulande gebetet und gesungen werden soll.

Doch römisches Imprimatur hin oder her, das neue Gebet- und Gesangbuch verspricht in jedem Fall um einiges besser zu werden als das "Gotteslob" ,das in der ersten Hälfte der siebziger Jahre Gestalt annahm. Damals fielen dem fortschrittsgläubigen Zeitgeist viele vertraute Lieder zum Opfer, allen voran solche, die in Text und Melodie den Geist der Romantik zu atmen schienen. Jetzt hat man bei der Auswahl der Lieder die Maxime beherzigt, den weltweit einzigartigen Schatz an deutschen Kirchenliedern so der Nachwelt weiterzugeben, dass alle Epochen vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart in repräsentativer Auswahl vertreten sind. Weil aber der Umfang des neuen Gebet- und Gesangbuchs nicht erweitert werden sollte, fand der Liedteil des seit mehr als 35 Jahren in Gebrauch befindlichen "Gotteslobes" nur zu sechzig Prozent Eingang in das neue Werk. Jedoch wurde zum Ausgleich der verstärkten Berücksichtigung der Romantik, aber auch der Aufnahme vieler weltweit verbreiteter lateinischer Gesänge aus der Gemeinschaft von Taizé nicht nur Ballast abgeworfen, der oft der Hektik der Entstehung des "Gotteslobes" geschuldet war. Auch manch ein Choral wie das Adventslied "Mit Ernst o Menschenkinder" dürfte im neuen Gebet- und Gesangbuch fehlen - doch nicht aus einem antiökumenischen Affekt heraus, sondern weil er auch in den vergangenen Jahrzehnten nicht zum katholischen Allgemeingut geworden ist.

Auch in seinem Gebetsteil will das neue "Gotteslob" Versäumnisse der Vergangenheit korrigieren und neuen Entwicklungen Rechnung tragen. Der Textteil des neuen Buches besteht über weite Strecken aus Vorlagen und Anregungen für das persönliche Gebet, für Morgen- und Abendgebete im kleineren oder größeren Kreis und - angesichts der immer spärlicheren Zahl der Geistlichen - aus Anleitungen für Gottesdienste ohne Priester. In einer Hinsicht hat die Probepublikation indes Hoffnungen geweckt, die sich nicht erfüllen sollten: Zunächst hatte es geheißen, die Einführung des neuen Gebet- und Gesangbuchs verzögere sich mindestens so lange, bis die Revision der sogenannten Einheitsübersetzung der Bibel sowie die deutsche Übersetzung der weltweit verbindlichen "editio-typica" des römischen Messbuchs abgeschlossen seien. Mittlerweile hat man die Übersetzung der sogenannten liturgischen Bücher und die Arbeit am neuen Gebet- und Gesangbuch entkoppelt. Denn es ist nicht abzusehen, wann beide Arbeiten in Rom gutgeheißen sein werden.

Gleichwohl ist noch nicht sicher, dass auch der gegenwärtige Zeitplan Bestand hat und das neue "Gotteslob" nach zwölfjähriger Vorarbeit zum Advent 2013 in den Gemeinden eingeführt werden kann Der Plan der Bischöfe steht und fällt mit dem Wohlwollen des Vatikans, denn dieser hat vor zehn Jahren in einem in der Kirchengeschichte beispiellosen Akt die Zuständigkeit für alle Übersetzungen liturgischer und biblischer Texte aus der lateinischen Ur- in die jeweiligen Muttersprachen an sich gezogen. Und selbst wer unter den deutschen Bischöfen es bis heute für ein Unding hält, dass er als Bischof nicht einmal über den Eigenteil seiner Diözese entscheiden kann, der zog es wie üblich vor, sich Rom zu beugen.

Unmittelbar nach dem Erscheinen von "Liturgiam authenticam" im Jahr 2001 nahm die Evangelische Kirche in Deutschland die strikten römischen Vorgaben zum Anlass, sich an der Revision der 1979 gemeinsam erstellten "Einheits übersetzung" der Heiligen Schrift nicht länger zu beteiligen. Vor kurzem erst zog die von dem Kölner Kardinal Meisner geleitete Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz das erst zum 1. Advent 2009 eingeführte Liturgiebuch für die Begräbnisfeier zurück: Der deutsche Text, der in vorauseilendem Gehorsam im Geist von "Liturgiam authenticam" in Deutschland erstellt und in Rom gutgeheißen worden war, hatte sich in der Praxis als weitgehend unbrauchbar erwiesen. Dieses Menetekel hinderte Meisner sowie den Würzburger Bischof Hofmann als Vorsitzenden der Unterkommission Gemeinsames Gebet- und Gesangbuch nicht daran, auf die Vorlage aller Teile des neuen "Gotteslobes" in Rom zu dringen. Denn nur im Spiel über die römische Bande bietet sich die Möglichkeit, als Minderheit in der Bischofskonferenz Mehrheitsbeschlüsse zu torpedieren. Ging es auf diese Weise vor Jahren um Ausstieg oder Verbleib in der gesetzlichen Schwangerenkonfliktberatung, so setzen jetzt einige Bischöfe darauf, dass sich der Vatikan der weiteren Verwendung jener Lieder und Gesänge widersetzt, deren Texte auf den Niederländer Huub Oosterhuis zurückgehen.

Dabei zählen die Oosterhuis-Lieder zu den geistvollsten und schönsten zeitgenössischen Dichtungen, so dass sie aus dem Repertoire der meisten Gemeinden nicht wegzudenken sind. Doch will es manchen nicht gefallen, dass Oosterhuis vor langer Zeit aus dem Jesuitenorden austrat und sein Priesteramt aufgab. Eine Hoffnung hat sich unterdessen schon in Luft aufgelöst: In Rom blieb nicht unbemerkt, dass die aus Deutschland vorgelegten Gesänge ohne Verfassernamen waren. Die fehlen den Angaben mussten umgehend nachgetragen werden.

Zuletzt geändert am 13­.02.2012