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Veröffentlicht am 05­.12.2013

5.12.2013 - Hannoversche Allgemeine Zeitung

„Politik der kleinen Schritte“

Herr Professor Zulehner, was unterscheidet Papst Franziskus von seinen Vorgängern?
Er ist vor allem ein Papst, der den Blick der Kirche wieder nach außen wenden will. Er denkt universell, nicht so sehr in Konfessionen. Das Schicksal der Kirche ist für ihn nicht das wichtigste – er sieht sich als eine Art Pfarrer der ganzen Welt. Unter seinen Amtsvorgängern Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. herrschte ein eher konservativer, ängstlicher Kurs. Franziskus handelt ganz im Geiste des Konzils, er öffnet die Kirche. Das bringt ihm viele Sympathien ein. Dabei sagt er uns auch viele Dinge, die gar nicht angenehm sind – zum Beispiel, wenn er unsere Wirtschaftsordnung anprangert oder das Flüchtlingselend auf Lampedusa eine Schande nennt. Er ist bei alledem ein völlig normaler Mensch, ganz unmittelalterlich.

Der Papst findet viele gute Worte, doch einige Stimmen monieren schon, dass er in seiner bisherigen Amtszeit doch noch gar nichts verändert habe ...
Wer das sagt, ist ahnungslos. Die katholische Kirche ist ein riesiges System, das sich nur mit einem langen Atem verändern lässt. Franziskus hat eine Gruppe von Kardinälen berufen, die nicht aus der Kurie kommen, um Wege zur Reform der Kirche zu finden. Und es gibt ganz klare Signale, dass er auch die beiden größten pastoralen Probleme angeht: den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und den Priestermangel.

Im Vorfeld der Familiensynode, die im kommenden Jahr in Rom stattfinden soll, hat der Vatikan Fragebögen in die Bistümer geschickt, um die Stimmung dort auszuloten.
Dass die Kirche diejenigen befragt, die tatsächlich Erfahrungen mit Ehe und Sexualität haben, ist sensationell, ein fundamentaler Kurswechsel. Sicherlich hat auch Papst Benedikt XVI. schon gesagt, dass die Kirche nicht moralisieren, sondern heilen solle. Aber er war eben eher ein Dogmatiker als ein Seelsorger. Franziskus hat sich schon immer unter Menschen gemischt. Ihn interessiert nicht so sehr, was in klugen Büchern über die Scheidung steht, sondern wie Menschen gut weitergehen können, die unter einer Scheidung leiden. Ich bin mir sicher, dass Franziskus pastorale Vorstellungen mit Blick auf die orthodoxen Kirchen präsentieren wird. Dort ist es möglich, dass geschiedene Menschen nach einer „Heilungszeit“ ein zweites Mal kirchlich heiraten können.

Der Priestermangel hingegen dürfte eher dem Zölibat geschuldet sein, also der Verpflichtung für Priester, unverheiratet zu leben.
Im Moment lassen wir Gemeinden ausbluten, wir verzichten auf Messfeiern – zugunsten der Ehelosigkeit von Priestern. Das ist Unsinn. Wir wissen, dass eine gute Freundin aus Argentinien Franziskus einen Rat gegeben hat: Er solle das Thema Zölibat nicht gleich im ersten Jahr angehen. Ich denke, er wird eine Politik der kleinen Schritte verfolgen.

Interview: Simon Benne

Zuletzt geändert am 05­.12.2013