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Veröffentlicht am 05­.07.2008

5.7.2008 - Süddeutsche Zeitung

Hans Küng: Der Papst und der Präsident

Über die Tugend, im Amt hinzuzulernen: Welche Schlüsse Benedikt XVI. aus dem Scheitern George W. Bushs ziehen sollte

Außenansicht von Hans Küng

Seinen 81. Geburtstag hat Papst Benedikt XVI. mit George W. Bush im Weißen Haus gefeiert! Erstaunlich in der Tat: Der Papst als Botschafter des Friedens und der Wahrheit feierte Seite an Seite mit einem Kriegspräsidenten, der auch nach Auffassung vieler Amerikaner mit Lügen und Propaganda diese große Demokratie in einen mörderischen Krieg ohne ersichtliche Exit-Strategie hineinführte und zugleich eine innenpolitische Krise provozierte. 85 Prozent der Amerikaner sind heute der Überzeugung, dass die USA auf dem falschen Pfad sind. Deshalb die Parole dieses Wahlkampfes: Change – Veränderung, je nach Kandidat mehr oder weniger radikal. Und der Papst? Abgesehen vom späten Schuldeingeständnis für die ungezählten Pädophiliefälle katholischer Kleriker kaum ein Wort für Change in Kirche und Gesellschaft.

Dabei sind George W. Bush und Joseph Ratzinger in Charakter, Bildung und Umgangsformen so verschieden wie ein texanischer Cowboy von einem römischen Prälaten. Der Erste hat aus seiner anti-intellektuellen Einstellung nie ein Hehl gemacht. Seine historischen Kenntnisse sind ebenso beschränkt wie seine geographischen, linguistischen und philosophischen. Seine Weltschau ist einfach gestrickt nach dem manichäischen Muster der Gegensätze von Gut („wir”) und Böse („sie”). Der Zweite hingegen verfügt über die ausgezeichnete klassische Bildung eines Universitätsprofessors alter Schule, hat sich mehrere Sprachen angeeignet, denkt differenziert, spricht geschliffen und handelt besonnen. Er beobachtet seit rund 25 Jahren den Lauf der Dinge in der Welt aufmerksam aus den Fenstern des Vatikan. In seinen Entscheidungen hält er sich an die jahrhundertealten Bräuche der römischen Kurie.

Doch es gibt auch viel Gemeinsames zwischen den beiden: Offensichtlich lieben Präsident wie Papst pompöse Auftritte, sei es auf einem Flugzeugträger oder vor Menschenmassen auf dem Petersplatz. Und anlässlich des Papstbesuchs versuchte der Präsident des angestrebten „American Empire” durch Ehrengarden mit dem imperialen Zeremoniell des Pontifex zu konkurrieren.

Und natürlich teilen der Präsident und der Papst die konservative Einstellung besonders in Sexual- und Familienmoral (Empfängnisverhütung, Abtreibung) sowie eine demonstrative Frömmigkeit, die beim Präsidenten eher fundamentalistisch, beim Papst aber traditionsüberfrachtet erscheint. Und natürlich gedachten beide, mit der bereits durch Besuche des Präsidenten im Vatikan grundgelegten und jetzt der Welt zur Schau gestellten Herzlichkeit in der amerikanischen Öffentlichkeit Punkte zu sammeln.

Nun ist ja der Präsident, der bei seinen Abschiedsbesuchen in den Hauptstädten Europas statt auf feindselige Demonstrationen nur noch auf müde Indifferenz stieß, bereits als lame duck abgeschrieben. Doch unverdrossen wiederholte er sein Gerede von seinem Kampf für Freiheit und Demokratie, für „Security” und Frieden. So demonstrierte er seine eigene Version von „Unfehlbarkeit”. Sie macht unfähig, etwas hinzuzulernen und sieht keinen Anlass zum Eingeständnis irgendeiner Schuld angesichts all des in der Welt angerichteten Unheils.

Der Papst aber ist keine lame duck. Und wenn er auch gemäß neuerer römischer Doktrin noch immer über eine bestimmte „Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittendingen” verfügt, so ist er doch fähig, hinzuzulernen. Durch das mir, seinem Kritiker, in Castel Gandolfo gewährte vierstündige freundschaftliche Gespräch zeigte er sich zu erstaunlichen Schritten der Verständigung fähig. Und seine die muslimische Welt erregenden Regensburger Aussagen über den Islam als Gewaltreligion korrigierte er auf seiner Türkeireise durch einen nicht vorgesehenen Moscheebesuch und eine deutlich ausgedrückte Hochschätzung des Islam.

Erst drei Jahre ist der Papst im Amt. Ob er nicht vielleicht doch, frage ich mich, vom außen- wie innenpolitischen Scheitern des mit hohen Ansprüchen angetretenen Präsidenten lernen könnte? Er, mit hoher Intelligenz und historischer Sensibilität ausgestattet, kann doch die Warnzeichen für die Zukunft seines Pontifikats kaum übersehen. Nur fünf seien kurz angeführt:

1. Mit seiner Wiedereinführung des von Papst Paul VI. abgeschafften Tridentinischen Messritus und seiner Nachgiebigkeit gegenüber Traditionalisten hat er sich im Episkopat und unter Seelsorgern viel Kritik zugezogen.
2. Beim prunkvollen gemeinsamen Auftritt mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus I., in Istanbul ließ der Papst jede Relativierung der mittelalterlichen römischen Rechtsansprüche über die östlichen Kirchen vermissen (anders als einst als Tübinger Professor) und brachte so die Wiedervereinigung zwischen West und Ost keinen Schritt voran.
3. Mit seinem Auftritt in eitlen, kostspielig nachfabrizierten liturgischen Gewändern im Stil Leos X. Medici, der das Papsttum bequem genießen wollte und die Hauptverantwortung trägt für Roms Versagen angesichts der Reformforderungen Luthers, bestätigte er viele Protestanten in ihrer Ansicht, dass Benedikt kein inneres Verständnis der Reformation besitze.
4. Durch das starre Festhalten am ebenfalls mittelalterlichen Zölibatsgesetz ist er mit seinem ebenso rigoristischen Vorgänger der Hauptverantwortliche für den Niedergang des Priestertums in vielen Ländern und den Zusammenbruch der traditionellen Seelsorge-Strukturen in immer mehr priesterlosen Gemeinden. Darüber können auch päpstliche Massen- und Medienevents nicht hinwegtäuschen.
5. Durch das Insistieren auf der unglückseligen Enzyklika Humanae vitae (von Paul VI. aus dem Jahr 1968) gegen jegliche Art der Empfängnisverhütung und das Verbot von Präservativen macht sich der Papst – wiederum auf der Linie seines Vorgängers – mitschuldig an der ungeheuren Überbevölkerung gerade in den ärmsten Ländern und an der weiteren Ausbreitung von Aids etwa in Afrika.

Ob Papst Benedikt XVI. die „Bush-Tragödie” (Jacob Weisberg) nicht zu denken geben sollte? Bush wollte ja, von Neokonservativen schlecht beraten und von willfährigen Medien nachhaltig unterstützt, sein Land in „ein neues amerikanisches Zeitalter” führen und steht nun am Ende als gescheiterte Figur da, kaum mehr mit Ansehen selbst in der eigenen Partei. In Rom würde man sagen: Sapienti sat – dem Verstehenden genügt dies! Wer die Lage der Kirche kennt, braucht keine weitere Erklärung.

Hans Küng, 80, ist emeritierter Professor für ökumenische Theologie an der Universität Tübingen und Präsident der Stiftung Weltethos.

Zuletzt geändert am 05­.07.2008