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Veröffentlicht am 27­.06.2012

27.6.2012 - Kipa

Vatikan-Experte sieht Kirche in Führungskrise

Die "Vatileaks"-Affäre ist nach Ansicht des italienischen Vatikan-Experten Marco Politi Ausdruck einer Führungskrise in der katholischen Kirche. Es biete sich das Bild "eines leisen Rückwärtsgleitens", schreibt Politi in einem Gastbeitrag für die "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag). Papst Benedikt XVI. regiere "auf absolutistische und isolierte Weise"; ihm fehle die Anbindung an weite Kreise in Kirche und Gesellschaft.

Als Beispiel führt Politi, der 20 Jahre lang für die Tageszeitung "La Repubblica" aus dem Vatikan berichtete, unter anderem die Verwaltungskultur unter Benedikt XVI. an. So finde die Vollversammlung der Präfekten der römischen Kongregationen nur zweimal im Jahr statt; das Kardinalskollegium, das aufgrund seiner internationalen Zusammensetzung als wichtiger Ratgeber fungieren könne, sei in den sieben Jahren des Ratzinger-Pontifikats lediglich viermal einberufen worden. "Eigentlich unvorstellbar für einen Global Player", so Politi.

Tauziehen zwischen wenigen Personen

Anders als sein Vorgänger Johannes Paul II. (1978-2005) hole sich Benedikt XVI. auch wenig Impulse von aussen, etwa bei informellen Treffen mit Vertretern aus Politik und Wissenschaft, urteilt der Journalist weiter. Auf internationalem Parkett sei das Gewicht des Heiligen Stuhls stark gesunken. "Abgesehen von den Skandalen interessieren sich die Medien wenig für den Vatikan", schreibt Politi: "Was sollten sie auch Weltpolitisches vermelden?" Ein Jahr nach der Arabischen Revolution sei beispielsweise immer noch kein tiefgreifender Beitrag des Papstes zu diesem Thema zu hören.

Im Innern der Kirche konstatiert Politi einen weitreichenden Reformstau. Er schreibt von einem "frappierenden Priestermangel", einem Rückgang bei den Frauenorden sowie einer durch die traditionalistischen Piusbrüder losgetretenen Debatte über die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965).

"Grundlegende Dokumente, die damals von mehr als 2.000 Bischöfen abgestimmt wurden und die katholische Kirche in das neue Jahrtausend geführt haben, sind Gegenstand eines hartnäckigen Tauziehens zwischen wenigen konservativen Personen geworden."

Vatileaks - ein offener Machtkampf

Im Umgang mit der "Vatileaks"-Affäre setzen der Papst und seine Mitarbeiter nach Meinung Politis die falschen Akzente. Die Berufung des US-Journalisten Greg Burke zum Kommunikationsbeauftragten im Vatikan zeuge von der "Illusion, dass die Medien die Probleme an der Kirchenspitze verursacht haben und nicht die Regierung selbst". Dazu passe, dass der Vatikan sich bemühe, die Aufmerksamkeit auf den Diebstahl der vertraulichen Papiere aus der Umgebung des Papstes zu lenken, "anstatt zum Inhalt der Dokumente Rede und Antwort zu stehen". Die Affäre selbst ist in den Augen des Journalisten Ausdruck eines offenen Machtkampfes, mit dem Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone diskreditiert und gestürzt werden solle.

(kipa/kna/am)

Zuletzt geändert am 18­.07.2012