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Veröffentlicht am 13­.06.2012

13.6.2012 - Süddeutsche Zeitung

Heiliger Stuhl und "Vatileaks". Es geht um die offenen Wunden der Kirche

Ein Gastbeitrag von Gianluigi Nuzzi

"Verräter" nennen ihn manche. Weil er mit seinem Buch "Sua Santità" Vorgänge publik gemacht hat, die der Heilige Stuhl lieber im Dunkeln gelassen hätte. Versäumnisse beim Umgang mit Fällen von sexuellem Missbrauch beispielsweise. In der SZ erklärt der Journalist und Autor Gianluigi Nuzzi, warum die Veröffentlichung der Vatikan-Interna die Kirche besser machen wird.

Papst Benedikt XVI. soll Italiens Präsidenten Giorgio Napolitano treffen - und Monsignore Mamberti, der "Außenminister" des vatikanischen Staatssekretariats, bereitet eine Note an Ratzinger vor. Er benennt mehrere italienische Gesetzesvorhaben, die aus der Sicht des Vatikans zu stoppen seien, zum Beispiel das über die Gleichstellung von Ehen und Lebensgemeinschaften. Oder soll der Papst etwas zum Sex-Skandal um den damaligen Premier Silvio Berlusconi sagen? Die vertrauliche Mitteilung an Benedikt XVI. rät von kritischen Anmerkungen ab.

Im Februar 2009 wiederum forderte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Vatikan möge eine klare Haltung einnehmen zu den Holocaust-Äußerungen des Bischofs der Piusbruderschaft, Richard Williamson. Benedikt XVI. ist pikiert und haut denen in der Hierarchie des Heiligen Stuhls auf die Finger, die nicht gegen die "Einmischung" der Kanzlerin Stellung nehmen.

Das sind einige der Dokumente und Geschichten, die mir zugespielt wurden. Sie erklären, warum der Vatikan verärgert auf ihre Veröffentlichung reagiert. Die Gründe aber reichen tiefer, warum die römische Kurie nun mein Buch am liebsten auf den Index setzen würde, warum sie von "kriminellem Tun" spricht, wo es doch um nichts anderes geht als um das Recht auf Informationsfreiheit. Dieses Buch zeigt die Schattenzonen und Kämpfe jenseits der Mauern des Vatikans, deren Handelnde vor allem italienische Kardinäle und Prälaten sind.

Die Regeln der Transparenz sollten auch für die Kirche gelten

Es enthüllt die Schwäche des Staatssekretärs Tarcisio Bertone, der Kritik auf einer breiten Front im Vatikan und außerhalb auf sich zieht: von einzelnen Kardinälen bis zum Generaloberen der Jesuiten, Adolfo Nicolàs, der fragt, warum Geld noch immer eine derart zentrale Rolle spiele im Handeln des Kirchenstaates. Man denkt da unwillkürlich an Monsignore Paul Marcinkus, der 1982, während des Skandals um den Tod des Bankiers Roberto Calvi, sagte: "Die Kirche führt man nicht mit Ave Marias."

Marcinkus hatte recht. Es stellt sich ja niemand eine franziskanische Kirche vor, die an die Ränder der Gesellschaft verbannt ist. Schon aber eine Kirche, in der die Regeln der Transparenz gelten, die öffentlich macht, was sie einnimmt und was sie ausgibt, wie sie mit dem Geld und der damit verbundenen Macht umgeht - angefangen beim Vatikan, wo noch heute ein großer Teil der Bilanzen seiner Körperschaften geheim ist.

Natürlich muss es in jeder Institution Bereiche des Nichtöffentlichen geben. Aber Geheimhaltung ist auch das Vorzimmer des Zweifels und des Misstrauens - und der Erpressung, wenn jemand ein peinliches Geheimnis bewahrt, um daraus Nutzen zu ziehen.

Deshalb haben sich im vergangenen Jahr einige mutige Quellen entschlossen, das Siegel der Geheimhaltung zu brechen. Es sind Christen, praktizierende Katholiken, die im Vatikan arbeiten oder leben und solches Vertrauen genießen, dass sie Zugang zu vertraulichen Dokumenten haben. Sie wollen die Öffentlichkeit informieren über Ränke und unklare Vorgänge, Verschwörungen und kritische Punkte, mit denen Benedikt XVI. in den vergangenen Jahren konfrontiert wurde.

Da ist zum Beispiel das schockierende Geständnis von Pater Alfredo Moreno, dem Sekretär von Marcial Maciel, des 2006 wegen sexuellen Missbrauchs mit Amtsverbot belegten Gründers der Legionäre Christi. Am 19. Oktober 2011 um 9.30 Uhr trifft Moreno den Sekretär des Papstes. Er gibt zu, Dokumente über Maciels Schandtaten vernichtet zu haben. Er enthüllt aber vor allem, dass er bei Papst Johannes Paul II. kein Gehör fand, als er 2003 von diesen Taten berichten wollte. Warum, bleibt ein Geheimnis. Moreno war ein glaubwürdiger Zeuge, er war viele Jahre Maciels treuer Schatten. So aber mussten noch Jahre vergehen, bis der Skandal ans Licht kam.

Da sind auch die Hintergründe der Entschädigungen für Opfer von sexueller Gewalt in den USA. Kurz, es geht in den Dokumenten um die offenen Wunden der Kirche.

Wird die Veröffentlichung der internen Dokumente die katholische Kirche verbessern? Einige sagen: Nein. Sie rufen: Skandal! Und behaupten aus Eigeninteresse oder falsch empfundener Loyalität, die Veröffentlichung sei Verrat, sie richte sich gegen den Heiligen Vater, gegen den Glauben oder die Kirche.

Das stimmt nicht. Es geht nicht gegen den Papst, den Glauben oder die Kirche. Es geht um die Wahrheit, denn nur sie wird die Kirche besser machen. Papst Benedikt hat selbst gesagt: "In einer Welt, in der die Lüge mächtig ist, bezahlt man für die Wahrheit mit Leiden."

Kein Sachbuch gegen den Papst

Mein Buch "Sua Santità" ist kein Sachbuch gegen den Papst. Es zeigt vielmehr, wie anstrengend und schwierig es für Benedikt ist, seine Kirche zu führen angesichts so vieler Skandale, Affären, dem Orchester der persönlichen Interessen, die ihm Tag um Tag im Apostolischen Palast als Interesse der Kirche vorgetragen werden. Der Papst ist, wie wir ihn alle kennen: zurückhaltend, anspruchslos. Wie aus den Dokumenten hervorgeht, leidet er darunter, dies alles handhaben zu müssen und dabei das Leitprinzip der Einheit der Kirche zu bewahren.

Deshalb ist meine Haltung ähnlich wie die jener Menschen, die mir geholfen haben. Auch sie hoffen auf eine Änderung zum Besseren. "In manchen Momenten des Lebens ist man ein Mann oder nicht", sagte mir einer der Informanten. "Den Unterschied macht allein der Mut aus, zu tun und zu sagen, was du für richtig hältst." Sein Mut bestehe darin, bestimmte Geheimnisse öffentlich zu machen, große und kleine Geschichten, die nicht über das Bronzetor hinausdringen. "Tatsächlich fühle ich mich nur auf diese Weise frei," fügte er hinzu. "Ich entlaste mich von der unerträglichen Komplizenschaft dessen, der schweigt, obwohl er weiß."

Die Entscheidung zur Veröffentlichung habe ich mir nicht leicht gemacht. Ich glaube aber, dass ein Journalist nicht anders handeln kann. Noch nie sind derart authentische und relevante Dokumente aus den Heiligen Palästen nach außen gedrungen. Glaubt ein Journalist in dieser Situation an seinen Beruf, veröffentlicht er alles - auch im Wissen, Leid zu verursachen, wie es vom Pontifex durchgesickert ist. Andernfalls müsste er destillieren, was zu veröffentlichen ist und was zu vernichten, was in der Schublade bleibt. Das aber hat nichts mit dem Beruf des Journalisten zu tun. Deshalb werde ich den kleinen Helden des Buchs immer danken. Ohne die vielen, die mir Papiere und wichtige Dokumente gegeben haben, wären viele, zu viele Angelegenheiten im Dunkeln geblieben.

Der Journalist und Buchautor Gianluigi Nuzzi, 43, hat in seinem Buch "Sua Santità" ("Seine Heiligkeit") geheime Dokumente aus dem Vatikan veröffentlicht.

Übersetzung: Andrea Bachstein

http://www.sueddeutsche.de/panorama/heilige-stuhl-und-vatileaks-es-geht-um-die-offenen-wunden-der-kirche-1.1380841

Zuletzt geändert am 14­.06.2012