| |
Veröffentlicht am 20­.09.2010

20.9.2010 - Die Welt

In der katholischen Kirche wird der Ruf nach Reformen laut

Forderung nach einem neuen vatikanischen Konzil - Deutsche Bischöfe beraten über Konsequenzen aus dem Skandaljahr

Von Gernot Facius

Bonn - Die Krisenstimmung in der katholischen Kirche hat Reaktionen ausgelöst, die weit über die Auseinandersetzung mit den Fällen von sexuellem Missbrauch hinausgehen: Offen thematisiert werden inzwischen auch die "heißen Eisen" Zölibat, Priesterweihe von Frauen und Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen.

Unmittelbar vor der Herbstvollversammlung des deutschen Episkopats in Fulda hat der Gastgeber, Bischof Heinz Josef Algermissen, in einer Analyse der kirchlichen "Stausituation" die These vertreten, die Zeit sei reif, ein drittes vatikanisches Konzil zur Kirchenreform zu planen. Algermissen plädierte in der "Fuldaer Zeitung" für die Zulassung sogenannter Viri probati (bewährter, auch verheirateter Männer) zum Priesteramt. Eine solche Forderung hatte schon 1975 die Gemeinsame Synode der deutschen Bistümer erhoben, sie wurde aber in Rom nicht aufgenommen. Die Stimmen aus Deutschland, bedauerte Algermissen, fänden im Chor der Weltkirche nicht ausreichend Gehör. Noch weiter geht der neue Provinzial der deutschen Jesuiten, Stefan Kiechle. Vor dem Kardinal-Höffner-Kreis in Berlin, dem auch Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion angehören, regte er sogar ein Nachdenken über die Priesterweihe von Frauen an. Und: Fast die Hälfte der Katholiken, so der Jesuit, sei heute von den Sakramenten ausgeschlossen - ein Hinweis auf die Tatstrafe der Exkommunikation, die Geschiedene sich bei einer Wiederverheiratung zuziehen. Kiechle äußerte sich auch kritisch über die Besetzung hoher Ämter. Es laufe "viel über Beziehungen", und so würden normale Bestellungsverfahren, die für Objektivität sorgen sollten, oft umgangen. "In anderen Kontexten würde man von Korruption sprechen", lautete das harsche Urteil des Jesuitenoberen.

Unter dem Eindruck steigender Austrittszahlen wollen die 67 Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) während ihrer Fuldaer Konferenz bis Donnerstag über die Folgen des Missbrauchsskandals auf das kirchliche Leben beraten. "Es braucht jetzt einen neuen Schub der Motivation, ohne dass wir schnell zur Tagesordnung übergehen", sagt der Münchner Erzbischof Reinhard Marx. Die Bischöfe sind sich bewusst, dass die Öffentlichkeit ein Signal zur finanziellen Entschädigung der Opfer von sexuellen Verfehlungen von Klerikern erwartet, nachdem die Jesuiten bereits eine pauschale Regelung in Aussicht gestellt haben.

Doch die Meinungen in der DBK gehen dazu noch auseinander. Für den Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode geht es um "ein vielfältiges Geschehen der Versöhnung". Einige Opfer würden sicher Geld brauchen, "andere werden aber ganz andere Hilfen haben wollen", etwa eine therapeutische Begleitung. Grundsätzlich, warnte Bode, dürfe auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass sich die Kirche freikaufen wolle. Von diesen Gedanken lässt sich auch der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck leiten. Die Diözesen hätten schon viel Geld ausgegeben für therapeutische und pastorale Hilfen. Darauf hätten die Betroffenen ein Anrecht, sagte Overbeck der WELT: "Ich weigere mich allerdings, einer Entschädigungsregelung zuzustimmen, die meint, Leid finanziell abwägen zu können."

Offiziell abgeschlossen ist die Diskussion über präziser formulierte Leitlinien für den Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch. Das veränderte Regelwerk ist seit 1. September als "Selbstverpflichtung" der Bischöfe in Kraft. Aber es gibt auch noch Kritik. So hat die reformorientierte Gruppierung "Wir sind Kirche" weiter Zweifel an der Unabhängigkeit der Ansprechstellen für Opfer von den bischöflichen Behörden. Verwiesen wird auch auf Unterschiede gegenüber der Praxis in den USA. Dort gilt die "Null-Toleranz-Regel": Ein Kleriker darf schon nach einem erwiesenen Übergriff nie mehr öffentlich die Messe feiern und geistliche Kleidung tragen. Die deutschen Leitlinien sehen nur vor, dass er nicht wieder in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden darf; ansonsten entscheidet der Ortsbischof auf Grundlage eines psychiatrischen Gutachtens, ob und unter welchen Auflagen der Täter künftig Verwendung findet.

Auch wenn die Versammlung am Grab des heiligen Bonifatius offiziell nach vorn blicken will. Die Vergangenheit lässt sich nicht beiseitewischen. Zur Sprache kommen werden wohl auch die Mängel des Krisenmanagements. Und bei einem Essen "am Rande" der Konferenz werden die ausgeschiedenen Mitglieder verabschiedet. Eingeladen ist auch einer, dessen Ohrfeigen- und Finanzaffäre die Kirche monatelang in Atem hielt: Walter Mixa, der ehemalige Bischof von Augsburg.

http://www.welt.de/die-welt/politik/article9747964/In-der-katholischen-Kirche-wird-der-Ruf-nach-Reformen-laut.html

Zuletzt geändert am 20­.09.2010