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Veröffentlicht am 08­.08.2013

Kardinalsgremium Oktober 2013

Wir sind Kirche: „Keine Kurienreform hinter verschlossenen Türen!“

Pressemitteilung München / Rom, 8. August 2013

Zur ersten Sitzung des achtköpfigen Kardinalsgremiums Anfang Oktober 2013, dem auch Kardinal Reinhard Marx aus München angehört

Die von Papst Franziskus angestoßene Kurienreform ist von so zentraler Bedeutung für die Zukunft der römisch-katholischen Kirche, dass sie nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden darf, sondern transparent und im offenen Dialog auch mit den Ortskirchen begonnen werden muss.

Am 14. April 2013 kündigte Papst Franziskus eine Kurienreform an, wozu er eine weltweite Kommission von acht Kardinälen einsetzte; zu ihnen gehört aus Europa Dr. Reinhard Kardinal Marx aus München; der Papst erwartet die ersten Kommissionsvorschläge Anfang Oktober. Bislang wurde für dieses Unternehmen weder ein päpstlicher Arbeitsauftrag bekannt noch hat sich einer der damit befassten Kardinäle dazu geäußert. Doch ist die Reform der Kurie als erster Schritt für eine Strukturreform der römisch-katholischen Gesamtkirche von so zentraler Bedeutung, dass seine Grundlinien öffentlich zu diskutieren sind.

Wir in Europa betrachten Kardinal Marx als unseren ersten Gesprächspartner. Deshalb fragt die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche vor der ersten Zusammenkunft des achtköpfigen Beratergremiums Anfang Oktober 2013 in Rom:
  • Mit welchen Reformzielen, Strukturprinzipien und konkreten Vorschlägen wird Kardinal Marx nach Rom fahren?
  • Hat Kardinal Marx die 26 Bischofskonferenzen innerhalb der Europäischen Union (COMECE), deren Präsident er seit März 2012 ist, konsultiert und was sind ihre Vorschläge?
  • Hat Kardinal Marx die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) in seine Überlegungen mit einbezogen? Und wird er die bisherigen Ergebnisse des Gesprächsprozesses, der von der DBK nach der Aufdeckung des Missbrauchsskandals in Deutschland initiiert wurde, in Rom vorbringen?
  • Werden seine Vorschläge aus den Missbrauchs-, und Vertuschungsskandalen in vielen Ländern die notwendigen Folgerungen ziehen?
  • Sind seine Zielvorstellungen und Vorschläge kompatibel mit den Empfehlungen, die im Zukunftsforum „Dem Glauben Zukunft geben“ des Münchner Erzbistums über Jahre hinweg intensiv erarbeitet wurden?
Angesichts der schwerwiegenden und vielfachen Krisen und Fehlentscheidungen der Kirchenleitung (Vatileaks, Vatikanbank, Pius-Bruderschaft, mangelnde Kooperation, Verdacht einer Homo-Kooperation usw.) ist die Einberufung dieses internationalen Beratergremiums ein wichtiger Schritt eines neuen kollegialen Leitungsstils, dem aber noch weitere folgen müssen. Die römische Kurie hat sich über die Jahrhunderte zu einem absolutistischen Machtblock verfestigt.

Wichtig ist, dass die jetzt bevorstehende Reform nicht nur die Effektivität der Kurie erhöht, sondern ein Geist der Transparenz, einer kollegialen Pluralität und demokratischen Grundlegung wirksam wird. Frauen, die mehr als die Hälfte der Kirchenmitglieder ausmachen, sind gar nicht vertreten oder beteiligt. Es sind neue Kommunikations- und Leitungsstrukturen zu entwickeln, die wieder dem Anspruch der Botschaft des Evangeliums wie auch den Erfordernissen einer weltweit verzweigten Glaubensgemeinschaft in den verschiedensten Kulturräumen gerecht werden. Es wird auch zu fragen sein, warum eine von Papst Franziskus erwähnte „Schwulen-Lobby“ im Vatikan sich etablieren konnte und welche Maßnahmen gegen jeden zukünftigen Lobbyismus erforderlich sind.

Erst seit Johannes XXIII. sind leitende Kurialbeamte mindestens Erzbischöfe. Diese Regelung ist rückgängig zu machen, denn damit wird das Bischofsamt ausgehöhlt. Bei allen wichtigen Entscheidungen sind Repräsentanten der Weltkirche bzw. von Teilkirchen auf dem Wege der Befragung, der Beratung und der Beschlussfassung zu beteiligen. Für 2015 hat Franziskus bereits eine nächste Bischofssynode einberufen, deren Thema aber noch nicht feststeht.

Franziskus selbst hat von „Neuem Wein in neuen Schläuchen“ gesprochen und es als Tradition der Kirche bezeichnet, theologische wie strukturelle Erneuerungen im Dialog mit den Kulturen vorzunehmen (Predigt am 6. Juli 2013). Deshalb werden unter seiner Leitung jetzt grundsätzliche Entscheidungen erwartet, die – um der Zukunftsfähigkeit der katholischen Kirche willen – auch überholte Prinzipien und Doktrinen zur Disposition stellen müssen. Soweit das dogmatische Fragen berührt, ist baldmöglichst eine Kommission von Experten und Expertinnen der Kirchengeschichte, der systematischen Theologie und der Exegese einzuberufen.

Bei allem Respekt vor Tradition und Kontinuität geht es um eine grundlegend neue Kultur und Struktur, die – im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65), der nach wie vor geltenden Richtschnur – durch die Kernbegriffe Dialog, Communio, Reform und Öffnung geprägt sein müssen. Für den Vatikan selber heißt das: mehr Kommunikation statt Kontrolle und mehr Spiritualität und Aufgeschlossenheit statt Sanktionen. Wesentliche Schlüsselentscheidungen sind dabei:
    1. Dezentralisierung kirchlicher Entscheidungsbefugnisse:
    Das von der katholischen Kirche für die Politik formulierte Prinzip der Subsidiarität, das übergeordnete Regelungen nur für die Bereiche zulässt, die eine lokale Einheit nicht selber regeln kann, ist in gleicher Weise und auf allen Ebenen innerhalb der römisch-katholischen Kirche anzuwenden. Denn „die Kirche ist wahrhaft in allen rechtmäßigen Ortsgemeinschaften der Gläubigen anwesend, die in der Verbundenheit mit ihren Hirten im Neuen Testament auch selbst Kirchen heißen“. (LG 26)

    2. Repräsentation der Kirchen aus aller Welt in Rom:
    Wenn die katholische Kirche eine Weltkirche sein will, muss dies auch in den Entscheidungsprozessen und bei Personalbesetzungen zum Ausdruck kommen. Warum können einzelnen Kongregationen nicht in andere Kontinente ausgelagert werden, wie Prof. Leonardo Boff es vorschlägt? In Europa leben nur noch 24 Prozent der Katholiken, in Lateinamerika sind es schon 62 Prozent, Tendenz wachsend.

    3. Gleichberechtigte Stellung der Frauen als Kirchenbürgerinnen auf allen Ebenen:
    Papst Franziskus selber hat in diesem Bereich noch erheblichen Handlungsbedarf aufgezeigt. Warum kann z.B. die Glaubenskongregation nicht von einer Theologin geleitet werden, wie Prof. Hubert Wolf es vorschlägt? Wenn Franziskus vor Kurzem geäußert hat, dass die Tür zum Priesteramt für Frauen verschlossen sei, so sei daran erinnert, dass Petrus in der kirchlichen Ikonographie mit Schlüssel abgebildet wird. Helfen wir also Franziskus, dem Nachfolger des Petrus, den Schlüssel für die noch verschlossene Tür zu finden.

    4. Kollegiale Verantwortung:
    Statt alle Entscheidungsbefugnisse dem Papst als absolutem Monarchen allein vorzubehalten, sollten – allein schon von der Größe und Komplexität der weltweiten Glaubensgemeinschaft (1,29 Mrd. Katholikinnen und Katholiken) her – die Entscheidungen zuvor in einem regelmäßig und häufig tagenden „Kabinett“ diskutiert und vorbereitet werden. Hierzu liegen bereits sehr konkrete Vorschläge des amerikanischen Jesuiten Thomas Reese oder des Münchner Prof. Hans Maier vor, die Kardinal Marx unbedingt aufgreifen sollte.

    5. Verhaltenskodex:
    Für die dringend notwendige Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Kirchenleitungen ist ein Verhaltenskodex (Compliance) zu formulieren, der auch eine Rechenschaftspflicht der Bischöfe usw. gegenüber den Kirchenbürgerinnen und Kirchenbürger enthalten muss.
Große Erwartungen bestehen allerdings auch in sehr konkreten pastoralen Fragen: Schon seit Jahrzehnten und nicht nur in Europa stellen sich Katholikinnen und Katholiken die Frage, warum Gläubige, die nach Scheidung wieder geheiratet haben, nicht zur Kommunion zugelassen werden. Hierzu hat Papst Franziskus selber schon auf den theologischen Weg der orthodoxen Kirchen verwiesen. Auch die Zulassung von Frauen zu einem gleichberechtigten Diakonen-Weiheamt hat hohe Priorität. Grundsätzlich ist auch zu überlegen, wie das nächste Konsistorium zusammengesetzt sein sollte.

Kardinal Marx, Präsident der 26 Bischofskonferenzen innerhalb der Europäischen Union (COMECE)
Kardinal Marx hat in letzter Zeit mehrfach Reformen im Vatikan angemahnt und die Zusammenarbeit des Vatikans mit den Ortskirchen als höchst verbesserungswürdig bezeichnet. Dabei beklagte er auch eine Tendenz zum „Hofstaat-Gehabe“. „Der Nachfolger Petri kann kein Monarch sein. Das widerspräche aus meiner Sicht dem Petrusamt“, so Marx wörtlich.

In Rom gilt Kardinal Marx als reformfreudiger Organisator kirchlicher Strukturen. Doch sind die von ihm im Erzbistum München und Freising begonnenen umfangreichen Pastoral- und Ordinariatsreformen noch lange nicht zu einem guten Ende gekommen, weil wesentliche Entscheidungsbefugnisse immer noch auf die „sakramentale Struktur“ beschränkt und die Kirchenbürgerinnen und Kirchenbürger nur sehr unzureichend eingebunden sind.

Bei der Aufdeckung sexualisierter Gewalt hat sich Marx als energischer Aufklärer profiliert und kann sicher einige Erfahrungen vorweisen. Über die Aufklärung und Prävention hinaus ist es jetzt aber auch erforderlich, eine grundlegende Aufarbeitung der der sexualisierten Gewalt und ihrer Vertuschung im kirchlichen System zugrundeliegenden männerbündischen klerikalen Strukturen vorzunehmen, wie sie auch bei der „Gay-Lobby“ vorliegt.

Ausschlaggebend für die Berufung des vergleichsweise jungen Münchner Kardinals als Vertreter Europas ist vermutlich, dass er seit März 2012 Präsident der Kommission der 26 katholischen Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) ist. Im Vatikan gehört Marx zum Päpstlichen Rat für die Laien (seit 2008), zur Kongregation für das katholische Bildungswesen (seit Dezember 2010) und zur Kongregation für die orientalischen Kirchen (seit März 2012).

Pressekontakte:
Sigrid Grabmeier, Tel: 0170 8626 290, E-Mail: grabmeier@wir-sind-kirche.de
Magnus Lux, Tel: 0176-41266392, E-Mail: Famlux@t-online.de
Christian Weisner, Tel: 0172-518 40 82, E-Mail: presse@wir-sind-kirche.de






Weiterführende Literatur:
• Joseph Ratzinger / Hans Maier: Demokratie in der Kirche. Möglichkeiten und Grenzen. 1972 und 2000
• Thomas Reese: Im Inneren des Vatikan. Politik und Organisation der Katholischen Kirche, 1998
• Georg Kohl, Christian Lauer, Christian Weisner: Eine 2000-jährige Weltorganisation verändern. Kritischer Blick auf die Wandlungsfähigkeit der katholischen Kirche. In: Zeitschrift „OrganisationsEntwicklung“ 3/2012 (www.wir-sind-kirche.de/index.php?id=128&id_entry=4147)
• Erklärung von Katholischen Theologen/Innen zur Autorität in der Kirche (www.churchauthority.org/index_de.asp)
• Erklärung der Internationalen Bewegung Wir sind Kirche vom 7. März 2013: Kollegialität, Gerechtigkeit und pastorale Weisheit (www.wir-sind-kirche.de/index.php?id=128&id_entry=4533)
• Klaus Mertes: „Schwule Lobby“ Katholischer Klerus und Homosexualität, in: HerderKorrespondenz 67 (8/2013), 389-392 www.herder-korrespondenz.de/aktuelle_ausgabe/artikel/aktuelle_ausgabe/special/details?k_beitrag=3850802

Zuletzt geändert am 17­.08.2013